Hamburg. Pieter Wasmuth war Manager bei Shell, dem Windanlagenbauer Repower und Vattenfall. Er sieht den deutschen Wohlstand bedroht.

Es ist genau zwei Jahre her, da sorgte ein Interview im Hamburger Abendblatt für Aufsehen. Der langjährige Energiemanager Pieter Wasmuth warnte angesichts der Energiepolitik: „Der deutsche Mittelstand stirbt bereits.“ Nun hat er das alte Gespräch auf LinkedIn noch einmal geteilt und Hunderte Reaktionen ausgelöst. Zeit für ein Update.

Hamburger Abendblatt: Alte Interviews elektrisieren nur selten – hat Sie die Reaktion jetzt überrascht?

Pieter Wasmuth: Ja, ich fand es interessant, weil sich die Diskussion seitdem ziemlich verändert. Vieles, was damals niemand lesen und hören wollte, findet jetzt Zustimmung. Inzwischen spüren viele, unter welchem Druck die Industrie steht. Wir müssen uns endlich mit den Grundlagen beschäftigen, wie dieses Land funktioniert – und dass es wieder funktioniert.

Sie haben damals ausgesprochen, was viele andere nur im Hintergrund gesagt haben. Warum hat gerade den Managern so lange der Mut gefehlt, Tacheles zu reden?

Weil Manager Manager sind – und keine Unternehmer. Gerade große Unternehmen sind eng mit Gewerkschaften und Politik verwoben und scheuen ein offenes Wort, weil es Ärger gibt. Das ist menschlich – ich war auch Manager und kenne die Zwänge, keinen verärgern zu wollen. So haben wir uns in eine Lage manövriert, die an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ erinnert. Alle sagen, wie schön diese Kleider sind. Langsam dämmert uns: Der Kaiser ist nackt.

Ex-Hamburger Shell-Manager Wasmuth: „Unternehmer gehen nicht auf die Straße, die gehen weg“

Sie sind damals sehr pessimistisch gewesen. Bezogen auf den Gasmangel ist es so schlimm nicht gekommen...

Wasmuth: Das stimmt. In der Krise aber sind wir zwei Jahre weiter. Ich sehe überall Sanierungen und Restrukturierungen. Schlimmer noch: Unternehmen kennen Durststrecken, aber diese ist fundamental: Es geht nicht nur um hohe Energiekosten, sondern auch um bürokratische Fußfesseln. In der Summe geht es um den Standort, und die Stimmung hat sich weiter eingetrübt: Unternehmer aber gehen nicht auf die Straße, die gehen weg.

Aber die Energiepreise sind nicht so deutlich gestiegen, wie noch vor zwei Jahren befürchtet.

Das ist richtig, aber Energie ist heute ungefähr doppelt so teuer wie vor der Krise. Und der Preis wird durch die CO2-Bepreisung weiter steigen. Das alles ist für die energieintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, zu viel. Inzwischen sehen wir einen sinkenden CO2-Ausstoß in Deutschland – weil Produktionen geschlossen oder verlagert werden. Einige bejubeln das noch. Ich nicht.

Es war doch erklärtes Ziel, die Emissionen zu senken.

Aber doch nicht so! Der globale Bedarf sinkt nicht, viele Produktionen werden in andere Staaten verlagert – und dort ist die CO2-Bilanz oft schlechter. Man muss verstehen, dass viel Wertschöpfung auf die Grundstoffindustrie aufbaut. Und wenn die weg ist, fällt auch das weg. Deutschland stellt vor allem Spezialstahl her, etwa für den Flugzeug- oder Automobilbau. Hamburg ist da ein schönes Beispiel: Airbus lebt auch vom Stahl von Arcelor oder dem Aluminium von Trimet. Diese Nähe war immer eine Stärke des Standorts – und droht nun verloren zu gehen. Es ist wie in der Küche – der Koch braucht für neue Rezepte Zucker und Salz. Wenn er dafür erst über die Straße laufen muss, schadet das der Innovationskraft

Die deutsche Wirtschaft gilt als sehr gut vernetzt und integriert – alles hängt mit allem zusammen. Brechen nun Räder aus dieser Erfolgsmaschinerie?

