Hamburg. Im Abendblatt-Podcast “Schmeckt’s?“ spricht Handelskammer-Chef Hjalmar Stemmann über die Chancen der Lebensmittelbranche in Hamburg.

Das steigende Interesse an guten Lebensmitteln hat dazu geführt, dass sich in Hamburg – entgegen dem langjährigen Trend – im Genusshandwerk wieder etliche neue Betriebe gegründet haben. „Wir haben 2019/20 fünf neue Bäcker, zwei Brauer und Mälzer, drei Fleischer und sogar 13 Konditoren dazubekommen“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, im Abendblatt-Podcast „Schmeckt’s?“. „Auch ein Müller arbeitet wieder in Hamburg. Und drei neue Speisehersteller.“

Ein Lichtblick nach einer Zeit des Rückgangs. 2020 waren in Hamburg insgesamt 213 Lebensmittel verarbeitende Betriebe in der Handwerksrolle eingetragen, also Mitglieder bei der Handwerkskammer Hamburg. 2010 waren es noch 287 gewesen, und auch in den Zeiträumen davor waren die Zahlen gesunken. Stemmann nennt das „Folgen einer Entwicklung der 1960er- und 1970er-Jahre, die sich vom Handwerk wegbewegt hat“.

Handwerkskammer-Präsident: Genusshandwerker eher auf dem Land

Auf dem Land, so der Kammerchef, seien Genusshandwerker eher zu finden: „Das sind Landschlachtereien, die die Wurst von Tieren verarbeiten, die in der Umgebung aufwuchsen. Oft ist ein kleines Restaurant oder ein Imbiss angeschlossen.“ Inzwischen aber gebe es auch in Hamburg einen Trend zurück zu kleinen Läden und zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. „Einige Betriebsinhaber haben sich dafür entschieden, ihr Handwerk anders zu machen, als es vielleicht in den letzten Jahren der Fall war: viel bewusster mit den Lebensmitteln umzugehen, im Bereich der Fleischerei auf das Tierwohl zu achten, bei den Bäckern Wert auf regionale Rohstoffe zu legen. Mit dem Ziel, das Brötchen, den Kuchen oder ein gutes Stück Fleisch anders herzustellen, als es im industriellen Maßstab üblich ist.“

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Höherwertige Produkte brauchen die passende Kundschaft, so Stemmann. Hamburg biete da gute Voraussetzungen: „Wir haben Stadtteile mit kaufkräftigem Publikum, in denen sich die Menschen bewusst ernähren wollen. Und sich fragen, wer ihnen die Brötchen oder das Fleisch liefert oder wo es guten Kuchen oder Eis gibt. Ich halte das für einen generellen Trend, der über die Pandemie-Einflüsse hinausgeht. Wir werden uns bewusster, was wir der Umwelt und dem Klima antun. Und dass es so nicht weitergeht.“ Die Wochenmärkte spielten bei dem Wandel eine sehr große Rolle: „Ich habe gerade in der ersten Corona-Welle von vielen Betrieben die Rückmeldung bekommen, dass diejenigen, die nur stationäre Geschäfte hatten, Schwierigkeiten bekamen, weil sie nur wenige Kunden gleichzeitig hineinlassen durften. Diejenigen, die auf den Wochenmärkten zusätzlich einen Verkaufsstand hatten, haben davon berichtet, dass ihr Geschäft brummt.“

Junge Meister mit Mut zum eigenen Betrieb

Die Tatsache, dass sich junge Meister vermehrt trauen, einen eigenen Betrieb zu eröffnen, ist für den Kammerpräsidenten ein ermutigendes Zeichen: „Das erfordert Mut. Und ich habe von ihnen viele positive Rückmeldungen, dass sich ihr Mut gelohnt hat.“ Der Weg zur Selbstständigkeit hänge von vielen Faktoren ab: Wie schnell finde ich den passenden Laden? Wie schnell bekomme ich eine behördliche Genehmigung, wenn ich nicht nur verkaufe, sondern auch herstelle? Es seien viele Auflagen zu erfüllen, vor allem bei der Hygiene. Es müsse auch geklärt werden, ob eine frühmorgens einsetzende Produktion durch Lärm oder Gerüche die Nachbarn stört. Die Standortwahl nehme am meisten Zeit in Anspruch, sagt der diplomierte Volkswirt. Anschließend muss der Betrieb eingerichtet werden. Eineinhalb bis zwei Jahre Vorlauf seien durchaus üblich, in Pandemiezeiten noch mehr.

Eine Entwicklung freut Stemmann besonders: die wachsende Craftbeer-Szene in Hamburg. Derzeit sind es sieben Betriebe. „Wir hatten mal über 400 Brauereien in der Stadt, mehr als irgendwo anders in Deutschland oder im Städtebund der Hanse. Am Ende blieben zwei, drei Industriebrauereien übrig, die dann auch noch fusioniert wurden. Als Gegenbewegung hat sich diese tolle Craftbeer-Szene entwickelt, und es kommen noch junge Betriebe hinzu. Inzwischen werden dort junge Brauer ausgebildet. Das zeigt die Kraft des Handwerks.“ Die kleinen Brauereien sehen sich nicht als Konkurrenten, sondern kooperieren miteinander. Sie brauen zum Beispiel einmal im Jahr, im Mai, einen Senatsbock. Jeder für sich, aber mit gemeinsamer Vermarktung. Es gibt dann im guten Lebensmitteleinzelhandel ein Sixpack, wo verschiedene Brauer ihren Senatsbock mit eingebracht haben. Das Bier beruhe auf einer sehr alten Tradition und sei sehr zu empfehlen.

Sorgen bereitet vor allem der mangelnde Nachwuchs

Ein anderer Trend dagegen macht Stemmann Sorgen: der Nachwuchsmangel. „Leider betrifft das auch die Lebensmittelhandwerke“, sagt er. „Wir hatten dieses Jahr stabile Verhältnisse. Bei den Konditoren sind 2021 drei Jugendliche weniger in die Ausbildung gestartet, bei den Fleischern ein paar mehr. Die Bäcker haben einen leichten Zuwachs gehabt, aber wir haben einen sehr großen Einbruch bei den Bäckereifachverkäuferinnen. Da waren im Vorjahr noch 124 neu gestartet, 2021 dagegen nur 52. Viele Lehrstellen sind unbesetzt geblieben.“

Insgesamt könnten die Lebensmittel-Handwerker noch viel mehr junge Leute ausbilden, als im Moment verfügbar seien. Wenn in Familienbetrieben der Nachwuchs nicht ins Geschäft einsteigen will, bleiben drei Möglichkeiten: Der Betrieb wird geschlossen, oder es findet sich ein junger Meister, der ins Geschäft einsteigt und dadurch die vorhandenen Strukturen nutzen kann. Es können sich auch andere Betriebe erweitern und den Betrieb übernehmen. Personalabbau sei dabei nicht zu befürchten, die Betriebe seien froh, weiteres Fachpersonal akquiriert zu haben, so Stemmann.

Das Thema liege der Handwerkskammer am Herzen: „Unsere ,Nachfolgelotsen‘ kümmern sich um nichts anderes, als Betriebsinhaber mit jungen Meisterinnen und Meister zusammenzubringen und dann die Betriebe in der Übergabephase zu begleiten.“