Hamburg. Festivalchef Alexander Schulz spricht über 2G versus 3G, Stehkonzerte und das Verhältnis zur Großen Freiheit 36 und dem Docks.

Auch wenn es für das Reeperbahn Festival im zweiten Jahr der Pandemie noch keine Normalität gibt, es findet statt, und das mit sehr viel mehr Gästen als 2020. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Alexander Schulz über Motivationslöcher, 2G versus 3G, die Freude über Stehkonzerte und ungelöste Pro­bleme mit Docks und Großer Freiheit 36.

Hamburger Abendblatt: Wie ist die Stimmung beim Team des Reeperbahn Festivals nach anderthalb Jahren Pandemie?

Alexander Schulz: Wir sind alle ein bisschen ausgelaugt. Am anstrengendsten ist es, sich immer wieder neu zu motivieren, wenn im Laufe dieser langen Zeit ständig etwas wegbricht, auf das man gesetzt hatte. Etwa die Hoffnung auf eine so hohe Impfquote, dass das Reeperbahn Festival in diesem Jahr wieder ohne größere Einschränkungen stattfinden kann. Auf manche Fragen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie es denn nun weitergehe, konnte ich in den vergangenen Monaten einfach keine Antwort geben. Dass jetzt das Festival stattfindet, ist auch wichtig für die Motivation des Teams, das darunter leidet, dass inzwischen nur noch die Veranstaltungsbranche von schweren Einschnitten betroffen ist. Am Anfang der Pandemie ging es um eine gemeinsame Anstrengung aller zum Wohle besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen – und das war richtig so. Inzwischen aber müssen allein wir als Veranstaltungsbranche diese massiven Einschränkungen hinnehmen - zum Wohle der kleinen Gruppe der volljährigen Ungeimpften. Das kann ich doch niemandem mehr plausibel erklären.

Das Reeperbahn Festival hat sich gegen die 2G-Option und für 3G entschieden. Warum?

Schulz: Das hat mehrere Gründe. Wir veranstalten an etwa 35 Spielorten Konzerte, dazu in 15 Orten unterschiedliche Formate für die Fachbesucher im Tagesprogramm. In der geltenden Verordnung wird zwischen Bühnen- und Publikumsraum unterschieden, und das ist für uns auch sehr wichtig, denn im Publikumsraum könnten wir so die 2G-Regularien anwenden, auf und hinter der Bühne die 3G-Regeln – das ist bei der Vielzahl der Künstlerinnen und Künstler, die aus ganz unterschiedlichen Ländern kommen, notwendig. Allerdings müssen Publikums- und Bühnenbereich, so die Vorgabe, architektonisch und baulich klar voneinander getrennt sein. Das aber ist in bis zu zwölf der 35 Locations nicht darstellbar, und je kleiner ein Haus ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es eine solche räumliche Trennung gibt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Schulz: Im Häkken am Spielbudenplatz gibt es keinen separaten Bühnenzugang. Hier kreuzen sich die Wege der Künstler auf wenigen Metern mit denen, die das Publikum benutzt, um zu den Toiletten zu gelangen. Das wäre nicht erlaubt. Insofern würden diese kleineren Spielstätten sämtlich wegfallen und damit gut 30 Prozent des seit vielen Monaten geplanten Programms. Ein weiteres Problem: Weder wir noch unsere Dienstleister können garantieren, dass sämtliches Personal, das Publikumskontakt hat, geimpft oder genesen ist. Zu dieser Auskunft ist ja arbeitsrechtlich kein Mitarbeiter verpflichtet.

Hat bei der Entscheidung gegen 2G auch die Sorge vor einem Shitstorm eine Rolle gespielt?

