Hamburg. Vor 40 Jahren landete der „Stern“ seinen größten Flop. Ein Hamburger Kripo-Beamter erzählt, wie er dem Nazi-Fälscher auf die Spur kam.
1983 erschütterte der größte Fälschungs-Skandal der Nachkriegszeit Deutschland. Die Hamburger Illustrierte „Stern“ verkündete am 28. April 1983 eine historische Sensation: „Hitlers Tagebücher entdeckt“. Die Geschichte des Dritten Reiches müsse teilweise umgeschrieben werden, fabulierte der damalige Chefredakteur Peter Koch. Doch nur wenige Tage später wurden die Tagebücher als plumpe Fälschung enttarnt.
Hitler-Tagebücher: Hamburger Ermittler im Einsatz
Einer der Hamburger Ermittler war damals Martin Bähr, Kriminalkommissar im Staatsschutz. Heute ist er 64 Jahre alt und pensionierter Kriminaldirektor. Im Abendblatt-Gespräch erinnert er sich an den ersten großen Fall seiner Karriere. Und an den Fälscher Konrad Kujau: „Er war ein typischer Betrüger, ein Bauernfänger mit Unterhaltungswert,“ erklärt Martin Bähr.
Der junge Beamte wird Mitglied der Soko Hitler-Tagebücher und erlebt am 11. Mai 1983, dass ein Richter im Polizeipräsidium einen Durchsuchungsbeschluss ausstellt. „Das habe ich im Lauf meines Berufslebens nie wieder erlebt.“
Hamburger Ermittler durchsuchen Haus von Konrad Kujau
Am 12. Mai trifft Bähr im LKA Baden-Württemberg ein, einen Tag später nimmt er an einer Durchsuchung in Bietigheim-Bissing teil. Dort befindet sich das private, rund 600.000 D-Mark teure Reihenhaus des professionellen Fälschers. „Wir haben dieses Haus von oben bis unten durchsucht.“ Bähr entdeckt einen Aquarell-Block mit Unterschriftenproben des Namens Adolf Hitler; seine Kollegen finden eine Bibliothek mit Büchern über und aus der NS-Zeit. „Da wussten wir, dass wir an der richtigen Stelle sind. Wir haben die Fälschungswerkstatt gefunden.“ Am 14. Mai stellt sich Konrad Kujau der Polizei.
Zugleich gerät „Stern“-Starreporter Gerd Heidemann ins Visier. Martin Bähr ist bei den Durchsuchungen seiner Räume in der Pöseldorfer Milchstraße und in der Wohnung in Teufelsbrück dabei. Dabei werden rund 100 Tonbandkassetten mit Gesprächen beschlagnahmt. Sie dokumentieren die telefonischen Kontakte zwischen dem Fälscher und dem „Stern“-Reporter.
Hitler-Tagebücher: Hamburger Ermittler finden Tonbänder
Bährs Aufgabe ist es, die Tonbänder abzuhören und auszuwerten. Schon damals fragten sich die Ermittler, wie ein Reporter mit monatlichen Mietausgaben von 10.000 D-Mark bei einem monatlichen Gehalt von ebenfalls 10.000 D-Mark finanziell über die Runden kommt. „Heidemann hatte 1,7 Millionen D-Mark mehr Ausgaben als Einnahmen.“ Am 8. Juli 1985 verurteilt die 2. Strafkammer des Landgerichts Hamburg Gerd Heidemann wegen schweren Betrugs zu vier Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe.
Schließlich übernimmt Kriminalkommissar Martin Bähr die Aufgabe, unter anderem ehemalige NS-Täter in diesem Fall zu vernehmen und die Asservate aus den Beständen des Fälschers und des Reporters zu katalogisieren, der ihm auf den Leim gegangen war.
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Konrad Kujau – „er hat alles gefälscht, was er unter die Finger bekam“
Martin Bähr: „Uns ist es gelungen, Stück für Stück von Kujaus Fabulierungen zu widerlegen. Wenn er einen Fehler zugab, strickte er darum die nächste gesponnene Geschichte. Seine Fälschungen waren, wenn man ihre Machart kannte, leicht zu erkennen. Kujau war nicht sehr fleißig, sondern eher faul und vor allem ein Lebemensch, der sich gern in Kneipen aufhielt. Aber er hat alles gefälscht, was er unter die Finger bekam.“
Im Juli 1985 verurteilt das Hamburger Landgericht Konrad Kujau wegen schweren Betrugs und Urkundenfälschung zur einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Er stirbt im Jahr 2000.
Hitler-Tagebücher: Hamburger Ermittler auch bei Reemtsma-Entführung im Einsatz
Die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers sollten nicht der einzige aufsehenerregende Fall des Hamburger Kripo-Beamten werden. Nach den islamistischen Terroranschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 ermittelt Bähr als stellvertretender Leiter des Staatsschutzes gegen die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta. Im Fall der Entführung von Jan Philipp Reemtsma 1996 steuerte er als stellvertretender Leiter des Führungsstabes das polizeiliche Vorgehen mit.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit lässt Martin Bähr seit den 1980er-Jahren jedoch nicht mehr los. So forschte er kürzlich über die Schicksale jüdischer Polizeibeamter in Hamburg und konzipierte eine Sonderausstellung im Polizeimuseum.