Billbrook. Nach verheerendem Brand an der Billstraße stehen Bewohner vor dem Nichts. Warum sie selbst ihre Tiere nicht holen dürfen.
Das Schlimmste sind die psychischen Belastungen und der tägliche Kampf ums eigene Recht, sagt Mike Maschmann. Seine Familie bekommt die Auswirkungen des Großbrands an der Billstraße, der am 9. April ausbrach und einen 17.000 Quadratmeter großen Lagerkomplex in Schutt und Asche legte, seit Wochen auf sehr persönliche Weise zu spüren.
Denn bis zum Ausbruch des Feuers wohnten sie seit etwa 15 Jahren genau dort: Billstraße 130, zweigeschossiges Haus mit zwei Wohnungen, Gemeinschaftsgarten. „Mit gültigem Mietvertrag“, wie sie zum Anfang des Gesprächs gleich klarstellen. Denn die Billstraße ist in Verruf geraten. Das Großfeuer vor knapp zwei Monaten hat nicht nur chaotische Zustände in den ansässigen Lagerhallen offenbart.
Großbrand Billstraße: 9. April ist für Familie ein Schicksalstag
Eine Taskforce mit Mitarbeitern von Bezirksamt, Zoll, Steuerfahndung, Polizei, Feuerwehr und Umweltbehörde hatte bei einer Großkontrolle Mitte Mai außerdem illegales Wohnen ans Tageslicht befördert. Glücklicherweise haben Maschmann und seine Verwandten den Brand körperlich unversehrt überstanden. Und auch das Haus, in dem sie zur Miete wohnten, steht noch – umgeben von abgebrannten Hallen, die beim Feuer zerstört wurden und deren Überreste wie Skelette in den Abendhimmel ragen.
Dennoch ist der 9. April für Mike Maschmann und seine Familie ein Schicksalstag gewesen. Denn sie haben ihre Wohnungen verloren und derzeit keine Aussicht auf eine neue Unterkunft. Sie mussten auch ein Teil ihrer Tiere – Reptilien in den Wohnungen und Fische in den Gartenteichen – zurücklassen, weil sie das Haus, das ihnen viele Jahre Heimat war, laut Vermieter nicht mehr betreten dürfen.
„Seit dem Brand am 9. 4. 2023 ist das Grundstück Billstraße 130–134 auf behördliche Anordnung komplett gesperrt und dafür mit einem soliden Bauzaun mit Spezialverschraubung zu sichern“, teilte ihnen ihr Vermieter per Mail mit. „Zudem hat er uns mitgeteilt, dass das Bauamt eine Nutzungsuntersagung für unsere Wohnungen ausgesprochen habe. Wir hätten angeblich gar nicht in den Wohnungen wohnen dürfen, weil die Baubehörde es für eine ,illegale’ Vermietung halte, da sie als Werkswohnungen vermietet worden seien“, so Mike Maschmann.
Die beiden Kündigungsschreiben vom 18. April 2023 liegen dem Abendblatt vor. Darin heißt es, dem Vermieter sei behördlicherseits mitgeteilt worden, dass die Nutzung der Wohnungen infolge des Großbrands ab sofort unzulässig sei und deshalb der Wohnungsmietvertrag zum 30. April gekündigt werde. Leider könne kein anderer Wohnraum angeboten werden, weil die Vermietungsgesellschaft nur über die beiden betroffenen Werkswohnungen verfüge.
Billstraße: Genehmigtes Wohnhaus aus der Zeit vor dem Baustufenplan
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte widerspricht dieser Darstellung des Vermieters. „Es handelt sich hier um ein genehmigtes Wohnhaus aus der Zeit vor dem Baustufenplan“, sagt Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer auf Abendblatt-Nachfrage. Lediglich direkt nach dem Brand seien die Wohnungen kurze Zeit irrtümlich für Betriebswohnungen gehalten worden. Das Bezirksamt habe unmittelbar nach Bekanntwerden des Falls – bereits am 18. April – den Vermieter kontaktiert und ihm erklärt, dass es behördlicherseits keine Einschränkungen gebe und die Wohnnutzung unbegrenzt fortgesetzt werden könne.
„Eine solche Mitteilung haben wir nicht erhalten“, sagt Vermieter Andreas Krauth von der DAK Grundstücksverwaltung GbR auf Abendblatt-Nachfrage. Der gesamte Brandort sei auf Anordnung der zuständigen Behörde unverzüglich abzusperren gewesen und dürfe aufgrund der vermuteten Kontaminationen nur unter Vollschutz – also Schutzanzug mit Kopfbedeckung, Handschuhe und FFP-3 -Maske – betreten werden. Mehrere Gutachten zu möglichen Kontaminationen seien zu erstellen, was gerade geschehe, so Krauth: „Da Bodenkontaminationen vermutet werden, ist der Zugang zum Haus und in den Garten bis zur erfolgten Sanierung verboten.“
Weil Luftbewegungen Staube vom Brandort beim Lüften in das Wohnhaus verbringen könnten, sei das Haus zum Bewohnen bis auf Weiteres – zum Schutze der Bewohner – durch die Behörde untersagt. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte habe den Familien Maschmann und Brinkmann als Ausnahme erlaubt, die Tiere im Hause zu versorgen und, sobald eine neue Unterkunft für die Tiere gefunden wurde, die Tiere herauszuholen.
