Lohbrügge. Ingo Werth aus Lohbrügge rettet Menschen aus dem Mittelmeer. Er sagt, es dürfe keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben.

Nach dem Grundgesetz sind alle Menschen gleich, darf der Staat niemanden wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligen. Doch was denkt die afghanische Familie, die seit fünf Jahren in einem Container ausharrt, während Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine jetzt richtige Wohnungen zugewiesen bekommen? Was erhofft sich noch der Obdachlose nach seiner inzwischen zehnten abgelehnten Bewerbung beim städtischen Wohnungsunternehmen? Was fühlt ein Syrer, wenn er hört, dass der Staat allen Ukrainern einen dreijährigen Aufenthalt inklusive Arbeitsgenehmigung und Familiennachzug garantiert?

„Ich möchte nicht falsch verstanden werden und keine Ängste schüren. Ich freue mich über jeden Menschen, der Hilfe bekommt. Aber wir dürfen keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse haben“, mahnt Ingo Werth, der in Lohbrügge eine Kfz-Werkstatt betreibt – aber das fast nur noch nebenbei. Seit Juni 2015 hat sich der Kapitän auf die Seenotrettung verlegt und war seither „bei der Versorgung und Rettung von 12.000 Menschen beteiligt“, hat der 62-Jährige hochgerechnet. Genau am Dienstag, 26. April, sticht er von Malta aus wieder in See, zur Beobachtungstour auf dem Mittelmeer, wo allein in diesem Jahr schon Hunderte Flüchtlinge ertrunken sind.

Flüchtlinge werden ein Jahr lang in Dunkelheit eingesperrt und gefoltert

In den kommenden drei Wochen hofft er, nicht erneut viele Männer zu retten, die auffallend rote Augen haben: „Sie waren ein Jahr lang in Dunkelheit eingesperrt, wurden gefoltert und misshandelt“, erzählten sie dem Lohbrügger, der erfuhr, dass allein im vergangenen Jahr 32.500 Menschen „illegal zurückverschleppt“ worden seien, so Werth: „Die libysche Küstenwache und die Milizen haben 240 Millionen Dollar bekommen, um die Leute zurückzubringen. Dann werden sie in Lagern eingesperrt und bedroht. Wer von seiner Familie kein Geld mehr rauspressen kann, erhält keine zweite Chance auf einen Platz im Boot. Auf diese Weise werden mehr Millionen verdient als mit dem ganzen Drogenhandel“, ist sich der Kapitän sicher.

Die Flüchtlinge sind oft tagelang ohne Lebensmittel auf dem Wasser, bevor sie gerettet werden.
Die Flüchtlinge sind oft tagelang ohne Lebensmittel auf dem Wasser, bevor sie gerettet werden. © ResQship | Thorsten Kliefoth

Die meisten Flüchtlinge aus Mali, Mauretanien, Gambia oder dem Senegal werden von Italien aufgenommen. „Deutschland übernimmt bloß einen verschwindend kleinen Bruchteil“, kritisiert Ingo Werth, der ebenso sieht, wie Syrer und Afghanen an der polnischen Grenze zurückgedrängt werden, während „die Ukrainer sogar mit Bus-Konvois und Flugzeugen geholt werden“. Die Begründung liege auf der Hand: „Die sehen halt aus wie wir, sind als gute Handwerker und Seeleute geschätzt. Außerdem besteht die Hoffnung, dass die Frauen unseren Pflegenotstand beenden“, ahnt der 62-Jährige – und fühlt sich bedrückt: „Das ist Rassismus pur, wenn nach der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Menschen gehandelt wird.“

Verein Resqship hat seinen Hauptsitz im Bezirk Bergedorf

Keinesfalls dürfe arm gegen arm gegeneinander ausgespielt werden, es keine Ungleichbehandlung geben. Dazu steht auch die Bürgerinitiative Fluchtpunkt Bergedorf, die 2013 ins Leben gerufen wurde, um 18 Flüchtlinge aus westafrikanischen Ländern im Bezirk zu begleiten. „Bergedorf sollte sich zum sicheren Hafen erklären und mehr Menschen aufnehmen“, so Werth.

Ganz konkret macht der Kapitän der Bezirksversammlung ein Angebot: „Bergedorf könnte eine Patenschaft für unser Rettungsschiff übernehmen. Immerhin braucht jeder Einsatz auf der Nadir, die bis zu 60 Flüchtlinge aufnehmen kann, 17.000 Euro und wird komplett über Spenden finanziert.“ Als Vorbild gelten Städte wie Bochum, Dortmund und Dresden, die ebenfalls Patenschaften für Hilfsprojekte tragen, betont er: „Und unser Verein Resqship hat immerhin seinen Hauptsitz hier im Bezirk.“