Hamburg. Stephan Reimers, Kopf hinter zahlreichen sozialen Projekten der Stadt, initiiert den „Hamburger Tag des Ehrenamtes“. Was er sich verspricht.
Er ist viel zu bescheiden, um das selbst so auszudrücken. Aber Stephan Reimers, Theologe, Politiker, Diakoniechef, ist der Mann, der Hamburg besser gemacht hat: Er ist das soziale Gewissen einer prosperierenden Wirtschaftsmetropole. Zwischen 1993 und 1997 hat maßgeblich Reimers in Hamburg sechs Projekte für Menschen, die unter Obdachlosigkeit oder Isolation leiden, angeschoben: „Hinz&Kunzt“ (1993), die Hamburger Tafel (1994), die Kirchenkaten (1995), das Spendenparlament (1995), den Mitternachtsbus (1996) und die Rathauspassage (1997).
Reimers hat mit diesen Projekten den Blick der Hamburger für die Menschen am Rand der Gesellschaft geschärft. Jetzt treibt ihn eine neue Idee um: ein „Hamburger Tag des Ehrenamtes“. Reimers will damit Hunderttausende von Menschen feiern, die dem „Leben einen Sinn geben“.
Die Idee kam Reimers am selben Ort, an dem er 1992 „Hinz&Kunzt“ erfunden hat: auf Bornholm. Auf der dänischen Insel reifte in ihm im Sommer 1992 – geprägt durch die Scharen obdachloser Menschen im Hamburg der Nachwendezeit – der Entschluss, sich das Londoner Obdachlosenheft „The Big Issue“ zum Vorbild zu nehmen. Auf Bornholm bereitete sich der heute 80-Jährige im Sommerurlaub auch auf seine Festrede zum ASB-Jubiläum an diesem Donnerstag vor. Im Volksparkstadion feierte der Arbeiter-Samariter-Bund den 75. Jahrestag seiner Neugründung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Verbot während der Nazi-Diktatur.
Was das „Gewissen der Stadt“ für Hamburg plant
Es gibt schon etliche dieser „Tage des Ehrenamts“. Am 5. Dezember ist der von den Vereinten Nationen beschlossene „Internationale Tag“, an dem sich Umweltschützer, freiwillige Feuerwehren, Jugendverbände oder Sportvereine feiern. Oft tun sie es aber auch nicht. Es gibt Preise, mit denen Parteien, Stiftungen oder Vereine besonders engagierte Frauen und Männer in „Wochen des Ehrenamts“ würdigen. Viele Vereine und Organisationen feiern sich im Stillen. Aber niemand organisiert eine Würdigung hamburgweit für die mehreren Hunderttausend Freiwilligen. Geschätzt wird, dass sich jeder dritte Hamburger ehrenamtlich engagiert. Ohne sie bräche das Gemeinwesen schlicht zusammen.
„Dieser Tag wäre eine Gelegenheit zum Innehalten und Atemholen. Freiwillige könnten sich über das von ihren Teams Geleistete freuen und über Veränderungen nachdenken“, beschreibt Reimers den Vorteil einer zentralen Feier – zum Beispiel auf dem Rathausmarkt. „Die Idee entstand, als ich die Festrede schrieb und mir klar wurde, wie viel wertvolle Arbeit die Freiwilligen in dieser Stadt leisten. Das muss gewürdigt werden, und zwar nicht nur in der jeweiligen Einrichtung.“ Eine zentrale Veranstaltung würde die unterschiedlichsten Vereine und Organisationen zusammenbringen, und alle könnten voneinander lernen, sagt Reimers. Man könne so gemeinsam Freude über die Vielfalt des Engagements ausdrücken und zugleich in Diskussionsformaten Ehrenamtlichen die Möglichkeit zur Präsentation und Selbstreflexion ihrer Arbeit bieten.
570.000 Hamburger engagieren sich in ihrer Freizeit
Laut Sozialbehörde engagieren sich in Hamburg 570.000 Menschen ehrenamtlich – im Sozialen, mehr noch in den Bereichen Sport, Kultur oder Musik. „Sie alle prägen durch ihre Teilhabe das demokratische und soziale Klima unserer Stadt. Ist das nicht ein Grund zur Freude und zum Feiern?“, fragt Reimers. Der Staat lebe schließlich von der moralischen Substanz seiner Bürger. „Wer soziale Empathie verspürt und sich in andere Menschen hineinversetzt, der wird immun gegen politische Parolen, die unser Land spalten und gegen Minderheiten und Schwache hetzen“, ist der Theologe überzeugt, der bei vielen seiner Ideen anfangs eher belächelt wurde.
„Die Wertschätzung, die dieser Tag ausdrücken soll, könnte auch daran sichtbar werden, dass die schönsten zentralen Gebäude der Stadt diesem Fest als Treffpunkte ihre Türen öffnen. Ich denke an das Rathaus, die Handelskammer und die Hauptkirchen St. Petri und St. Michaelis. Die Ehrenamtlichen aus Chören und freien Orchestern würden ihre Kunst beitragen, und auf dem Rathausmarkt sportliche Darbietungen, Hip-Hop und Trommelgruppen das Fest bereichern“, schwärmt Reimers.
Was der ASB-Chef von der Idee hält
Ein „Fest des Ehrenamts“ – das ist Reimers Traum. Der Ball liegt jetzt im Spielfeld des Senats. Mit Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) war am Donnerstag die zuständige Ansprechpartnerin in der Landesregierung zur ASB-Feier erwartet worden. Der Gastgeber jedenfalls greift Reimers Idee begeistert auf. „Wir als ASB begrüßen die Idee“, sagt ASB-Chef Marcus Weinberg. Beim Arbeiter-Samariter-Bund engagieren sich zwischen 600 und 800 Hamburger. „Ehrenamtliche sind der Goldschatz unserer Gemeinschaft, ohne sie wären viele Angebote für die Hamburgerinnen und Hamburger in ihren konkreten Lebenssituationen nicht umsetzbar“, würdigt der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Weinberg.
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Politische Sonntagsreden über das Ehrenamt seien schön, aber in das Bewusstsein für das konkrete Handeln gelange man erst über solche besonderen Tage, sagt er. Eine gemeinschaftliche Wahrnehmung wäre eine gute Gelegenheit für das Ehrenamt, auf neue Herausforderungen und Probleme aufmerksam zu machen und um Unterstützung zu werben. „Gerade in der heutigen Zeit von Polarisierung und Spaltungstendenzen braucht der Zusammenhalt unserer Gesellschaft und unsere Demokratie Bindungselemente wie das Ehrenamt“, sagt Weinberg.