Hamburg. Der Männerchor, der angeblich nicht singen kann, bekommt im Jahr 700 Anfragen für Konzerte, kann aber nur wenige annehmen.

Sie hätten für ihre Konzerte am Freitag und Sonnabend im Stadtpark fast 50.000 Karten verkaufen können – und das, obwohl die inzwischen 110 Mitglieder der Hamburger Goldkehlchen nach wie vor behaupten, nicht singen zu können. Die Geschichte des Männerchors war vom ersten Tag an einmalig, inzwischen erreicht sie Dimensionen, die eigentlich unvorstellbar sind.

In der aktuellen Folge unserer Podcast-Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Gründer und Präsident Flemming Pinck (36) über ein nicht mehr unmögliches Konzert im Volksparkstadion, die große Nachfrage nach Auftritten und das wirkliche Geheimnis der Goldkehlchen.

Das sagt Flemming Pinck über…

… die begehrte Mitgliedschaft bei den Goldkehlchen und die Kutte, die Frischlinge erst nach einem Jahr bekommen: „Für unsere Jacke, wir nennen Sie Kutte, muss man vollwertiges Mitglied der Goldkehlchen sein. Das ist man übrigens nicht direkt nach der Aufnahme. Jeder, der es bei uns über das Casting in den Chor schafft, hat ein Probejahr als sogenanntes Freshkehlchen. Es bewerben sich jedes Jahr zwischen 300 und 400 Männer, davon laden wir 20 bis 30 zum Casting ein, zwischen fünf und zehn schaffen es in den Chor. Dann sehen wir uns zwölf Monate an, ob das passt, und erst danach gibt es die Kutte. Bisher sind wir mit unserer Auswahl fast immer gut gefahren, nur zwei haben das Probejahr nicht überstanden.“

… die Gründung der Goldkehlchen vor acht Jahren: „Ich war 2016 mit meinem Freund Max, der heute neben mir der zweite Präsident der Goldkehlchen ist, mal wieder in der Thai-Oase, zu einem wunderbaren Karaoke-Abend. Am nächsten Morgen haben wir telefoniert und uns gefragt, ob wir nicht einen Chor finden könnten, der uns ein ähnliches Erlebnis einmal in der Woche bietet. Weil wir leider nichts Passendes gefunden haben, habe ich gesagt: Lass uns doch selbst einen Chor gründen. Ich habe dann einen Post auf Facebook abgesetzt, dass wir einen Chorleiter und Sänger suchen – zwei Wochen später hatten wir die erste Probe im Theater im Zimmer mit 50 Leuten. Wenn ich an den ersten Ton denke, den wir damals gesungen habe, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut. Das war einer der magischen Momente in der Goldkehlchen-Geschichte. Von den 50 Gründungsmitgliedern sind bis heute etwa 30 noch dabei.“

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Goldkehlchen-Chef: „Bekommen 700 Konzert-Anfragen pro Jahr“

Entscheider treffen Haider - der Interview-Podcast

… das erste Konzert: „Wir haben im August die erste Probe gehabt und direkt versucht, ein, zwei Songs einzustudieren. Nachdem das gelungen war, haben wir gesagt: Wunderbar, das reicht, dann können wir Weihnachten unser erstes Konzert machen, den Rest füllen wir halt mit Weihnachtsliedern. Schon unser erster Auftritt war restlos ausverkauft. Die Leute sind damals gekommen, um Spaß zu haben, nicht, um perfekte Chorkunst zu erleben. Und das ist bis heute so.“

… die große Nachfrage nach Auftritten: „Die Nachfrage nach Auftritten übersteigt bei Weitem das, was wir leisten können. Wir bekommen pro Jahr rund 700 Anfragen, nehmen aber nur zwei, drei an. Wir suchen uns immer Konzerte aus, die wir so noch nie gemacht haben. Wir können auch nicht allzu oft auftreten, weil der Chor für uns alle ein Hobby ist und weil die meisten inzwischen eigene Familien haben. Wir wollen die Jungs nicht überladen, damit nicht irgendwann der Spaß an der Sache verloren geht.“

… das Ziel, in den großen Hallen oder Arenen zu spielen: „Wir haben seit Tag eins das Ziel, einmal im Großen Saal der Elbphilharmonie ein Konzert zu geben. Das nehmen wir uns zu unserem zehnten Geburtstag vor. Mittlerweile haben wir aber gemerkt, dass es auch noch andere Spielorte gibt, die wir uns zutrauen würden. Das Tennisstadion am Rothenbaum gehört zum Beispiel dazu. Auf jeden Fall haben wir das Ziel, eines Tages einmal eine der großen Arenen in Hamburg vollzumachen. Und wenn es das Volksparkstadion ist – warum denn nicht? Wenn es mit uns so weitergeht wie in den vergangenen Jahren, ist auch das nicht unrealistisch.“

