Hamburg. Dennis Thering möchte 2025 Bürgermeister werden: Er bezweifelt das Zwei-Millionen-Ziel und will Hamburgs Grün erhalten.
Bis vor Kurzem wurde die Union in der Hansestadt eher belächelt – seit dem Rückzug von Ole von Beust 2010 erlebte die CDU einen permanenten Niedergang, der die Partei bei der letzten Bürgerschaftswahl 2020 bis in das tiefe Tal von 11,2 Prozent führte. Seit der Berlin-Wahl, bei der die einst schwindsüchtige Union mit 28,2 Prozent zur stärksten Partei wurde, ist dem politischen Gegner in Hamburg das Lachen vergangen. Zumal mit Dennis Thering ein Mann die Macht bündelt – seit 2020 ist er CDU-Fraktionsvorsitzender, nun auch Parteichef und bald Spitzenkandidat. Aber wofür stehen er und seine Partei?
Zur Abteilung Attacke muss man den 39-Jährigen nicht unbedingt zählen, er poltert nicht, ist eher ein Mann der leisen Töne und ähnelt damit Bürgermeister Peter Tschentscher. Er nutzt das Privileg der Opposition, vieles erst einmal abzulehnen, ohne konkret Alternativen aufzeigen zu müssen. Gerade im Bereich der Stadtentwicklung setzt er sich deutlich vom rot-grünen Senat ab.
Was wird aus Hamburg? Thering zweifelt am Ziel von zwei Millionen Einwohnern
Während Bürgermeister Peter Tschentscher im kommenden Jahrzehnt zwei Millionen Einwohner erwartet und SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sogar 2,2 Millionen Einwohner in die Debatte brachte, tritt der CDU-Chef auf die Bremse: „Zwei Millionen Einwohner sehe ich aktuell noch nicht – weder die Verkehrsinfrastruktur noch die medizinische oder die soziale Infrastruktur sind mitgewachsen. Es reicht nicht, wenn SPD und Grüne immer nur Wohnungen versuchen zu bauen und Arztpraxen oder Schulen dabei vergessen.“
Thering sieht Grenzen des Wachstums: „Ich möchte Hamburg als grüne Stadt am Wasser erhalten.“ Er fordert einen Schwenk in der Wohnungsbaupolitik: „Wir müssen wegkommen von einer wachsenden Versiegelung, wir müssen den Flächenfraß stoppen.“ Potenziale sieht der ausgebildete Bankkaufmann an den Ausfallstraßen, in der Aufstockung bestehender Gebäude, der Umwandlung von Büros oder in Quartieren wie der City Nord. Der Hafen hingegen benötige seine Erweiterungsflächen. Deshalb sehe er dort keinerlei Potenzial für weitere Wohnungsprojekte.
Der CDU-Chef will in Zukunft höher bauen
„Wir müssen mehr bauen, aber nicht in die Breite gehen, sondern in die Höhe. Wir wollen die grünen Flächen schützen, um Hamburg lebenswert zu erhalten, und dafür ein oder zwei Geschosse höher bauen. Da unterscheiden wir uns deutlich von SPD und Grünen.“
Thering kritisiert beispielsweise, dass es noch immer viele eingeschossige Supermärkte gebe. „Bevor wir diese Wohnungsbaupotenziale nicht ausschöpfen, dürfen wir keine Grünflächen mehr vernichten, so wie es der Senat mit Landschaftsschutzgebieten macht.“
Diekmoor und Oberbillwerder sollen nicht bebaut werden
Damit kritisiert der CDU-Politiker etwa die geplante Bebauung des Diekmoors in Langenhorn, wo 700 Wohnungen entstehen sollen, aber auch das Großvorhaben in Bergedorf. 6000 Wohnungen sind im neuen Stadtteil Oberbillwerder am Reißbrett geplant. „Diese wertvolle Grünfläche muss erhalten bleiben. Oberbillwerder ist ein besonders schützenswertes Gebiet, das für die Entwässerung wichtig ist.“
Thering zieht den gesamten städtebaulichen Plan in Zweifel: „Wir sehen dort ein chaotisches Verkehrskonzept, ein Stadtteil, in den Autos gar nicht mehr hineinfahren sollen. Wenn wir 2025 mitregieren, werden wir das Projekt auf jeden Fall auf den Prüfstand stellen.“
Kritik am Kompromiss mit den Volksinitiativen
Am rot-grünen Ziel von 10.000 neuen Wohnungen jährlich hält Thering indes fest. „Der Senat hat das Thema Wohnungsbau anfänglich ambitioniert vorangebracht“, lobt der CDU-Politiker, um im selben Atemzug einzuschränken: „Das ist in den letzten Monaten aufgrund fataler Fehlentscheidungen zum Stocken gekommen.“ Der Schulterschluss mit den Initiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“ werde die Bautätigkeit bremsen, befürchtet der Hummelsbüttler.
