Hamburg. Gleich mehrfach sprang die Hamburger Morgenpost dem Teufel von der Schippe. Ein neues Buch setzt der ungewöhnlichen Boulevardzeitung ein Denkmal.
Beginnen wir mit einem Witz: Was ist das? Zwei Typen an der Autobahnauffahrt, die ihre Daumen hochhalten? Fotograf und „Mopo“-Reporter auf Dienstreise.
Gut, das ist gemein – gerade von der Konkurrenz. Doch den Witz erzählen die Kollegen der „Hamburger Morgenpost“ selbst – und er hat Eingang gefunden in ein liebevolles Buch über die vielleicht ungewöhnlichste Boulevardzeitung des Landes: „Morgen wird nicht gedruckt. Papier ist alle“, heißt es – ein 352 Seiten langer Ritt durch die Geschichte der Hamburger Marke. Die Zeitung war schon klamm, als in der Branche das Geld noch aus der Wand kam – und hat inzwischen viele frühere Goldesel überlebt.
Ein faszinierender Besuch im „Mopo-Zirkus“
Die Geschichte der „Hamburger Morgenpost“ bewegt. Und der reich und liebevoll bebilderte Jubiläumsband ist, wie Autor Carsten Gensing schreibt, ein faszinierender Besuch im „wunderbaren Mopo-Zirkus“. Man liest und lernt viel über den Journalismus in der frühen Bundesrepublik im Allgemeinen und bei der „Mopo“ im Besonderen, über Irrungen und Wirrungen einer besonderen Medienmarke, über Stadt und Land, vor allem aber über die Menschen, die die „Mopo“ gemacht haben. Man muss nicht aus dem Journalismus kommen, um sich zu wundern, wer bei der kleinen Zeitung groß herauskam.
Der „Superminister“ unter Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, war dort Chefredakteur, der erfolgreiche Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner ebenso, die heutige „Bild“-Chefin Marion Horn auch. Der Antifaschist Heinrich Braune sowieso. Der spätere Wirtschaftsminister Bernd Buchholz war Verlagsleiter.
Die kleine Zeitung brachte große Namen hervor
Aber ebenso sind es die Namen, die vielleicht nur die Leser kennen: Die legendäre Fotografin Erika Krauß, der Chefredakteur der Herzen Jan Haarmeyer, der danach zum Abendblatt wechselte, die Society-Urgesteine Doris Banuscher und Jürgen Joost, Enthüllungsreporter Gerd-Peter Hohaus, der ewige Betriebsrat Holger Artus oder Polizeireporter Thomas Hirschbiegel.
Besonders interessant liest sich die jüngste Rettungsgeschichte, als der New-Economy-Unternehmer Arist von Harpe 2020 die „Mopo“ übernahm – gegen die wirtschaftliche Vernunft, aber mit heißem Herzen. Es war die letzte Rettung einer Totgesagten, die schon mehrfach dem Teufel von der Schippe sprang.
Einmal retteten nur die Ersparnisse der Mitarbeiter die Zeitung
Zwischenzeitlich mussten „Mopo“-Redakteure sogar mit eigenem Geld aushelfen, um den Verlegern Geld für die Druckerei zu pumpen. Schon 1980 wäre fast Schluss gewesen – hätten nicht zwei skurrile Brüder aus der Schweiz die Boulevardzeitung gekauft. Immer wieder steht das Blatt vor der Einstellung – über Jahre retten nur Prostituierteninserate unter der Rubrik „Treffpunkt“ das Blatt.
Viele Verleger versuchen sich an der „Mopo“: Die SPD, Gruner + Jahr, Neven DuMont oder Frank Otto und Hans Barlach – sogar eine Heuschrecke in Person von David Montgomery ist dabei. Das Sprunghafte in der Besitzerstruktur wird durch Kontinuität im Mitarbeiterstamm wettgemacht. Viele Redakteure sind Überzeugungstäter, arbeiten und leben für die „Mopo“.
Unterhaltsame Selbstbetrachtung und ehrliche Selbstkritik
Bei allem Selbstbewusstsein betreibt das Buch ein wenig Geschichtsklitterung (gut, das Terrornest des 11. September hatte zuerst der heutige Abendblatt-Polizeireporter André Zand-Vakili ausfindig gemacht), aber viel ehrliche Selbstbetrachtung und Selbstkritik: „Die Unterschiede zwischen ,Bild‘ und ,Mopo‘ sind marginal“, heißt es etwa bei der Beschaffung von Bildern von Opfern.
Der Leser bekommt Einblicke in ausufernde Feste und zugleich eine kritische Betrachtung von Suff und Schreiberei. „Um runterzukommen, wir mussten den ganzen Quatsch, den wir da zwölf Stunden erlebt hatten, irgendwo lassen – und dann haben wir gesoffen“, beschreibt es Haarmeyer. Genie und Wahnsinn liegen manchmal eng beieinander - auch bei einer Zeitung. Und das bisschen Eitelkeit und Agitprop im Buch seien einer 75-Jährigen verziehen.
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Im Interesse der Stadt, der Kollegen, ja des Journalismus insgesamt, muss man der „Mopo“ zum 75. Geburtstag gratulieren. Und zu diesem Buch.
Morgen wird nicht gedruckt. Papier ist alle. Sternstunden, Wahnsinn, Selbstausbeutung: 75 Jahre Morgenpost. Junius, 352 Seiten, 29,90 Euro.