Hamburg. Elf lange Tage diskutierten die Sozialdemokraten ihre K-Frage: Haben sie aus dem Wahldesaster der Union von 2021 nicht gelernt?

Kennen Sie Tim Stoberock? Oder Markus Töns? Zumindest Philipp Türmer? Bislang gehörte es nicht zur politischen Allgemeinbildung, diese drei Herren richtig einzusortieren. Doch in Zeiten der elf Tage währenden politischen Groteske „Olaf Scholz gegen Boris Pistorius“ durfte jeder Sozialdemokrat, der oberhalb vom Unterbezirk ein Amt innehat, auf 15 Minuten Ruhm hoffen. Nur was diese Debatte am Ende bringen sollte, bleibt offen. Gerade für die SPD.

Denn ihre Netflix-reife Serie ist eigentlich nur eine Wiederholung des CDU-Bauerntheaters von 2021 in gesteigerter Dosis. Damals füllten zwei Herren aus der Union über Monate die Schlagzeilen, weil sie sich beide für den besten Kanzler nach Angela Merkel hielten. Das Ergebnis ist bekannt: Am Ende wurde nur einer Kanzler: Olaf Scholz von der SPD.

Hamburger Kritiken: Die SPD wiederholt das Unions-Spektakel von 2021

Außerhalb des Bundeskanzleramts ahnen alle, warum der Sozialdemokrat damals das Rennen machte. Da sich Armin Laschet und Markus Söder beharkten und bekämpften, gingen beide inklusive ihrer Parteien mit schweren Blessuren in den Wahlkampf. Die Wähler mögen zwar Intrigen, Kämpfe und Duelle, am Ende aber wählen sie die Politiker, die ohne großen Stress und Streit Seriosität ausstrahlen. Es ist wie im echten Leben: Streithansel und Gewitterhexen mögen aufregend sein, auf Dauer hält man sich aber von ihnen fern: Kein Schüler wählt sie zum Klassensprecher, kein Sportverein zum Vorstand, kein Unternehmen macht sie zum CEO.

Da mutet es schon bizarr an, dass die SPD, nachdem sich Sozialdemokraten, FDP und Grüne am Kabinettstisch wie die Kesselflicker ins kollektive Umfragetal gekabbelt haben, elf Tage ohne den Gegner weiter streitet. Die Frage drängt sich auf, warum es die Parteiführung versäumt hat, Scholz rechtzeitig als Kandidaten auszurufen und den Funkenflug zu stoppen, bevor er zum Flächenbrand wurde.

Allerdings stellt sich in diesem öffentlichen Selbstmord aus Angst vor dem Tod auch die Frage nach der Rolle der Sterbehelfer – und damit den Medien. Nun ist es selbstverständlich, über Stimmen und Stimmungen zu berichten. Der Machtkampf in der ältesten Partei Deutschland ist ein klarer Fall für Journalisten. Es überrascht aber, mit welcher Verve und Stoßrichtung gegen Olaf Scholz geschrieben und gesendet wird. Jeder Hinterbänkler, der Pistorius fordert, wurde plötzlich ein wichtiger Großstratege, jedes SPD-Vorstandsmitglied, das an Scholz festhalten will, blieb ein langweiliger Parteisoldat.

Alles begann mit einem Internetpost von zwei Hamburger Sozialdemokraten

Erinnern wir uns noch einmal, wer den Stein am 11. November mit ins Rollen brachte: Es waren die SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Markus Schreiber und Tim Stoberock, Distriktchef von Hummelsbüttel. Beide waren bis dahin kaum als Instagram-Influencer bekannt. Stoberock lädt sonst zum „rustikalen Gaumenfest“ ins Museumsdorf Volksdorf, Markus Schreiber erzählt von seinem Besuch auf dem Grünen Bunker. Ihrer beider Netzgemeinden waren bis zum Impuls für Boris Pistorius so groß wie ein holsteinischer Flecken.

Als hätten sie darauf nur gewartet, stürzten sich dann alle großen Medien von „Bild“ bis „Spiegel“, vom NDR bis ntv darauf und verbreiteten den Aufruf – was sie vergaßen zu erzählen: Markus Schreiber musste 2012 seinen Hut als Bezirksamtsleiter nehmen, nachdem der damalige Bürgermeister ihn dazu gedrängt hatte. Der hieß Olaf Scholz. Zufall? Aber egal. Die Forderung war in der Welt. Es gab dafür einen Resonanzboden, aber die mediale Verstärkung verwunderte.

Atemlose Suche nach Scholz-Gegnern und Pistorius-Fans

Zumal sie bis zum Rückzug von Pistorius nicht nachließ. Elf Tage lang fanden sich in der Republik ausreichend unzufriedene Genossen. Der gute Markus Töns ist Sprecher der Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet. Wahrscheinlich freute er sich, dass der „Stern“ ihn angefragt hatte, und ließ ausrichten, Pistorius sei besser für den Neustart geeignet als Olaf Scholz. Philipp Türmer wiederum ist Juso-Chef und hält die K-Frage ungefähr seit dem Urknall für offen, kommt damit aber tagtäglich immer wieder in unterschiedliche Medien.

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Schließlich mussten all die Live-Ticker um die Schlacht ums Kanzleramt minütlich befeuert werden, zur Not taten es auch Umfragen oder Votings, die Scholz als Loser und Pistorius als Sieger präsentierten. Und mittenmang dabei Ex-Genossen oder Politologen, die in ihrer großen Weisheit verkünden, die Frage sei „eigentlich für Pistorius entschieden“. Na, denn.

Nur noch eine Frage: Was macht das eigentlich mit den Wählern?