„Wir sehen, dass der Senat das Bauen immer unattraktiver macht. SPD und Grüne haben mit dem faulen Kompromiss vieles kaputt gemacht und Vertrauen zerstört.“ Er geht davon aus, dass im nächsten Jahr in der Stadt weniger als 5000 Wohnungen gebaut werden.
„Die SAGA allein wird das Problem nicht lösen“
Noch andere Faktoren wie die steigenden Zinsen, die hohen Baukosten und die fehlenden Fachkräfte belasten. „Wohnungsbau muss sich rentieren, nicht nur für private Investoren, sondern auch für die Genossenschaften. Die Saga allein wird unsere Probleme nicht lösen können.“
Thering will auch bei der Nachfrage ansetzen – ein beträchtlicher Teil des Bevölkerungszuwachses der vergangenen Jahre speist sich aus der Migration. „Die Aufnahmekapazitäten Hamburgs sind fast am Ende angekommen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, Hilfesuchende besser über das Bundesgebiet zu verteilen.“ Er plädiert dafür, auch ukrainische Flüchtlinge per Königsteiner Schlüssel den Bundesländern zuzuordnen.
Thering sieht „Kampf gegen das Auto“
Eingeschossen hat sich Thering auf die Verkehrspolitik des Senats, eines der „emotionalsten Themen“. Er kritisiert die Ausweitung des Anwohnerparkens, Hamburgs zweifelhaften Ruf als Stauhauptstadt Hamburg und das „katastrophale Baustellenmanagement“. Der „Kampf gegen das Auto“ vergifte das Klima in der Stadt. „Viele sagen, dafür sei Anjes Tjarks als Verkehrssenator verantwortlich, aber Hauptverantwortlicher ist Peter Tschentscher, der alles eins zu eins mitträgt.“ Die Hamburger, das zeigten die Zulassungszahlen, wollten ihr Auto offensichtlich behalten. „Deshalb sagen wir als CDU: Die Menschen, die Auto fahren wollen, müssen auch schnell und sicher von A nach B kommen.“
Der öffentliche Personennahverkehr bleibe aber das Rückgrat der Mobilität, das ausgebaut werden müsse. Thering will zugleich Fußgänger und Radfahrer fördern. Allen wohl, niemand weh? Thering verneint: „Man kann eine Verkehrspolitik machen, die alle Hamburger mitnimmt und keinen ausschließt.“
Nein zur Stadtbahn
Ausschließen kann der designierte Spitzenkandidat aber die Wiederauferstehung der Straßen- oder Stadtbahn: „Die Wähler haben dagegen gestimmt. Die Stadtbahn hat in absehbarer Zeit in Hamburg keine Chance. Wir haben uns für den Ausbau der U-Bahn entschieden.“ Er könne schon heute versprechen, dass die Stadtbahn 2025 nicht mehr im Regierungsprogramm der Union stehen werde.
Die Lage in der Innenstadt treibt den Vater einer Tochter um: „Ich komme häufig nach 20 Uhr aus dem Rathaus und bin manchmal gefühlt der einzige Mensch in der City.“ Seine Fraktion habe früh erkannt, dass die Innenstadt in schweres Fahrwasser gerät. „Das hat sich durch Corona und den Onlinehandel noch einmal deutlich verschärft.“
Sorge um die Innenstadt
Durch die Eröffnung des Überseequartiers werde sich der Druck auf die Innenstadt noch einmal erhöhen. „Wenn der Senat nicht endlich umsteuert, kommen ganz schwere Zeiten auf die City zu. Das darf nicht passieren.“
Thering verweist auf das Innenstadt-Konzept der Union aus dem Jahr 2021. Es sieht eine Promenade an der Binnenalster vor, um die Stadt nach Feierabend lebendiger zu machen. „Viele Menschen identifizieren sich mit unserer Innenstadt: Sie muss ihre Attraktivität behalten und ausbauen. Wir stellen uns eine Markthalle wie etwa in Barcelona vor, die als Magnet Menschen in die Innenstadt zieht.“
City muss familienfreundlicher werden
Auch für Familien muss die City ein attraktives Ausflugsziel werden, denn Shoppen könne man auch online. Thering wünscht sich nicht nur mehr Grün, sondern auch mehr Kultur, etwa über kleine Bühnen. Und er will die Innenstadt erreichbar halten, etwa über günstigere Parkgebühren. Auch beim Wohnen in der City vermisst der CDU-Politiker Initiativen des Senats.
