Hamburg. Gespräche über Sex sind schwierig. Die Hamburgerin Katrin Hinrichs führt sie täglich – und kommt dabei zu erstaunlichen Erkenntnissen.
Wenn es um Fragen zur Sexualität in allen Altersstufen geht, ist sie die richtige Ansprechpartnerin: Katrin Hinrichs sitzt gerade an einem neuen Buch zu dem Thema, von ihrem Podcast „Ich frage für einen Freund“, den sie zusammen mit Hajo Schumacher macht, ist vor Kurzem die 100. Folge erschienen – ihn hören inzwischen Zehntausende Frauen und Männer. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht die Hamburger Sexualtherapeutin über ihren ungewöhnlichen Berufsweg, den ersten Patienten und äußert ihr Erstaunen darüber, dass überhaupt noch jemand Sex hat. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider
Das sagt Katrin Hinrichs über …
… den Wunsch, mit Mitte 40 Sexualtherapeutin zu werden: „Ich habe nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre und als Nebenfach Psychologie studiert und danach bei Axel Springer gearbeitet, bis ich das erste Kind bekommen hatte. Danach ergab es sich, dass meine Schwester eine Casting-Agentur für TV- und Werbeaufnahmen gegründet und mich gefragt hat, ob ich nicht bei ihr einsteigen möchte. Was ich sehr gern und insgesamt 14 Jahre gemacht habe, so lange gab es die Firma. Und dann kam ich an einen Punkt, an dem ich mich gefragt habe: Was willst du mit dem Rest deines Berufslebens anfangen? Ich war auf der Suche nach einem Neuanfang. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin eines Morgens dann aufgewacht und war fest entschlossen, Sexualtherapeutin zu werden.“
… ihren Berufswunsch, den sie lange geheim gehalten hat: „Ich habe meinen Wunsch, Sexualtherapeutin zu werden, lange für mich behalten, anfangs nur enge Vertraute eingeweiht – ich wollte erst einmal für mich herausfinden, ob ich das überhaupt kann. Und ich hatte keine Lust auf Diskussion mit Leuten, die mich für verrückt erklären, nach BWL-Studium und Casting-Agentur noch mal von vorn anzufangen. Und zwar mit einer Praxis, in der es um Sex und Beziehungen geht. Bevor ich mit der Ausbildung begonnen habe, habe ich bei Ann-Marlene Henning hospitiert, ein Jahr lang, um zu sehen, was auf mich zukommt. Und danach ging es los, insgesamt hat die Ausbildung zur klinischen Sexologin rund sechs Jahre gedauert. Meine Praxis habe ich dann mit Ende 40 eröffnet.“
… die Praxis in Eppendorf: „Obwohl ich in Blankenese lebe, und das sehr gern tue, wollte ich immer eine Praxis in Eppendorf haben. Nicht weil ich geglaubt habe, dass dort überproportional viele Klienten wohnen könnten, sondern, weil Eppendorf gut erreichbar ist. Inzwischen kommen viele Menschen aus anderen Teilen Deutschlands zu mir, vor allem aus dem Süden, neulich war sogar ein Paar aus Österreich hier.“
… den ersten männlichen Patienten: „Den werde ich nie vergessen. Er hatte eine Überweisung von seinem Sexologen erhalten, auf der nur mein Nachname stand. Als ich dann die Tür aufmachte und er mich sah, sagte er: „Oh nein, Sie sind ja eine Frau.“ Ich erwiderte: „Und das wird sich innerhalb der nächsten Stunde auch nicht ändern …“ Er ist dann geblieben, und wir haben uns so gut verstanden, dass er insgesamt 15-mal zu mir gekommen ist.“
… schwierige Gespräche über Sexualität: „Wer hat schon gelernt, über Sexualität zu sprechen? Kaum jemand. Deshalb fällt es vielen meiner Klienten nicht leicht, einen Termin bei mir zu machen. Und wenn sie erst einmal da sind, müssen sie erst einmal herunterkommen. Ich sage dann Sachen wie: „Sie haben ja bestimmt eine Idee, warum Sie hier sind, und ich würde Ihnen gern dabei helfen“ oder, noch neutraler: „Was ist denn ihr Projekt?“ Das ist viel besser, als das Gespräch mit der Suche nach einem Problem zu beginnen.“
… zwei Lebensphasen, in denen es keine sexuellen Probleme gibt: „70 Prozent meiner Klienten kommen allein, 30 Prozent mit ihrem Partner beziehungsweise ihrer Partnerin. Was alle verbindet, sind die zwei Situationen, in denen der Sex anscheinend perfekt läuft: am Anfang einer Beziehung, wenn man frisch verliebt ist, und in der Phase, in der man sich Kinder wünscht. Aber was gerade die Herren nicht wissen: Viele Frauen schöpfen ihre Lust aus der Emotionalität, das heißt, sie haben Lust auf Sex, weil sie mit einem bestimmten Mann zusammen sein wollen, und später kommt der Wunsch nach Kindern. Fallen diese beiden Anreize weg, kann eben auch das sexuelle Verlangen deutlich geringer werden. Ich sage dann gern: Das Herz ist voll, es hat alles, was es braucht. Warum soll ich dann noch den doppelten Rittberger vom Schrank machen?“
Entscheider treffen Haider
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… absichtslose Berührungen: „Es gibt, was Sex angeht, oft eine Person, die mehr Lust auf Sex hat, und eine, die weniger Lust hat, wobei die Rollen auch wechseln könnte. Das muss man wissen, weil der Wenig-Wollende jede Berührung des Mehr-Wollenden als Signal interpretieren kann, dass es gleich wieder losgehen könnte – was den Wenig-Wollenden unter Druck setzen kann. Deshalb empfehle ich meinen Klienten, etwas zu praktizieren, was ich absichtsloses Berühren nenne. Soll heißen: Ein Partner muss dem anderen auch mal eine schöne Rückenmassage anbieten, ohne dabei gleich Hintergedanken zu haben, und darf nicht sauer sein, wenn der Partner oder die Partnerin dabei einschläft. Wir sind alle keine Berührungskünstler, aber wir können das lernen.“
… die größten Sex- und Beziehungs-Killer unserer Zeit: „Es ist erstaunlich, dass Menschen im 21. Jahrhundert überhaupt noch Sex haben, angesichts des ganzen Stresses, dem sie ausgesetzt sind und/oder den sie sich selbst machen. Und der schlimmste Gegner einer guten und erfüllenden Sexualität sind die ganzen Bildschirme, mit denen wir uns umgeben und die uns auch den letzten Rest an Aufmerksamkeit rauben, den wir nach einem anstrengenden Tag noch übrig haben. Alles ist wichtiger als Sex, das ist das Problem. Und dabei ist es mit der Beziehung und dem Sexleben wie mit dem Garten: Wenn du nichts tust, wenn du sie nicht pflegst, werden sie eingehen.“