Hamburg. Naturschutzbund kritisiert, dass es in Hamburg viel zu viele Autos gibt. Und er fordert, stärker als bisher in die Höhe zu bauen.
Er hat mehr Mitglieder als die großen Parteien – und in den vergangenen Jahren stark an politischen Einfluss gewonnen. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat allein in Hamburg mehr als 30.000 Menschen hinter sich. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ sagt Nabu-Chef Malte Siegert, warum klare Regeln für den Schutz der Natur so wichtig sind, was die Zahl der Autos in Hamburg mit bezahlbarem Wohnungsbau zu tun hat – und warum wir die Bedeutung von Mücken unterschätzen. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider
Das sagt Malte Siegert über …
… Lina Hähnle, mit der alles begann: „Lina Hähnle war eine Unternehmergattin aus Stuttgart, die 1899 den Bund für Vogelschutz gründete, die Vorgängerorganisation des Nabu. Sie hat sich damals aufgeregt über die Damen ihrer Zeit, die immer bunte Vogelfedern an ihren Hüten trugen, und wollte die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, wie wichtig der Vogelschutz ist. Das ist auch der Grund dafür, warum sich der Nabu bis heute stark darum kümmert. Bedeutender geworden ist der Nabu ab den 90er-Jahren, als er sich nach der Wende mit Ostnaturschutzverbänden zusammengetan hat. Daraus entwickelte sich eine politisch deutlich stärkere Rolle . Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir vor allem ein Verband, der sich vornehmlich um den praktischen Naturschutz gekümmert hat, etwa bei der Betreuung von Naturschutzgebieten.“
… die Sorge um das Image Hamburgs als grüner Großstadt: „Der Auslöser für unsere Volksinitiative ‚Hamburgs Grün erhalten‘ war 2016 eine Aussage des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz, dass Hamburg fortan 10.000 Wohnungen im Jahr bauen und nie wieder damit aufhören würde. Wir haben uns gedacht: Wenn er das ernst meint, ist irgendwann die gesamte Fläche Hamburgs bebaut und versiegelt, so weit darf es nicht kommen. Am Ende haben wir uns mit der Hamburgischen Bürgerschaft darauf geeinigt, dass zehn Prozent der Fläche als Naturschutzgebiete und weitere 20 Prozent Landschaftsschutzgebiete gesichert werden. Das heißt, ein Drittel der Stadt bleibt grün und darf nicht bebaut werden. Dazu haben wir uns über viele Maßnahmen geeinigt, mit denen das Grün ausgebaut und die Biodiversität in Hamburg gestärkt werden.“
… Strategien für einen anderen Wohnungsbau: „Wir werben dafür, dass man sich für den Wohnungsbau die Teile Hamburgs ansieht, die schon versiegelt sind. Das sind zum Beispiel Teile des östlichen Hafens, das sind aber auch Gelände von Discountern, wo es außer Parkplätzen nur einen Flachbau gibt, wo man leicht aufstocken könnte. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt fährt, wird man viele Orte finden, an denen man ganz leicht in die Höhe gebaut werden kann. Und das sollte aus unserer Sicht Priorität haben, genauso wie die Entwicklung von Wohnungen an den Hauptverkehrsstraßen.“
… die Reduzierung von Autos, die auch dem Wohnungsbau nutzen würde: „Wir haben in Hamburg rund 800.000 Pkw angemeldet. Wenn man die alle nebeneinanderstellen würde, hätte man etwa die siebenfache Fläche der Außenalster. Will sagen: nur die Häfte der Menschen besitzt überhaupt ein Auto, sie nehmen in Hamburg aber sehr viel Platz weg, den wir besser für den Wohnungsbau oder Grünflächen nutzen könnten. Auch deshalb ist es so wichtig, den individuellen Verkehr deutlich zu reduzieren. Dabei geht es nicht nur um eine Verringerung von Luftverschmutzung oder Lärm. Je mehr die Menschen gemeinsam Fahrzeuge – also Carsharing-Angebote – nutzen, desto mehr nutzt das allen.“
