Hamburg. Die Infektionszahlen und der Sieben-Tage-Wert steigen – dennoch ist die Lage in anderen Großstädten noch angespannter.

Zugegeben: Wer von Norden aus auf Hamburg schaut, könnte die Stadt schon als Corona-Risikogebiet wahrnehmen: Denn während die entscheidenden Sieben-Tage-Werte in Kiel (6,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche), Lübeck (10,6) und Flensburg (13,4) noch unauffällig sind, kommt die große Hansestadt im Süden nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) am Mittwoch auf 27,5 – die Senats-Statistik weist sogar einen Wert von 34,1 aus.

Blickt man jedoch am Mittwochvormittag von Hamburg aus auf die anderen Großstädte der Repu­blik, sieht das Bild ganz anders aus: Ob Berlin (42,4), Bremen (46,7), München (34,7), Köln (39,6), Frankfurt (47,0) oder Stuttgart (35,4): Alle stehen schlechter da – vier der zwölf Berliner Bezirke werden vom RKI offiziell als Risikogebiet ausgewiesen, weil dort der Grenzwert von 50 überschritten ist. Der Bezirk Neukölln (84,0) wird bundesweit nur noch von der Stadt Hamm (94,9) übertroffen.

Corona-Zahlen: Warum Hamburg besser dasteht als andere

Die Frage, warum Hamburg noch etwas besser dasteht als andere Metropolen, ist nicht einfach zu beantworten – denn viele Daten sind nur eingeschränkt vergleichbar, etwa weil das RKI und die Länder und Kommunen unterschiedliche Angaben machen.

  • Beispiel Todesfälle: Hamburg lässt bekanntlich alle verstorbenen Covid-19-Patienten obduzieren und wertet nur diejenigen als Corona-Tote, bei denen das Virus nachweislich die Todesursache war – das RKI zählt hingegen alle Verstorbenen, die infiziert waren.
  • Beispiel Einwohnerzahl: Das RKI greift auf die Zensus-Daten zurück, wonach Hamburg 1,84 Millionen Einwohner hat – die Hansestadt selbst arbeitet hingegen seit Kurzem mit den aktuelleren Melderegisterdaten, wonach 1,9 Millionen Menschen in der Stadt leben.
  • Beispiel Sieben-Tage-Wert: Obwohl Hamburgs Senat mit einer höheren Einwohnerzahl arbeitet, weist er für die vergangenen sieben Tage 34,1 Infektionen pro 100.000 Einwohner aus – also einen deutlich ungünstigeren Wert als das RKI. Die Sozialbehörde erklärt das mit aktuelleren und daher „ehrlicheren“ Daten.

Um trotzdem annähernd Vergleichbarkeit herzustellen, legen wir die Daten vom Mittwoch zugrunde, die das RKI auf seinem Covid-19-Dashboard tagesaktuell ausweist.

Das Coronavirus in Deutschland und weltweit:

Wo sich Hamburg und andere Städte gleichen – und wo sie sich unterscheiden

  • Zahl der Infizierten pro 100.000 Einwohner: Hamburg hat demnach seit Beginn der Pandemie 8.451 Corona-Fälle verzeichnet. Bei 1,84 Millionen Einwohnern entspricht das 459 Fällen pro 100.000 Einwohner. Auch Berlin (3,67 Millionen Einwohner, 16.227 Fälle, 442 pro 100.000) und der dritte Stadtstaat Bremen (569.000/2424/426) kommen auf vergleichbare Werte. München hingegen hat deutlich mehr Infizierte (12.002) als Hamburg, aber weniger Einwohner (1,47 Millionen) und kommt daher auf 816 Fälle pro 100.000 Bürger.
  • Todesfälle: Hier sieht das Bild etwas anders aus: In Hamburg gab es laut RKI 274 Corona-Tote (die Stadt selbst spricht von 241), was 14,9 Todesfällen pro 100.000 Einwohnern entspricht. In Bremen mit seinen 53 Corona-Toten liegt dieser Wert nur bei 9,3, und in Berlin (231 Tote) sogar nur bei 6,3. München (228/ 15,5) hat dagegen eine noch höhere Todesrate als Hamburg.
  • Patienten im Krankenhaus: In Hamburg werden derzeit 57 Covid-19-Patienten in Kliniken behandelt, davon zwölf auf Intensivstationen. In Berlin sind es 126/40 und in Bremen 17/4. München meldet diese Zahlen nicht. Dabei ist zu beachten, dass in jeder Großstadt auch Patienten aus dem Umland behandelt werden – in Bremen einer, in Hamburg acht.
  • Die Gründe: Bei der Frage trifft man auf etliche „weiche“ Faktoren wie die höhere Bevölkerungsdichte in Berlin und München, aber nur wenige harte. Einer davon: In Hamburg werden laut Sozialbehörde pro Werktag durchschnittlich 12.200 Corona-Tests durchgeführt, also rund 60.000 pro Woche. Berlin kommt trotz doppelt so viel Einwohnern nur auf 51.000 Tests pro Woche, und München nur auf maximal 5500 pro Tag. Dabei gilt: Wer viel testet, findet zwar vermutlich mehr positive Fälle – kann das Geschehen aber auch effektiver eindämmen.

