Lohbrügge. Ingo Werth setzt sich ein, für die, die wir nicht hören können. Er macht ihr Leid sichtbar, dokumentiert die Flucht über das Meer.

Es ist bestimmt schon sein 20. Einsatz auf hoher See, da muss Kapitän Ingo Werth nicht mehr lange überlegen: Drei T-Shirts und zwei Hosen müssen reichen für die zweiwöchige Reise, denn auch vier Funkgeräte, Covid-Tests und Gasanschlüsse für den Herd müssen ins Gepäck passen. Im Namen des Vereins „Resqship“, der seinen Sitz an der Osterrade in Lohbrügge hat, fliegt der 62-Jährige nach Malta und geht am Montag auf Beobachtungstour im Mittelmeer.

Ingo Werth startet auf eine Beobachtungsfahrt.
Ingo Werth startet auf eine Beobachtungsfahrt. © Thomas Pöhlsen | Thomas Pöhlsen

„Ich fahre mit meiner Crew raus, um die furchtbare Situation an der tödlichsten Grenze der Welt zu dokumentieren“, sagt Werth, der einen Mediziner, Co-Skipper, Techniker und Nautiker an Bord hat. Diesmal sind es sechs Deutsche. Sie fahren eineinhalb Tage in Richtung Lampedusa und dann weiter südlich bis zum 34. Breitengrad. Da liegt die Fluchtroute vieler Menschen aus Westafrika, die zunächst in Libyen ankamen: „Dort landeten sie in Gefangenenlagern, wo gefoltert und vergewaltigt wird. Die Menschen haben den Horror hinter sich, wenn sie sich auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen“, sagt Werth, der schon bis zu 24 Nationen an Bord hatte. „Viele kommen auch aus Eritrea und Bangladesch.“

Die „Nadir“ beobachtet und rettet nur, wenn kein anderes Schiff in der Nähe ist

Erst vor drei Wochen hatte das 19 Meter lange Schiff 91 dehydrierte Menschen aufgenommen, die in akuter Seenot waren. Lebensmittel wie Cuscus, Reis und Nudeln sind stets genügend an Bord, ebenso eine medizinische Ausstattung. „Wir retten aber nur in Situationen, wenn absolut kein anderes Schiff in der Nähe ist. Am liebsten geben wir sofort der italienischen Küstenwache Bescheid“, betont der Kapitän seinen Auftrag zur reinen Beobachtung der Situation – und verspricht, unserer Redaktion regelmäßig einen Lagebericht zu schicken.

Der Zweimaster übrigens, mit dem die Crew unterwegs ist, wurde auf den Namen „Nadir“ getauft. So heißt ein Syrer, der mit seinem elfjährigen Sohn über die Türkei nach Griechenland geflüchtet war. „Der Sohn ist leider ertrunken, und nun wird der Mann in Griechenland wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Das ist doch einfach nur zynisch“, ärgert sich der Lohbrügger Ingo Werth.