Hamburg. 22 Jahre nach der Tat will Rot-Grün den Mord an Süleyman Tasköprü neu bewerten lassen. Warum die Grüne Jugend dennoch auf Zinne ist.
Die Aktivitäten der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in Hamburg, die unter anderem für den Mord an dem Altonaer Gemüsehändler Süleyman Tasköprü verantwortlich war, sollen nun wissenschaftlich statt politisch aufgearbeitet werden. Darauf haben sich SPD und Grüne, trotz eines vorangegangenen heftigen Streits in der Koalition geeinigt.
Der Antrag der Linkspartei auf Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA), über den am Donnerstagabend in der Bürgerschaft abgestimmt wird, dürfte damit nicht auf die nötigen 20 Prozent der Abgeordneten-Stimmen kommen. Denn auch die CDU hat signalisiert, für die wissenschaftliche und gegen die politische Aufklärung zu stimmen. Die Linke allein stellt nur 13 der 123 Abgeordneten.
NSU-Mord in Hamburg wissenschaftlich statt politisch aufarbeiten
Der NSU hatte zwischen 2000 und 2007 bundesweit neun Menschen mit Migrationshintergrund sowie eine Polizistin ermordet, ohne dass den Sicherheitsbehörden der rechtsextremistische Zusammenhang aufgefallen war. Auch im Fall von Süleyman Tasköprü, der 2001 im Laden seines Vaters mit drei Schüssen regelrecht hingerichtet worden war, wurde lange im persönlichen Umfeld des Opfers ermittelt, man hat sogar angebliche Kontakte zum Rotlichtmilieu untersucht – bis 2011 die rechte Terrorgruppe aufgeflogen war.
Die Hamburger Politik hatte sich seitdem durchaus intensiv mit dem Thema befasst, unter anderem in zehn Sitzungen des Innenausschusses und in 15 Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollausschusses, wie von SPD-Seite betont wird. Zudem hatte die Bürgerschaft 2018 den Angehörigen von Süleyman Tasköprü ihr Mitgefühl und tiefes Beileid ausgesprochen und „das erlittene Leid, das sie durch die mit einem falschen Verdacht geführten Ermittlungen erfahren“, zutiefst bedauert.
Linke scheitert mit Vorstößen für einen Untersuchungsausschuss
Dennoch blieb die Hansestadt das einzige Bundesland mit einem NSU-Mord, in dem kein Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde. Die Linkspartei hatte dies immer wieder beklagt, war mit ihren Vorstößen 2015 und 2018 aber gescheitert – auch weil die Grünen denen jeweils nicht zugestimmt hatten. Als die Links-Fraktion nun einen dritten Anlauf unternahm, sorgte das für einen ungewöhnlich heftigen Krach in der rot-grünen Koalition.
Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg hatte auf Abendblatt-Anfrage erklärt, sie bedaure, dass es „bisher keine parlamentarischen Mehrheiten für eine konsequente Aufklärung“ gegeben habe, und hinzugefügt: „Es ist erschütternd, dass es hier seit vielen Jahren eine vehemente Ablehnung zur Einsetzung eines PUAs seitens der SPD und CDU gibt.“
Koalitionskrach in Hamburg: SPD weist „unhaltbare Vorwürfe“ der Grünen zurück
Der Koalitionspartner schäumte daraufhin vor Wut. Seine Fraktion weise die „unhaltbaren Vorwürfe von Jennifer Jasberg auf das Schärfste zurück“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Es ist unsachlich und nicht hilfreich, dass die grüne Fraktionsvorsitzende ohne Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer des NSU Stimmung macht“, sagte Kienscherf und erklärte: „Ein PUA ist ein parlamentarisches Kontrollgremium, in dem die parteipolitische Aufarbeitung im Fokus steht. Deshalb halten wir diese Instanz für ungeeignet, 20 Jahre nach der Tat für Aufklärung zu sorgen.“
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Diese Sichtweise setzte sich nun offenbar innerhalb der Koalition durch. Gemeinsam beantragte man, eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, die die Geschehnisse und Ermittlungen rund um den Mord an Süleyman Tasköprü auswerten und wissenschaftlich aufbereiten soll – „auf Grundlage aller vorhandenen Akten, Dokumente, Datenbestände und anderer Erkenntnisquellen einschließlich der Befragung beteiligter Personen“.
Beirat aus 14 Abgeordneten soll die Arbeit der Wissenschaftler begleiten
Zur politischen Begleitung soll die Bürgerschaft einen Beirat aus 14 Abgeordneten aller Fraktionen einrichten. Zudem soll die Stadt ihre Akten, Dokumente und Datenbestände zum NSU dem künftigen Archiv zu Rechtsterrorismus des Bundes sowie dem Hamburger Staatsarchiv übergeben.
„Es ist unsere Verantwortung als Politik, im Kampf gegen Rechtsextremismus wachsam und nicht nachlässig zu sein. Taten wie die des NSU müssen lückenlos aufgeklärt und öffentlich aufgearbeitet werden“, sagte Grünen-Fraktionschefin Jasberg. „Die Gefahr des Rechtsterrorismus gehört in das Bewusstsein unserer Stadt. In diesem Sinne gehen wir nun mit unserem Koalitionspartner einen großen Schritt in Richtung umfassende Aufklärung.“
SPD: Keine konkreten Hinweise auf Verbindungen des NSU nach Hamburg
SPD-Innenexperte Sören Schumacher verwies darauf, dass die Morde des NSU sowohl in Hamburg als auch bundesweit bereits „Gegenstand eines umfangreichen Untersuchungsprozesses“ gewesen seien: „Im Ergebnis gab es keine konkreten Hinweise auf Verbindungen des NSU nach Hamburg.“ Ein weiterer Untersuchungsausschuss sei daher „kein geeignetes Instrument, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Auch weil sich bis heute bundesweit entscheidende Zeug/-innen in Schweigen hüllen“, so Schumacher. „Deshalb setzen wir uns als SPD-Fraktion für einen wissenschaftlichen Zugang ein, und es ist gut, dass wir auch den Koalitionspartner für eine ergebnisorientierte Untersuchung gewinnen konnten.“
Grüne Jugend kritisiert Koalition und fordert weiter einen Untersuchungsausschuss
Innerhalb der Grünen sorgt dieser Weg dennoch weiter für Diskussionen und Kritik. „Die wissenschaftliche Aufarbeitung rechter Netzwerke und des NSU-Komplexes wird nicht ausreichen“, sagte Berkay Gür, Landessprecher der Grünen Jugend. Denn im Gegensatz zu den Wissenschaftlern habe ein Untersuchungsausschuss hoheitliche Mittel, Befugnisse und Beweiserhebungsrechte.
„Fehlentwicklungen in den Ermittlungen und Missstände in den Sicherheitsbehörden lassen sich nur mit Akteneinsicht und Zeugenvorladung klären“, so Gür, der klarstellte: „Wir erwarten von SPD und Grünen, ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden. Parteiinteressen müssen jetzt hinten angestellt werden. Wir fordern weiterhin die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses!“