Einige Zacken sind schon herausgebrochen, das ist unübersehbar. Wir wagen ein gefährliches Experiment, weil wir nicht wissen, welche Folgen das hat und was mit der Wirtschaft passiert. Die Arbeitsplätze, die jetzt verschwinden, kommen nicht wieder, die sind weg. An jedem Industriearbeitsplatz hängen 2,5 bis drei nachgelagerte Jobs bei Dienstleistern und Zulieferern. Die verschwinden mit. Wenn VW 30.000 gut bezahlte Jobs abbaut, betrifft das am Ende bis zu 90.000 weitere Arbeitsplätze – bis zur Currywurst-Produktion für die berühmte VW-Kantine.

Energiekrise: Hamburger Manager sieht deutsches Erfolgsmodell in Gefahr

Die Probleme liegen aber nicht nur in den Energiepreisen.

Das ist richtig. Es ist aber eine wichtige Facette. Günstige Energie und deren zuverlässige Verfügbarkeit sind eine entscheidende Grundlage. Unser Erfolgsmodell war eine auf den Export ausgerichtete Industrie mit einer hohen Innovationskraft, die sich auf gut ausgebildete Arbeitnehmer und eine gute Infrastruktur stützen konnte. Auch das gerät ins Rutschen. Wer investiert, kalkuliert auf die Zukunft. Und die sieht hierzulande gerade nicht rosig aus. Anderswo sind die Rahmenbedingungen längst besser.

Immerhin haben wir es zuletzt geschafft, den Anteil von Wind und Sonne deutlich zu erhöhen.

Das stimmt, aber ist auch differenziert zu betrachten. Im Oktober stammte unser Strom zu 30 Prozent aus Kohle, im November wird es noch mehr – eben weil die Sonne in den dunklen Monaten nur wenig Energie liefert und bei der berüchtigten Dunkelflaute auch noch der Wind ausbleibt. Parallel diskutiert Brüssel, diesen CO2-Fußabdruck bei in Deutschland produzierten E-Autos in die Klimabilanz mit einzuberechnen..

Peter Wasmuth: „Volkswirtschaftlich betrachtet ist das Irrsinn“

Vor einigen Tagen wurden die Schornsteine von Moorburg gesprengt, eines der modernsten Kohlekraftwerke im Land. Sie haben es damals fertig gebaut. Was haben Sie gedacht?

Bei der Inbetriebnahme 2017 war Olaf Scholz dabei – und hielt das Kraftwerk damals noch für richtig, weil er technologieoffen Klimaschutz vorantreiben wollte. Natürlich kann man über Kohle diskutierten – aber 2011 war uns der Atomausstieg wichtiger. Beides zusammen hielt die Politik damals für unmöglich. Und hat dann doch den Kohleausstieg vorangetrieben. Also sollte Gas das Problem lösen, wie auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht. Russisches Gas gibt es seit 2022 nicht mehr – trotzdem hat man die Atomkraftwerke im April 2023 abgeschaltet und Moorburg auch. Manche in der Politik haben sich darüber gefreut. Seltsamerweise aber läuft das viel dreckigere und dramatisch ineffizientere Kohlekraftwerk in Wedel munter weiter. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das Irrsinn. Und ökologisch auch: Während wir jetzt so viel Kohle in alten Anlagen verfeuern, ist das modernste Kohlekraftwerk in Moorburg vom Netz. Vattenfall wollte Wedel übrigens durch ein Gaskraftwerk ersetzen, es gab schon eine Baugenehmigung – aber dann kam 2015 der rot-grüne Senat.

Nun gilt Wasserstoff als Hoffnungsträger ...

