Hamburg. In Hamburg gehen Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Die größere Gefahr kommt aber aus einer anderen Ecke.

Im August ist er zehn Jahre lang Chef des Hamburger Verfassungsschutzes. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Torsten Voß über die Bedrohung durch den Islamismus, die sich leider genauso entwickelt hat, wie er das bei seinem Amtsantritt vorausgesagt hat. Er erzählt aber auch von einer ungewöhnlichen Karriere, die mit 16 Jahren begann und viel mit der berühmten Davidwache zu tun hat und sagt, warum Schutzpolizisten am gefährlichsten leben. Zu hören ist das komplette Gespräch unter www.abendblatt.de/podcast

Das sagt Torsten Voß über…

… seine Karriere, die in sehr jungen Jahren begann: „Ich habe mich mit 15 bei der Polizei beworben. Mein Vater war Polizeibeamter bei der Wasserschutzpolizei an den Landungsbrücken, ich bin daher ein stückweit im Hamburger Hafen aufgewachsen, und wollte wie er unbedingt zur Polizei. Mit 16 habe ich dann meine Ausbildung im mittleren Dienst begonnen. Damals waren die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, wahrscheinlich um die 90 Prozent, noch Realschüler, Abiturienten waren die Ausnahme. Das war schon eine besondere Zeit, wenn man direkt von der Schule kam, noch sehr jung war und plötzlich lernen musste, mit einer Waffe umzugehen.“

… die Davidwache, seine erste Wache: „Mich haben die Davidwache und die Reeperbahn damals sehr fasziniert. Ich war insgesamt sechs Jahre dort und ich habe Sachen erlebt, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. So wie die Geschichte mit den vier Luden, die mich angesprochen und gefragt haben, was ich denn als junger Polizist so verdiene. Und dann hat sich jeder von denen einen 500-Mark-Schein angesteckt und damit eine Zigarre angemacht. So war das damals auf dem Kiez, Zuhälter hatten durchaus 100 Prostituierte unter sich, jeder trug eine schwere Rolex und fuhr mit einer Protzkarre durch die Straßen. Inzwischen sind die prägenden Figuren aus dieser Zeit alle tot, die meisten davon waren am Ende völlig verarmt. Mir haben die sechs Jahre an der Davidwache geholfen, sehr schnell erwachsen zu werden.“

169752_229_cover.jpg

Torsten Voß: „Die Davidwache hat mich fasziniert“

Entscheider treffen Haider - der Interview-Podcast

… seine lange Liebe zur Schutzpolizei: „Wenn man ein junger Mann ist, dann möchte man Streifenwagen fahren, dann möchte man das Blaulicht einschalten und Action haben. Ich war voller Tatendrang und habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dass der Job des Schutzpolizisten der herausforderndste und wahrscheinlich gefährlichste ist, den es bei der Polizei gibt. Denn man weiß bei einem Einsatz nie, was genau auf einen zukommt, man ist ganz anders, meistens schlechter darauf vorbereitet als etwa die Spezialisten vom Mobilen Einsatzkommando.“

… die letzte Verteidigungslinie der Demokratie, das Mobile Einsatzkommando, kurz MEK: „Meine Zeit an der Spitze des Mobilen Einsatzkommandos war auch deshalb eine besondere Zeit, weil man es dort mit speziellen Menschen zu tun hat. Denen reichen 100 Prozent nicht, die wollen immer 140 Prozent bringen, das ist ihr Anspruch. Beim MEK zu arbeiten war herausfordernd, aufregend und sehr anstrengend, auch, weil man als Leiter eigentlich sieben Tage 24 Stunden in Bereitschaft ist. Und natürlich, weil wir als Spezialeinheit immer die letzte Verteidigungslinie der Demokratie waren. Nach uns kam niemand mehr, wir mussten die Lage lösen und beenden.“

… sein Wechsel in die Innenbehörde, die ihn am Ende zum Verfassungsschutz brachte: „Ich hatte mich gerade bei einer Übung aus einem Hubschrauber abgeseilt, als ich den Anruf aus der Innenbehörde erhielt, ob ich mir vorstellen könnte, Büroleiter des damaligen Innensenators Udo Nagel zu werden. Ich war 41 Jahre alt, hatte fünf Jahre Mobiles Einsatzkommando hinter mir, und konnte mit dem Wechsel in die Innenbehörde Polizeidirektor werden. Ich habe zugesagt, auch wenn das für mich eine große Herausforderung war, weil ich mit der Stabsarbeit bis dahin kaum etwas zu tun hatte. Das war auch meine erste Berührung mit dem Verfassungsschutz, mit dem ich mich bis dahin so gut wie nie beschäftigt hatte.“

… die Gefahr durch Islamisten in Hamburg: „Ich bin im August 2014 Chef des Verfassungsschutzes geworden und habe damals gesagt, dass für mich die größte Anschlagsgefahr vom Islamismus ausgeht. Seitdem hat sich die Zahl der Islamisten in Hamburg verdoppelt, heute sind das etwa 1800 Menschen – auch, weil wir erfolgreich das Dunkelfeld aufgeklärt haben. Das ist die größte Personengruppe, die wir unter den Extremisten haben. 1520 von diesen 1800 sind gewaltorientiert. Ich kann mit den 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die für den Verfassungsschutz in Hamburg arbeiten, natürlich nicht alle überwachen lassen, wir müssen Prioritäten setzen. Und da bisher in Hamburg wenig passiert ist, haben wir diese offensichtlich richtig gesetzt. Trotzdem kann es immer einen Einzeltäter geben, der vorher keinerlei erkennbare Berührungspunkte zu anderen Islamisten gehabt hat, sich dann radikalisiert und einen Anschlag begeht.“

… die Wahrnehmung von Rechtsextremismus und Islamismus: „Es gibt, meiner Meinung nach, ein Ungleichgewicht, was die Wahrnehmung der verschiedenen Formen des Extremismus angeht: Gegen den Rechtsextremismus gehen in Hamburg mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Gegen den Islamismus bislang nur 1000, das ist mir zu wenig, insbesondere mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt.“

Entscheider treffen Haider

… die AfD: „Derzeit ist der Landesverband der AfD in Hamburg kein Beobachtungsobjekt des Hamburger Verfassungsschutzes. Mit der Einstufung der AfD zum Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der damit einhergehenden Bestätigung des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster, muss nun auch geprüft werden, welche Auswirkungen dies auf die Landesverbände haben könnte.“

… die größten Gegner der Demokratie: „Das sind die verschiedenen Formen des Extremismus, aber auch die Spionage durch ausländische Staaten, speziell China oder auch Russland. Gerade Hamburg, mit seinem Hafen als Tor zur Welt, hat hier große Herausforderungen zu stemmen.“