Hamburg. Ein pensionierter Kriminaldirektor erforscht die Schicksale der Hamburger. Die Ergebnisse werden in einer Ausstellung gezeigt.
Martin Bähr, pensionierter Kriminaldirektor, beherrscht die Kunst des Aktenlesens. Er kennt das zur Genüge aus seinen aktiven Berufsjahren, als er mit spektakulären Fällen befasst war: Hitler-Tagebücher, Reemtsma-Entführung, 9/11. Seit drei Jahren ist der Rahlstedter in Pension, und es hätte für ihn eine Zeit ohne Aktenstudium werden können.
Doch ihn begann ein Thema zu fesseln, über das noch kaum geforscht wurde - das Schicksal jüdischer Polizeibeamter in Hamburg während der nationalsozialistischen Diktatur. Drei Jahre lang hat sich Bähr damit befasst, Personal- und Wiedergutmachungsakten gelesen. Nun zeigt das Polizeimuseum die Ergebnisse seiner Forschungen im Rahmen einer Sonderausstellung mit dem Titel „Juden brauchen wir hier nicht – Hamburgs jüdische Polizeibeamte – verdrängt, verfolgt, vergessen“.
Nationalsozialismus: Forschungslücke entdeckt
Auf das Thema war Bähr kurz nach dem Eintritt in seinen Ruhestand gestoßen. Damals las er einen Beitrag über die „Stolpersteine“. Er fragte sich, ob es auch für jüdische Polizeibeamte solche Erinnerungen gibt. Und ob überhaupt jüdische Polizeibeamte in Hamburg tätig waren. „Weil ich die Frage nicht klären konnte und auch keine Literatur zum Thema fand, entstand die Idee, mich selber auf die Suche nach jüdischen Polizeibeamten zu machen.“
Also begab sich Martin Bähr ins Staatsarchiv mit Sitz in Wandsbek, nutzte zugleich die Möglichkeiten der digitalen Archivrecherche zu Hause. Am Anfang waren es Suchbegriffe wie „rassisch + Polizei“. Am Ende stand das Schicksal von Menschen, von Kollegen. 47 jüdische Polizisten-Biografien hat er zusammengetragen, darunter ist eine Frau, die als Sanitätshelferin im Polizeidienst gearbeitet hat. Vier von ihnen wurden ermordet.
Jüdische Polizisten aus dem Amt gedrängt
Wie viele jüdische Polizeibeamte insgesamt beschäftigt waren, ist nicht bekannt. Fest steht: Auch Juden waren in der Hamburger Verwaltung tätig. Für 1925 verzeichnete das Statistische Jahrbuch für die Freie und Hansestadt Hamburg in der Berufsgruppe „Verwaltung, Heerwesen, Kirche, freie Berufsarten“ 199 jüdische Beschäftigte. Insofern hat es auch jüdische Polizeibeamte gegeben. Aber als die Nazis an die Macht kamen, wurden sie aus ihren Funktionen gedrängt. Alle jüdischen, nicht-arischen Polizisten wurden auf der Grundlage des sogenannten „Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 aus dem Dienst entlassen.
Die Durchführungsverordnung definierte: „Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat.“ Und so begann die systematische Vertreibung der Juden aus dem Hamburger Polizeiapparat. „Es traf – so der Nazijargon – Volljuden, Mischlinge 1. und 2. Grades und Geltungsjuden, die einer jüdischen Gemeinde angehörten“, sagt Martin Bähr.
Mischehe bot Juden Schutz vor Deportationen
Einen gewissen Schutz vor den gefürchteten Deportationen der Juden bot zunächst die sogenannte „privilegierte“ Mischehe zwischen einer jüdischen Frau und einem nichtjüdischen Mann, wenn sie keine Kinder hatten oder die Kinder nicht jüdisch erzogen wurden.
Gleiches galt auch, wenn der Mann jüdisch und die Frau nichtjüdisch war. Der pensionierte Kriminalpolizist spürte bei seinen Recherchen eine solches Schicksal auf – das von Polizeihauptwachmeister Herbert Weidner und seiner Ehefrau Gertrud, einer Jüdin. Weidner gehörte zu jenen Polizisten, die aufgrund der Ehe mit einer Jüdin 1937 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden.
„Die Arbeit hat mich sehr betroffen gemacht"
Als er ein Jahr später starb, erhielt seine Frau zwar die Witwenrente. Doch mit dem Ende der „privilegierten Mischehe“ ging später ihr Schutz vor Deportation verloren: Die „Volljüdin“ wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Bähr nutzte bei seiner Forschungsarbeit auch die modernen Medien. Mit dem Smartphone konnte er die Akten fotografieren und auf dem Bildschirm zu Hause genau studieren. Weitere Quellen waren die Gedenkstätten, das Bundesarchiv und das Archiv der Sportvereinigung Polizei. „Die Arbeit an diesem Projekt hat mich sehr betroffen gemacht. Die Willkür, wie mit den Kollegen in den eigenen Reihen umgegangen wurde, ist erschreckend.“
Bähr sagt, er will diesen Menschen jetzt „ein Gesicht geben“, ihre Geschichte erzählen und somit vor dem Vergessen bewahren. Dazu gehört auch das Leben von Otto Stern, seinerzeit einer der besten Fußballer Hamburgs. Der jüdische „Mischling“ und „Geltungsjude“ wurde 1934 als Zugwachtmeister aus dem Dienst entlassen. Er musste danach Zwangsarbeit leisten und wurde 1945 nach Theresienstadt deportiert. Nach dem Krieg konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht in die Polizei zurückkehren. Aber Stern beteiligte sich intensiv am Wiederaufbau der Fußballabteilung der Sportvereinigung Polizei.
Nationalsozialismus: Ausstellung im Polizeimuseum
Wie schlimm die Jahre des Überlebenskampfes bereits vor seiner Deportation ins KZ waren, erinnerte er so: „Um mein nacktes Leben zu fristen, verpflichtete ich mich bei der Fa. Gäbler & Kleemann als Kohlenarbeiter, wo ich bis 1940 durchhielt. Was dieser Kontrast im Verhältnis zu meiner früheren Tätigkeit bedeutet, kann nur der ermessen, der jemals eine derartige Entwürdigung durchmachen musste ...“
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Die Ausstellung wird in der kommenden Woche in Anwesenheit von Innensenator Andy Grote (SPD) eröffnet und ist vom 24. Oktober bis 21. November im Polizeimuseum für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie dokumentiert nicht nur Einzelschicksale, sondern gewährt Einblicke in den damaligen Polizeiapparat. Martin Bähr: „Die Hamburger Polizei hat die Vorgaben der rassischen Entlassungen in den eigenen Reihen willfährig ausgeführt.“
Weitere Informationen: www.polizeimuseum.hamburg/