Hamburg. „Untermenschen“ als „Brennmaterial“– Neuallermöher Familie hat wegen der Aufnahme einer ukrainischen Familie Hass-Post erhalten.

Vor eineinhalb Monaten nahmen Thomas M. und seine Familie eine Mutter und ihre zwei Kinder aus der Ukraine in ihrem Reihenhaus auf. Die Frau und ihre beiden Söhne waren vor dem Krieg geflüchtet und mussten Mann und Vater zurücklassen. Bislang war es eine kleine Erfolgsgeschichte. Das Zusammenleben klappte, die Nachbarn halfen, die Ukrainerin und ihre Kinder kamen gut an. Jetzt haben beide Familien Angst. In einem Brief, anonym in den Briefkasten geworfen, werden sie übel beschimpft, beleidigt und bedroht. Die Polizei ist eingeschaltet. Die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes ermittelt.

„Wir haben nicht viel Platz in unserem Reihenhaus“, sagt Thomas M. Es sind fünf Zimmer, in denen er, seine Frau und seine beiden Kinder – ein Sohn und eine Tochter – leben. Trotzdem war es für ihn und seine Familie gleich eine Herzensangelegenheit, zu helfen und Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen.

Flüchtlinge in Hamburg: Familie erhält Drohbrief

Für die Familie ist das eine Belastung. Die Ukrainerin und ihr jüngerer, elf Jahre alter Sohn schlafen im Wohnzimmer. Der ältere Sohn (18) schläft im Zimmer des acht Jahre alten Sohns der Gastgeber. „Beide verstehen sich trotz des Altersunterschieds sehr gut“, sagt der Familienvater. Auch sonst lief alles problemlos. So gut, dass die Familie deutlich länger blieb als zunächst gedacht. „Wir hatten eigentlich eine Unterkunft für zwei bis drei Wochen bieten wollen.“

Über das Osterwochenende fuhr die Gastgeberfamilie nach Wien. Die Ukrainerin blieb mit ihren beiden Kindern in Hamburg. „So hatten sie auch mal wieder ein bisschen mehr Privatsphäre“, sagt der Mann. Als er am Ostersonntag mit seiner Familie zurückkam, fand er das anonyme Schreiben im Briefkasten. Dessen Inhalt ist so „unterirdisch“, es wimmelt vor orthografischen und grammatikalischen Fehlern.

Brief mit „Deutsche Patrioten“ unterzeichnet

Dieses Schreiben ging am Ostersonntag bei Thomas M. und seiner Familie in Neuallermöhe ein.
Dieses Schreiben ging am Ostersonntag bei Thomas M. und seiner Familie in Neuallermöhe ein. © Lenthe-Fotografie/Caroline Dobs | Unbekannt

Der Brief beginnt mit „Hallo du“ und geht in ein Gefasel von „Unmenschen“, „Untermenschen“, „echten Deutschen“ über. Da steht etwas von „Öfen“, die man nach 75 Jahren wieder öffnen werde, um die Menschen als „Brennmaterial“ zu benutzen. Der Brief ist mit „Deutsche Patrioten“ unterzeichnet. „Das hat uns komplett umgehauen. Für die geflüchtete Familie ist es besonders schlimm“, sagt Thomas M. „Es ist ja völlig krank, was dort geschrieben wurde.“ Er alarmierte sofort die Polizei.

Die rückte an, stellte den Brief sicher, befragte Nachbarn und hat mittlerweile Fahndungsaufrufe in Form von kleinen Plakaten in der Gegend aufgehängt, um den Verfasser zu ermitteln. Der Familie riet die Polizei, eine Flagge der Ukraine, die sie auf dem Reihenhaus platziert hatte, abzunehmen, um nicht zu „provozieren“. „Wir haben das erst auch gemacht“, sagt der Familienvater. Am Donnerstag haben sie sich entschlossen, die Flagge wieder zu hissen. „Ich halte es für falsch, sie abzunehmen“, sagt Thomas M.

In der Nachbarschaft leben viele Russen

Der Mann, der selbst in der Ukraine geboren wurde, in Kasachstan lebte und 1994 nach Deutschland kam, kann sich vorstellen, aus welcher Richtung das Schreiben kommt. Der Bezirk Bergedorf ist ein Stadtteil, in dem viele Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion eine neue Heimat gefunden haben. Etwa 1000 gebürtige Ukrainer und rund 6000 Russlanddeutsche leben dort. Letztere haben oft eine sehr eigene Meinung zu dem Angriffskrieg. Das verrät auch der Buchstabe „Z“, das Symbol auf den Panzern der russischen Angriffsarmee, das am Osterwochenende in dem Bezirk auf einige Wände und Stromkästen gesprüht wurde. „Viele sind glühende Putin-Verehrer“, sagt Thomas M.

Aber auch das sagt er: „Ich bin bislang nicht wegen unseres Engagements für die Ukrainer persönlich und direkt angesprochen oder bedroht worden.“

Flüchtlinge in Hamburg: Hamburger wollen weiter helfen

Wie es weitergeht? „Wir lassen uns nicht unterkriegen, und wir verstecken uns nicht“, sagt der Familienvater. Der ältere Sohn der geflüchteten Familie hat mittlerweile eine Stelle als Koch gefunden. Sein kleiner Bruder geht in die Integrationsklasse eines Gymnasiums. „Sie und ihre Mutter wollen eigentlich zurück in die Ukraine“, sagt Thomas M. „Aber keiner weiß, wie lange der Krieg noch dauert.“ Sie suchen eine neue Unterkunft für die Ukrainerin und ihre beiden Söhne – nicht wegen des Briefs, sondern wegen der doch beengten Verhältnisse im Reihenhaus. Bis dahin bleiben sie in Neuallermöhe.

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Thomas M. und seine Familie wollen weiter geflüchteten Ukrainern helfen. „Ich kann die Sprache“, sagt der Familienvater. Da böte es sich an, Flüchtlingen aus der Ukraine Unterstützung anzubieten. Bei allem Optimismus bleibt dennoch ein ungutes Gefühl zurück – gerade weil der Brief so wirr ist, der Verfasser so unberechenbar auf ihn wirkt. „Es macht doch Angst“, sagt der Familienvater, „weil da offensichtlich jemand ist, der nicht in Freiheit gehört und Hilfe braucht.“