Kontaktverfolgung: Hamburg sieht sich gut aufgestellt

Wichtig ist auch, wie intensiv die Gesundheitsämter die Kontakte eines Infizierten nachverfolgen und Maßnahmen ergreifen können. Der Hamburger Senat sieht die Stadt dabei gut aufgestellt und darin auch einen Grund für die vergleichsweise gute Lage.

Die Zahlen geben das allerdings nicht her: Denn während in den Hamburger Gesundheitsämtern 260 Mitarbeiter plus einige Helfer der Bundeswehr in der Kontaktverfolgung tätig sind, sind es im kleineren München 440 Vollzeitkräfte, unterstützt von mehr als 50 Soldaten. Berlin und Bremen haben auf entsprechende Anfragen des Abendblatts nicht reagiert. Aus der Hauptstadt ist allerdings bekannt, dass man ebenfalls Unterstützung der Bundeswehr erhält, diese aber vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg abgelehnt wurde – obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz dort bei 53,8 liegt.

Bußgelder in München deutlich höher als in Hamburg

Auch bei der Ahndung von Verstößen gegen die Corona-Auflagen scheint München strenger zu sein als Hamburg: In der bayerischen Landeshauptstadt wurden 9100 Bußgeldverfahren eingeleitet und dabei bislang 1,2 Millionen Euro eingetrieben. Im größeren Hamburg waren es zwar 11.000 Bußgeldverfahren, wobei aber bislang nur eine Million Euro in die Kassen kam. Bremen und Berlin machten dazu keine Angaben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Einnahmen hängen natürlich auch von der Bußgeldhöhe ab, die sich zum Teil erheblich unterscheidet: So kann in München schon der einmalige Verstoß gegen die Maskenpflicht 250 Euro kosten. In Berlin liegt der Bußgeldrahmen dafür hingegen „nur“ bei 50 bis 500 Euro, in Hamburg sind 80 Euro fällig. Wer die Quarantäne-Auflage nach der Einreise aus einem Risikogebiet missachtet, zahlt in Hamburg 500 bis 10.000 Euro, in Bremen dagegen nur 400 Euro. Auch die „verbotswidrige Ansammlung in der Öffentlichkeit“ ist in Hamburg mit 150 Euro pro Person teurer als in Bremen (50 bis 150 Euro).

Berlin hat die strengsten Regeln in der Gastronomie

Die Corona-Regeln in den vier Städten unterscheiden sich zwar nicht gravierend, wohl aber der Zeitpunkt des Inkrafttretens und ihre Akzeptanz. So sind private Feiern in Hamburg nur mit 25 Personen erlaubt, in Bremen aber mit 50. Dafür wurde an der Weser schon Mitte Juni ein Verbot für den Außerhaus-Verkauf von Alkohol verhängt, Hamburg zog erst Ende Juli nach. Berlin reagierte sogar erst jetzt – dafür mit einer noch strengeren Sperrstunde für Kneipen und Kioske. Während sich die Hansestädte mit ihrer Regelung arrangiert haben, ist die Berliner Wirtschaft auf Zinne und fordert stattdessen die strengere Kon­trolle bestehender Regeln.

Die hat sogar Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angemahnt: Völlig unverständlich sei ihm, dass es noch Berliner Restaurants gebe, in denen er der einzige Maskenträger sei und angeschaut werde, „als wärst du vom anderen Mond“. Seine Forderung: „Regeln müssen auch durchgesetzt werden.“ Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) entgegnete, er wisse, was zu tun ist, und mahnte: „Keiner hat das Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.“ Aber vergleichen darf man sich trotzdem mal.

Hamburg droht mit Sperrstunde und Alkoholverbot

Zumal auch in Hamburg strengere Regeln am Mittwoch zumindest angedeutet wurden: Sowohl die Sozialbehörde als auch Wirtschaftssenator  Michael Westhagemann (parteilos) sagten, dass man aktuell vor allem die Szeneviertel im Blick habe, da diesen die überwiegende Zahl der Infektionen zuzuordnen sei.

„Achten Sie in Ihren Lokalen auf den ausreichenden Abstand, tragen Sie Masken, und geben Sie als Gast unbedingt ihre korrekten Kontaktdaten ein“, appellierte Westhagemann bei einem Treffen mit Gastronomie-Vertretern. Da derartige Appelle des Senats aber schon mehrfach verhallt sind, drohte er indirekt mit scharfen Konsequenzen: „Vor allem können wir damit verschärfte Regeln vermeiden – wie eine mögliche Sperrstunde, ein Alkoholverbot oder eine deutliche Reduzierung der gleichzeitig anwesenden Gäste.“