Wir brauchen Wasserstoff als Speichermedium, wenn wir nachhaltig werden wollen. Das ist heute noch teuer, aber das wird sich ändern. Auch Wind- und Solarenergie waren einst sehr teuer. Wenn wir eines Tages Wasserstoff etwa in Nordafrika mit Photovoltaik erzeugen, wird das günstig möglich sein. Man könnte daraus Methanol oder Methan herstellen, in dem abgespaltenes CO2 hinzugefügt wird. Global betrachtet führt an Wassersoff kein Weg vorbei – ebenso wenig wie an der CO2-Abspaltung. Aber es wird wohl nie so günstig, wie das russische Pipeline-Gas war. Und klar ist auch: Rund 70 Prozent unseres Wasserstoffbedarfs werden wir importieren müssen.

Wir laufen also in neue Abhängigkeiten?

Wenn wir es so machen wie derzeit, auf jeden Fall. Hinzu kommt ja auch, dass wir unsere eigenen Gasvorkommen nicht nutzen wollen, aber gern Fracking-Gas aus anderen Staaten kaufen. Wir werden das Klima aber nicht allein retten, wenn wir klimaneutral wirtschaften. Zumal viele der energieintensiven Betriebe eben nur verdrängt werden und anderswo produzieren, etwa in China. Global hilft das nicht. Eimsbüttel mag klimaneutral werden, aber der Klimawandel mit Starkregen oder Hitzewellen wird den Stadtteil genauso treffen.

Ex-Vattenfall-Manager: „Moorburg hätte nicht plattgemacht werden dürfen“

Was hat denn die Ampel gut gemacht?

Leider nicht so viel. Die Koalition hat nicht auf die großen Herausforderungen der Zeitenwende und auf den Ausfall der Gaslieferungen reagiert. Immerhin standen die letzten drei Kernkraftwerke für zehn bis 13 Prozent der Stromerzeugung. Moorburg hätte nicht plattgemacht werden dürfen. Inzwischen sieht die Politik das auch selbstkritisch. Übrigens ist auch kein einziges der beschlossenen Gaskraftwerke ausgeschrieben worden. Das aber sollte der Kern unserer Strom- und Wärmeversorgung werden. Ich nehme einen Glaubwürdigkeitsverlust des Staates wahr. Denn derselbe Staat, der bis 2045 klimaneutral werden will, hat den Deutschlandtakt beim Staatsunternehmen Deutsche Bahn auf das Jahr 2070 verschoben.

Was müsste jetzt geschehen?

Das wird ein Problem: Die stillgelegten Kraftwerke werden wir nicht ohne Weiteres wieder schnell in Kraft setzen können, die werden längst zurückgebaut. Und mit jedem Tag, den der Rückbau nicht gestoppt wird, wird dieser Rückweg immer länger. Die Unternehmen werden das sicherlich nicht freiwillig machen, weil sie nicht wissen, ob das nach der nächsten Wahl wieder kassiert wird. Wir sind momentan auf unsere europäischen Nachbarn angewiesen. Die liefern die Energie nicht aus Nächstenliebe, sondern lassen sich das teuer bezahlen. Absurd ist, dass wir Österreich dafür mitunter bezahlen, unseren Überschuss an Sonnen- und Windstrom abzunehmen. Dann nutzen sie den Strom, um die Pumpspeicherkraftwerke in Gang zu setzen – und verkaufen später den Strom nach Deutschland zurück.

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Sind Sie heute optimistischer oder pessimistischer als vor zwei Jahren?

Weder noch. Die Politik hat noch immer nicht erkannt, auf welchem Holzweg sie ist. Die Unternehmen und die Bevölkerung begreifen langsam die Dimension. Wir müssen uns neu erfinden, wir brauchen eine Agenda 2030, die drei Themen anpackt: die Energiepolitik, die Bildungspolitik und die Entbürokratisierung. Das ist die Basis. Wenn uns das nicht gelingt, werden am Ende die Populisten profitieren.