„Gleichzeitig gelten aber auch die Bedingungen, unten denen das Grundstück betreten werden kann“, so Krauth. „Diese Bedingungen wurden den Familien Maschmann/Brinkmann von uns damals prompt mitgeteilt.“
Familie wird daher von allen Seiten geraten, vor Gericht zu ziehen
Ist die fatale Lage der betroffenen Mieter also nur einem Kommunikationsproblem zwischen dem Vermieter und den Behörden zuzuschreiben? Oder möchte der Eigentümer die „Gunst der Stunde“ nutzen, um die Immobilie einer neuen Nutzung zuzuführen? „In den nächsten Wochen und Monaten haben die Arbeiten zur Schadensermittlung und zur Sanierung oberste Priorität“, antwortet Krauth auf die Frage nach seinen Plänen mit der Immobilie. „Es wird Gespräche mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte und dem Bauprüfamt geben. Danach wird sich zeigen, was möglich sein wird.“
Jedem Vermieter steht es frei, einen Mietvertrag zu kündigen – unter Einhaltung des Mietrechts und gewisser Fristen. Der Familie Maschmann wird daher von allen Seiten geraten, vor Gericht zu ziehen und eine einstweilige Verfügung gegen den Vermieter zu erwirken, um auch die Wohnung wieder betreten zu können. „Wir befürchten aber, dass dann hohe Kosten auf uns zukommen könnten“, sagt Mike Maschmann.
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Er vermutet, dass der Vermieter gar kein Interesse an der Fortsetzung des Mietvertrags hat. „Ich kann mir vorstellen, dass er das Haus abreißen will und stattdessen eine weitere Halle bauen möchte“, sagt er. Den Abriss einer Gartenmauer sieht er als Bestätigung seiner Vermutung.
Großbrand Billstraße: Familie sorgt sich um das Wohl ihrer Tiere
Die Familie sorgt sich derweil weiter um das Wohl ihrer Tiere, die sie auf keinen Fall abgeben möchte, und um ihre eigene Zukunft. Die ehemaligen Bewohner fühlen sich hilflos und im Stich gelassen. „Wir hängen seit Wochen in der Luft“, sagt Mike Maschmann. Die im Haus verbliebenen Tiere könnten nicht mehr regulär versorgt werden, weil ihnen der Zugang zu den Wohnungen verwehrt werde. „Unsere Hunde konnten wir beim Brand aus den Wohnungen holen“, sagt Mike Maschmann. „Die anderen Tiere und all unsere Sachen mussten wir dort lassen.“
Ein paarmal konnten sie noch zur Versorgung der Tiere in Schutzkleidung und mit polizeilicher Begleitung kurz ins Haus, wie Ingo Maschmann berichtet: „Wie es nun aber weitergehen soll, kann uns niemand sagen. Wir haben das Gefühl, dass unsere Lage niemanden interessiert“, sagt Mike Maschmann.
Der 41-Jährige wohnt derzeit in einer Gartenlaube bei Freunden, Ingo Maschmann und seine Frau sind beim zweitältesten Bruder untergekommen und leben dort auf 50 Quadratmeter mit drei Schäferhunden. Mike Maschmann besitzt ebenfalls zwei kleinere Hunde. Bis zum Großfeuer bewohnte Mike Maschmann zusammen mit seinem jüngeren Bruder Patrick eine circa 80 Quadratmeter große Wohnung im Obergeschoss des zweistöckigen Wohnhauses. Sie zahlten nach eigenen Angaben rund 1600 Euro Warmmiete. Unten lebten auf ebenfalls rund 80 Quadratmeter sein ältester Bruder Ingo mit Partnerin Manuela Brinkmann und den erwachsenen Kindern Marcello und Maria, die momentan bei Freunden auf dem Sofa schlafen. Ihre Miete war ähnlich hoch.
Fünf der sechs Familienmitglieder arbeiten Vollzeit. Sie suchen verzweifelt eine neue Unterkunft, denn ihre Hoffnungen, dass sie irgendwann wieder in ihre alten Wohnungen an der Billstraße einziehen könnten, haben sie mittlerweile begraben.
Großbrand Billstraße: Für Familie verbrannte auch ein Lebenstraum
Die Familienmitglieder müssen schnellstmöglich aus ihren Notunterkünften heraus und befürchten nun, dass sie bald kein Dach mehr über dem Kopf haben könnten. „Wir suchen bereits aktiv nach einer neuen Unterkunft“, sagt Mike Maschmann. „Uns ist bewusst, dass das im Hamburger Stadtgebiet bei dem Wohnungsmarkt nicht einfach wird – besonders mit den Tieren.“ Deshalb werde auch außerhalb von Hamburg nach Wohnungen geschaut. Die Brüder Maschmann und ihre Angehörigen möchten am liebsten zusammenbleiben oder auch künftig möglichst nah beieinander wohnen. „Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt und uns auch bei der Versorgung der Tiere gegenseitig geholfen“, sagt Mike Maschmann.
Langsam wird ihnen bewusst, dass mit dem Großfeuer an der Billstraße auch ihr Lebenstraum verpufft ist: „Auch wenn das Viertel keinen guten Ruf hat – wir haben uns hier sehr wohlgefühlt. Wir haben es uns in Haus und Garten gemütlich gemacht und konnten hier friedlich leben. Das ist nun vorbei“, sagt Ingo Maschmann.
Manuela Brinkmann kann das Haus kaum anschauen. Beim Blick über den Zaun hinweg zu den Fenstern, hinter denen sie noch bis vor Kurzem gelebt hat, steigen ihr Tränen in die Augen. „Ich kann nicht glauben, dass wir unser Zuhause für immer verloren haben sollen“, sagt sie leise. „Was soll denn jetzt aus uns werden?“