Reinbek. Reinbek Mit ihrem Film „We exist“ machen Ingo Werth und Lucian Segura auf das Leid der Flüchtlinge aufmerksam.

Die Routen in Europa sind dicht, der Ansturm von Flüchtlingen in deutsche Kommunen hat deutlich abgenommen. Problem gelöst? „Keineswegs“, sagt der Bergedorfer Ingo Werth. Und das betonte er einmal mehr in der Reinbeker Nathan-Söderblom-Kirche: „70 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Und es werden immer mehr, die ihre Heimat verlassen müssen, denn in den kommenden Jahren nimmt auch die Anzahl der Klimaflüchtlinge zu.“

Zum Nachdenken anregen

Werth und der befreundete Filmemacher Lucian Segura machen das Elend wieder sichtbar: „We exist“ heißt die 45-minütige Dokumentation, mit der die beiden durch Deutschland reisen und die sie nun auch in der Reinbeker Kirchengemeinde präsentierten. Werth und Segura wollen den Film zudem gern auch an Schulen , an Unis, und in anderen interessierten Institutionen vorstellen.

Hier kommen Flüchtlinge zu Wort

Der Film zeigt Szenen aus den vergangenen zwei Jahren aus mehr als zehn Ländern. So kommt etwa Abu Ali zu Wort, der in Homs (Syrien) verletzt wurde und sich nun in einem türkischen Lager zwischen provisorischen Zelten nach einer Arbeit sehnt. Die singende Heline (9) widmet ihr Lied in einem Camp nahe Thessaloniki (Griechenland) ihrer Mutter, die sie in Syrien zurücklassen musste. Segura drehte auch in Senegal und Mali. Er hielt die Kamera auf endlos scheinende Stein- und Sandwüsten, die Menschen zu Fuß durchqueren, immer unterlegt mit afrikanischer und arabischer Musik, um die Zuschauer ohne Sensationshascherei an der Gefühlswelt der Betroffenen teilhaben zu lassen.

„Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab, auch wenn die Europäische Union ihre Politik seit 2015 deutlich in Richtung Abschottung geändert hat“, betont Werth. So erreichten beispielsweise immer noch rund 200 Flüchtlinge pro Tag die griechische Insel Lesbos.

Ingo Werth: „Die Menschen werden erfrieren“

Werth, der ehemalige Kapitän des zivilen Seenotrettungsschiffes „Sea Watch“ sieht die nächste humanitäre Katastrophe auf Europa zukommen: „Das Lager Moria auf Lesbos ist lediglich für 2000 Flüchtlinge gebaut. Mittlerweile leben dort 10.000 Menschen, zum Teil nur unter Plastikplanen, die zwischen Olivenbäumen gespannt sind.“ So könne niemand den Winter überstehen. Werth: „Die Menschen werden erfrieren.“ Gern möchte er mit seinem Verein „Resqship“ vor Ort helfen. „Doch ich sehe dazu noch viele bürokratische Hürden zu nehmen“, so der 59-Jährige.

Zivile Seenotrettung auf dem Meer sei derzeit so gut wie unmöglich. Die italienische Küstenwache, die 2015 ehrenamtlichen Helfer noch unterstützte, hindere sie nun daran, Flüchtlinge zu retten. „Ich habe das selbst erlebt. Wir wollten mit ,Resqship’ 25 Menschen aus einem kleinen Holzboot holen. Doch sie sind alle ertrunken, weil die italienische Küstenwache dazwischen kam“, beschreibt Werth.

Rettungssschiffe werden festgehalten

Zeitweilig wurden die meisten zivilen Rettungsschiffe in den Häfen festgehalten. Allein Malta blockierte die Ausfahrt dreier solcher Schiffe. Die „Sea-Watch 3“ durfte, wie berichtet, kürzlich auslaufen, wird in Spanien überholt. Die Blockade der Schiffe folgt aus Werths Sicht der Politik der EU: „Menschen sollen im Mittelmeer ertrinken. Das soll abschrecken.“

Diese Rechnung gehe jedoch nicht auf. „Ich habe mich mal mit einer von uns geretteten Mutter von drei Kindern aus Nordost-Nigeria unterhalten“, erzählt Werth. Er habe sie gefragt, warum sie sich mit den Kindern in eine solche Gefahr begebe, die Überlebenschancen stünden nur bei 50 Prozent. „Glaubst du, ich bin blöd?“ habe die Mutter geantwortet: „In Nigeria ist unsere Chance 20 Prozent, also ist das eine deutliche Steigerung.“

Aufgeben? Das kommt für die Helfer nicht infrage

Aufgeben kommt für den ehrenamtlichen Helfer Ingo Werth und seinen Freund Lucian Segura nicht infrage. Die beiden sehen das wie Reinbeks Pastorin Barbara Schöneberg-Bohl: „Das bisschen Hilfe, das wir leisten können, mag global keinen Unterschied machen. Aber es macht einen Unterschied für jeden Einzelnen, den wir retten.“