… Kreuzfahrtschiffe: „Der ehemalige Leiter Luftreinhaltung beim Umweltbundesamt hat 2010 den Nabu dafür gewonnen, sich genauer mit Kreuzfahrtschiffen und deren Auswirkungen auf die Umwelt zu beschäftigen – was in einer Hafenstadt wie Hamburg nahelag. Inzwischen haben wir sowohl bei der Schifffahrt als auch beim Thema Hafenentwicklung wirklich profunde Kenntnisse, ich selbst habe mehrere internationale Projekte begleitet. Durch unseren Druck haben wir entscheidend dazu beigetragen, dass Hamburg einer der Vorreiter war, was die Landstromversorgung von Schiffen angeht. Inzwischen sind wir auch in der maritimen Wirtschaft gern gesehen, weil man dort weiß, dass wir uns mit den Themen wirklich intensiv auseinandersetzen. Auch international ist unsere Expertise gefragt. Ich war zum Beispiel mit internationalen Experten vom chinesischen Umweltministerium eingeladen worden, um darüber zu berichten, wie man eine sogenannte „Emission Control Area“ in chinesischen Gewässern einrichten kann. Für das Mittelmeer hat der Nabu ein solches Emissionskontrollgebiet erfolgreich mit dem französischen Umweltministerium angeschoben“
… Umweltschutz in China, der besser ist als sein Ruf: „Auf der einen Seite emittieren die Chinesen nach wie vor natürlich ziemlich viel schädliche Abgase und CO2. Auf der anderen Seite sind die Umweltschutzmaßnahmen, die sie gerade in den großen Städten ergreifen, schon bemerkenswert. Die Zweiräder, die in Pekings Zentrum unterwegs sind, sind alle elektrifiziert, Busse und Taxis sicher zu 80 bis 90 Prozent. Auch im Bereich Solar und Windenergie unternehmen die Chinesen große Anstrengungen, um die energetische Transformation hinzubekommen. In einigen Häfen wurden Landstromanlagen eingerichtet, bevor wir in Deutschland etwas in dieser Richtung unternommen haben. Die Chinesen haben sehr gut verstanden, was Luftverschmutzung und Klimaauswirkungen auch für ihr Land bedeuten, vor allem für die großen Städte.“
… Fridays for Future: „Ich habe einen wahnsinnig großen Respekt vor den jungen Leuten, die in so kurzer Zeit global dafür gesorgt haben, dass es bei den Entscheidern eine fundamentale Veränderung bei der Wahrnehmung des Themas Klimaschutz gegeben hat. Das, was die Umweltverbände 40 Jahre vergeblich versucht haben, ist denen innerhalb von fünf Jahren gelungen. Die Bedeutung von Fridays for Future wird aus meiner Sicht bis heute massiv unterschätzt. Was Menschen wie Annika Rittmann in Hamburg leisten, ist unglaublich, ich frage mich manchmal, wo sie die Zeit und die Kraft dafür hernimmt. Und ich finde, dass die Klimaaktivisten eine sehr kluge Strategie fahren, weil sie weder von der Politik noch von der Wirtschaft oder Gesellschaft mehr verlangen, als sich an ihre eigenen Gesetze zu halten und auf die Wissenschaft zu hören. Dagegen kann niemand etwas haben, das kann jeder unterschreiben.“
Entscheider treffen Haider
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… die Sorge um die Artenvielfalt, deren Konsequenzen auch wirtschaftliche Konsequenzen hätte: „Die Notwendigkeit, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Frage, wie wir eigentlich die Biodiversität schützen – also Lebensräume, Arten und die biologische Vielfalt –, wird dagegen viel zu wenig erörtert. Dabei sagen alle Experten, dass die Biodiversität extrem gefährdet und mindestens so wichtig wie der Klimaschutz ist. Eine kaputte Natur hat nicht nur schwerwiegende ökologische, sondern auch ökonomische Konsequenzen: In Tansania wird der Kaffee von zwei Mückenarten bestäubt. Wenn sich aus klimatischen Gründen deren Lebensraum verändert, produziert Tansania weniger oder gar keinen Kaffee. Folge: Bei uns steigen die Preise. Solche Beispiele gibt es viele. Auch bei uns.“
… klare Regeln, ohne die der Natur- und Klimaschutz nicht funktionieren kann: „Ich glaube, wir brauchen einen Ordnungsrahmen und klare Regeln, um das Klima und die Natur nicht zu stark zu schädigen. Im Verkehrsbereich könnte zum Beispiel in Hamburg endlich eine Umweltzone eingerichtet werden, wie das andere Großstädte längst getan haben. Als Einzelner täglich viele Male selbst „das Richtige“ zu entscheiden überfordert uns leider – egal ob bei der Art der Urlaubsreise, beim Einkauf im Supermarkt oder beim Autokauf. Das kann man von niemandem verlangen.“