Die Idee der Innenstadtkoordinatorin sei richtig, es fehle ihr aber an Befugnissen. Und noch einen Punkt spricht er an: „Die Stadt muss wieder sicherer werden. Zu viele Menschen sagen, sie fühle sich dort nicht mehr wohl. Sie haben Angst, Opfer einer Straftat zu werden.“
Innere Sicherheit wird Wahlkampfthema
Das Thema Innere Sicherheit will der Tschentscher-Herausforderer in den Mittelpunkt rücken. Deutliche Worte findet der Fraktionschef für die Situation am Hauptbahnhof, wo sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlten: „Der Hauptbahnhof muss wieder zur Visitenkarte der Stadt werden. Wir brauchen mehr Polizei auf der Straße, Waffenverbotszonen und Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten.“
Wie zur Jahrtausendwende habe sich dort eine offene Drogenszene etabliert. Thering sieht Parallelen zur Wahl 2001. „Der SPD-geführte Senat ist auf dem besten Weg, die Wahl 2025 mit dem Thema Innere Sicherheit zu verlieren.“
Thering: Senat hat ein mentales Problem
Dem Senat bescheinigt der CDU-Politiker ein mentales Problem. „Ich habe das Gefühl, dass SPD und Grüne zu lange geglaubt haben, dass alles von alleine läuft. Das fällt dem rot-grünen Senat jetzt auf die Füße. Man muss mit der Zeit gehen und neue Impulse setzen.“ Gute Stadtentwicklungspolitik lebe von neuen Ideen. „Das kommt mir beim Bürgermeister zu kurz. Peter Tschentscher verwaltet eher mittelmäßig und gestaltet unsere Stadt nicht. Hamburg muss sich immer wieder neu erfinden. Dieser Erfindergeist fehlt.“
Er sieht Parallelen zur Situation 2001, als die CDU mit dem Leitbild der Wachsenden Stadt für sich warb. Dieses Leitbild hatte das Ziel, die Wirtschaft nach vorne zu bringen, Hamburg als schlafende Schöne wachzurütteln. „Die Hamburger Politik liegt leider ein bisschen im Dornröschenschlaf. Wir werden sie aufwecken.“
Thering kritisiert, dass die Rekorddividende von Hapag-Lloyd, die der Stadt im Mai rund 1,5 Milliarden Euro in die Kassen spült, nicht in die Bildung fließt: „Unser Potenzial, unser Kapital ist das Wissen. Deshalb hätte ich diese Dividende in Schulen und Universitäten gesteckt. Die Hochschulen in Hamburg sind massiv unterfinanziert. Wir müssen in Studiengänge investieren, die den Wohlstand von morgen sichern.“
Viel Kritik am Bürgermeister, eher Zurückhaltung bei den Grünen – spekuliert da schon jemand auf ein schwarz-grünes Bündnis? „Nein, überhaupt nicht“, wehrt Thering ab. „Aber Peter Tschentscher ist der Hauptverantwortliche für die Politik in unserer Stadt. Von daher verantwortet er auch das, was die Grünen verbocken, gerade in der Verkehrspolitik. Ich wünsche mir einen Bürgermeister, der Haltung zeigt und führungsstark ist. Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Es würde der Stadt guttun, nach 14 Jahren SPD wieder frischen Wind zu spüren.“
Was wird aus Hamburg? Thering ist nicht gegen den Elbtower
Bürgermeister neigen dazu, Wahrzeichen zu schaffen – Henning Voscherau ersann die HafenCity, Ole von Beust brachte die Elbphilharmonie auf den Weg, Olaf Scholz den Elbtower. Thering gibt sich eher zurückhaltend: „Es braucht nicht immer große Wahrzeichen, wie das Projekt von Olaf Scholz zeigt.“
Er ist nicht gegen den 245 Meter hohen Wolkenkratzer: „Es ergibt selten Sinn, Dinge zu hinterfragen, die entschieden worden sind. Jetzt wird er gebaut. Aber das Streben nach immer neuen Wahrzeichen brauchen wir nicht. Hamburg ist eine starke Stadt mit vielen anderen wichtigen Projekten in den Stadtteilen. Da wollen wir ran.“