Schulz: Nein, überhaupt nicht. Solche Anfeindungen halten wir aus, auch weil wir 2G im Prinzip richtig und wichtig finden, um uns endlich am eigenen Schopfe aus unserem (beschränkten) Berufsausübungsverbot zu ziehen. Und was die wirtschaftliche Seite angeht: Ich schätze, dass maximal zehn Prozent unseres Publikums nicht geimpft oder genesen sind. Die hätten wir schlicht ausgezahlt. Die Gründe gegen die Entscheidung für das favorisierte 2G-Modell gehen allein auf die für komplexere Veranstaltungen wie das Reeperbahn Festival praxisfernen und in der Detailtiefe komplett fehlenden Anwendungsrichtlinien zurück. Für eine gewisse Übergangszeit wäre die beschränkte PCR-Ergänzung für arbeitendes Personal mit Publikumskontakt eine pfiffige Variante gewesen, um 2G schnell und sicher insbesondere in die Umsetzung bei Anbietern populärer Kultur-Angebote zu bekommen. Das hätte wohl auch zu einer hohen Akzeptanz geführt. Hier wurde in dieser Hinsicht eine Chance vertan – bisher.

Was muss ich als Besucher in diesem Jahr tun, um Konzerte beim Reeperbahn Festival zu erleben?

Schulz: Zunächst einmal: Ganz schnell ein Ticket kaufen, weil wir durch 3G im Vergleich zu 2G natürlich eine viel geringere Kapazität anbieten müssen. Wir können in vier Tagen nur für insgesamt 20.000 Besucherinnen und Besucher Zugang ermöglichen. Zum Vergleich: 2019 hatten wir über 50.000 Gäste. Und was den organisatorischen Ablauf angeht: Geimpfte und Genesene tauschen am Ticketcounter auf dem Heiligengeistfeld einmalig ihr Ticket gegen ein Wristband. Wer weder geimpft noch genesen ist, muss dort allerdings täglich gegen Vorlage eines aktuellen negativen Schnelltests ein neues Band abholen. Ein Testzentrum gibt es am Spielbudenplatz. Die Veranstaltungsorte werden grundsätzlich nur so weit ausgelastet, dass es jeder Besucherin und jedem Besucher möglich ist, ausreichend Abstand zu halten, außerdem gilt in den Indoor-Spielorten eine Maskenpflicht, sofern man gerade nichts verzehrt. Es gibt sowohl Spielorte mit Steh- als auch mit Sitzplätzen. Anders als im vergangenen Jahr bestuhlen wir aber keine eigentlich unbestuhlten Locations. Im Gegenteil: Wir freuen uns darauf, nach 18 Monaten endlich wieder Stehkonzerte in Musik-Clubs zu veranstalten, auch wenn wir dafür bei der Kapazität Einschnitte hinnehmen müssen.

Sind pandemiebedingt vor allem Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland zu erwarten?

Schulz: Nein, mehr als 50 Prozent der Künstlerinnen und Künstler kommen aus dem Ausland, die meisten aus dem europäischen. Schwierig ist es nach wie vor mit transkontinentalen Künstlern etwa aus den USA, Asien oder Ozeanien, weil die zum Buchungszeitraum im ersten und zweiten Quartal überhaupt nicht einschätzen konnten, wie die Situation in ihrem eigenen Land im September sein würde und ob sie etwa nach Konzerten in Europa wieder ohne Komplikationen in ihre Heimat einreisen können. Wir werden also nach 18 Monaten Pandemie endlich wieder eine Veranstaltung in Deutschland erleben mit einem international geprägten Programm.

Das Reeperbahn Festival gehörte im März zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs, in dem angekündigt wurde, künftig nicht mehr im Docks und in der Großen Freiheit 36 zu veranstalten. Der Vorwurf: Die Betreiber bieten Corona-Leugnern und Feinden der Demokratie ein Forum. Gilt das immer noch?

Schulz: Im Docks und in der Großen Freiheit 36 werden während des Reeperbahn Festivals keine Konzerte stattfinden. Nach wie vor gilt, dass diese Häuser für eine Bespielung nicht infrage kommen, solange sich die Betreiber nicht deutlich und glaubhaft von Corona-Leugnern und Verschwörungserzählern distanzieren. Wir hätten beide Locations schon wegen ihrer Größe gut gebrauchen können, aber da bleiben wir bei der Position, die wir gemeinsam mit nahezu allen Hamburger Veranstaltern teilen. Wenn es dort einen Kurswechsel gibt, der nicht nur uns, sondern auch unsere Künstler und das Publikum überzeugt, werden wir dort wieder veranstalten. Sonst nicht.

Reeperbahn Festival 22. bis 25.9. Tickets und Informationen unter reeperbahnfestival.com