… die beiden Sommerkonzerte im Stadtpark in dieser Woche: „Vor einem Jahr war das Sommerkonzert im Stadtpark nach drei Minuten ausverkauft gewesen. Damals hatten sich aber alle Goldkehlchen pünktlich zum Vorverkaufsstart eingeloggt und für ihre Familien und Freunde Karten gekauft. Das wollten wir jetzt auch wieder so machen – aber leider waren die Karten diesmal innerhalb von 90 Sekunden weg, und kaum jemand von uns hatte Tickets für seine Lieben. Deshalb haben wir uns entschieden, ein zweites Konzert zu geben, für das wir uns als Goldkehlchen rechtzeitig ein Kontigent gesichert haben. Die Tickets waren innerhalb von 110 Sekunden weg. Deshalb gibt es jetzt die Doppel-Schelle, wie wir die zwei Konzerte hintereinander nennen. Wir hatten insgesamt fast 50.000 Ticketanfragen. Theoretisch hätten wir also noch mehr Zusatzkonzerte geben können. Aber wir sind nun einmal keine geschulten Sänger, unsere Stimmen sind eigentlich schon nach einem Auftritt im Eimer. Dementsprechend scheidet so etwas aus.“

… den guten Zweck: „Für jedes Sommerkonzert legen wir uns auf ein Spendenziel fest. Weil es diesmal zwei Konzerte gibt, gehen die Erlöse einerseits an Jupiter, das ist eine Organisation, die Kinder mit Hip-Hop von der Straße holt. Andererseits unterstützen wir die ME/CFS Foundation, die über Long-Covid forscht. Darauf wollen wir aufmerksam machen und dafür wollen wir Geld sammeln. Deshalb streamen wir auch jedes unserer Konzerte mit hohem technischen Einsatz live und gehören dieses Jahr sicher zu den Gruppen, die dem Stadtpark in diesem Bereich alles abverlangen. Der Aufwand, den wir da betreiben, ist enorm.“

… die Legende, dass niemand der Chormitglieder trotz wöchentlicher Probe singen kann: „Etliche von uns treffen inzwischen schon die Töne. Aber es gibt auch einige von denen, die seit acht Jahren dabei sind, die keine Melodie halten und nicht mal alle Texte auswendig können. Ich würde schon sagen, dass 90 Prozent der Mitglieder nicht besonders gut singen können, und von den zehn Prozent, die das besser können, mitgerissen werden.“

… die Gemeinschaft, die viel wichtiger ist als der Gesang: „Wir hatten auch schon richtige gute Sänger im Chor, die nach zwei Proben wieder gegangen sind, weil es ihnen bei uns zu wild war. Es gibt aber auch richtig gute Sänger, die sich bei uns sehr wohlfühlen, nachdem sie ihre Ernsthaftigkeit etwas losgelassen haben. Bei uns geht es nicht um Gesang, es geht um Gemeinschaft. Durch die Goldkehlchen ist ein unglaubliches Netzwerk von Menschen entstanden, die sich mit unterschiedlichen Themen beschäftigen, von Kryptowährungen über Kinderwagen bis zu den existenziellen Fragen des Lebens. Wenn du eine Frage hast, findest du bei den Goldkehlchen immer jemanden, der dir eine Antwort darauf gibt. Das ist wahrscheinlich das Wertvollste, was wir bieten können. Und dass wir uns Erinnerungen fürs Leben schaffen, die man sich nicht kaufen kann.“

… Singles, die mithilfe der Goldkehlchen einen Partner gefunden haben: „Zu Beginn waren wesentlich mehr unserer Mitglieder Singles als heute. Viele von uns haben über die Goldkehlchen Partner gefunden, bei uns zu singen hilft, andere Menschen kennenzulernen. Knapp 80 Prozent unserer Zuschauer bei Konzerten sind übrigens Frauen, und die kommen längst nicht mehr aus Hamburg. Wir haben viele Fans in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz, der durchschnittliche Anfahrtsweg zu den Sommerkonzerten liegt bei 250 Kilometern.“

… die großen Partner und eine eigene Uhrenkollektion: „Die Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag von 70 Euro. Daraus könnten wir all das, was wir machen, natürlich nicht finanzieren. Wir haben inzwischen sehr große Partnerschaften mit Unternehmen: Holsten Edel gehört dazu, genauso wie Salos, der Lakritzhersteller. Mit Wempe sprechen wir gerade über eine Goldkehlchen-Uhrenkollektion. Es gibt inzwischen einige Marken, die unsere Message verstehen und auch gut einsetzen. Wir gehen gern Partnerschaften ein, wenn daraus die Möglichkeit entsteht, dass wir etwas bewegen können.“

Entscheider treffen Haider

… die Goldküken-Chöre: „Was den Nachwuchs angeht, haben wir eine Idee, die wir schnellstmöglich umsetzen wollen. Wir planen, vier Goldküken-Chöre in Hamburg aufzubauen, mit unserem und weiteren Chorleitern. In denen soll die nächste Generation der Goldkehlchen heranwachsen.“

… Gäste, mit denen die Goldkehlchen gern mal auftreten würden: „Barbara Schöneberger gehört dazu, die wir schon ein paarmal angefragt haben, und Otto, die Kultfigur meiner Kindheit. Wir sollten aber ruhig auch mal international denken, zum Beispiel an Robbie Williams. Der ist ja sowieso bald in Hamburg.“

… die verrückteste Idee: „Wir werden uns definitiv einmal auflösen, um die Chance zu haben, ein Comeback zu erleben. Wenn das scheitern sollte und uns danach niemand mehr hören will, wäre das auch nicht schlimm: Denn wir haben uns, und das ist das Wichtigste.“