Hamburg. Karstadt-Erpresser Dagobert, die Reemtsma-Entführung, der Säurefassmörder Lutz Reinstrom – eine Bilanz nach 30 Jahren LKA.

Als am 22. April 1994 in einer Telefonzelle im Berliner Stadtteil Treptow Polizisten den damals 44 Jahre alten Arno Funke festnahmen, war einer der größten Fälle des Landeskriminalamtes gelöst. Fast zwei Jahre hatten der Grafiker und die Polizei sich gegenseitig genarrt in einem Ringen um damals 1,5 Millionen D-Mark, die der Mann unter dem Pseudonym „Dagobert“ vom Karstadt-Konzern erpressen wollte. Es war einer der ganz großen Kriminalfälle in der 30-jährigen Geschichte des Landeskriminalamtes. Wie fast alle Jahrhundert-Fälle spielte er sich in den 1990er-Jahren ab.

Begonnen hatte die Erpressung am 13. Juni 1992 in Hamburg. An der Mönckebergstraße explodierte nachts in der Porzellanabteilung von Karstadt eine Bombe, die Sachschaden anrichtete. Die Tat war verbunden mit einer Geldforderung. Mit einer Zeitungsanzeige signalisierte Karstadt Zahlungsbereitschaft. Der Text lautete „Dagobert grüßt seine Neffen“. Es war der Auftakt zu einer Erpressung, wie sie Deutschland noch nicht erlebt hatte. In der Folge waren Tausende Polizisten an der Jagd nach Dagobert beteiligt. Der Erpresser perfektionierte ein Geldübergabeverfahren, dass zwei Jahre zuvor ein anderer Erpresser, „Herbert der Sänger“, eingesetzt hatte.

Zahlreiche Geldübergabeversuche

Der Abwurf des Geldes aus einem Zug. „Dagobert“ konstruierte dafür einen Kasten mit einer Magnethalterung, durch die er den Geldübergabemoment genau bestimmen konnte. Es war einer von mehreren raffiniert wirkenden Übergabeversuchen. Dagobert baute einen Schienengleiter für das Geld, er machte aus einer Streusandkiste eine „Eieruhr“, durch die das Geld in einen Gullyschacht fallen sollte oder er konstruierte ein Mini-U-Boot, das nicht mehr zum Einsatz kam. Das brachte ihm Sympathie und fast schon Bewunderung ein.

An das Geld kam er allerdings nie. Es wurde so gut wie in keinem Fall der zahlreichen Geldübergabeversuche abgeworfen oder in eine seiner Vorrichtungen gelegt. Stattdessen setzte die Polizei Papierschnipsel oder „Donnerschlag“ ein, eine Tränengasbombe, die beim Aufheben des Paketes detonieren und den Erpresser außer Gefecht setzen sollte. Auch dieser Plan ging nicht auf. Gefasst wurde „Dagobert“, weil die Polizei Telefonzellen großflächig überwachen ließ, nachdem klar war, dass der Erpresser so die Polizei kontaktierte.

Seit August 2000 ist der Kaufhaus-Erpresser wieder ein freier Mann. Er schrieb Bücher und machte eine bescheidene Karriere. Karriere machte auch Dagobert-Jäger Michael Daleki. Er war bei der Hamburger Polizei unter anderem Leiter des Landeskriminalamtes und wurde 2008 als Vize-Polizeipräsident pensioniert.

33 Tage lang in der Gewalt der Entführer

Es waren 33 Tage seines Lebens, die Jan Philipp Reemtsma gestohlen wurden, die er als Geisel in einem Keller in einem extra angemieteten Haus in Garlstedt bei Bremen im Keller gefangen gehalten wurde. Der Millionen-Erbe aus der Zigaretten-Dynastie wurde Opfer der spektakulärsten Entführung der deutschen Kriminalgeschichte. Sie begann am 25. März 1996 in Blankenese.

Auf dem Weg zu seinem Arbeitshaus war der damals 43-Jährige abgefangen, niedergeschlagen und entführt worden. Die Täter hinterließen auf einer Gartenmauer einen mit einer Handgranate beschwerten Erpresserbrief. Darin forderten sie zunächst 20 Millionen Mark Lösegeld. Die Forderung wurde nach zwei gescheiterten Geldübergabeversuchen auf 30 Millionen Mark erhöht. Am 24. April führte der Hamburger Pastor Christian Arndt bei Krefeld die Übergabe durch. Am 26. April wurde Reemtsma auf einem Waldweg im Landkreis Harburg ausgesetzt. Er erreichte ein Haus. Der Eigentümer schenkte ihm ein Glas Wein ein. Von dort rief er seine Frau an und von dort wurde die Polizei informiert.

Der Reemtsma-Erpresser Thomas Drach bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel.
Der Reemtsma-Erpresser Thomas Drach bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel. © HA | Andre Zand-Vakili

Schon einen Monat nach der Tat wurden die beiden Handlanger der Entführung in Spanien festgenommen und später ausgeliefert. Der Drahtzieher der Entführung, Thomas Drach, wurde erst 1998 in Argentinien verhaftet und zwei Jahre später ausgeliefert. Für die Tat wurde er zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Er ist das, was sicher viele Menschen als Monster sehen würden: der Säurefassmörder Lutz Reinstrom. Seine Taten beging er, bevor das Landeskriminalamt gegründet wurde. 1986 und 1988 verschleppte er zwei Frauen in Rahlstedt in seinen im Garten gebauten unterirdischen Atombunker. Bis zu vier Wochen hielt der gelernte Kürschner seine Opfer gefangen, folterte und missbrauchte sie, bevor er sie tötete und zerstückelte. Die Leichen steckte er in Fässer mit Säure, die er auf dem Grundstück seines Wochenendhauses in Basedow vergrub.

Kriminalbeamtin ermittelte auf eigene Faust

Auf die Spur des Säuremörders kam das Landeskriminalamt durch die Beharrlichkeit von zwei Kriminalisten. Reinstrom war 1992 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, weil er eine Frau entführt hatte und Lösegeld erpressen wollte. Die Tat scheiterte, weil die Frau des Kürschners zu früh aus dem Urlaub zurückkam. Reinstrom ließ sein Opfer frei und wurde ermittelt. Von den Folter-Morden ahnte niemand etwas. Es war der Kontakt zur Mutter einer der zerstückelten Frauen, die zu dem Zeitpunkt als vermisst galten, die die damalige Kriminalbeamtin Marianne Atzeroth-Freier dazu brachte, zusammen mit ihrem Kollegen Andreas Lohmeyer auf eigene Faust und gegen den Willen ihrer Vorgesetzten zu ermitteln. Sie lösten den Fall. Lutz Reinstrom, dem vor Gericht eine „schwere seelische Abartigkeit“ attestiert wurde, sitzt in Sicherheitsverwahrung.

Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme des World ­Trade Centers in New York gesteuert wurden und sie in sich zusammenstürzten und eine weitere Maschine in das Pentagon, das amerikanische Verteidigungsministerium, stürzte, ahnte niemand, dass die Spur des verheerendsten Terroranschlags der Geschichte nach Hamburg führt. Am Tag danach aber war klar. Die Terrorzelle um Mohammed Atta, die die Anschläge plante und durchführte, hatte alles im Hamburger Stadtteil Harburg vorbereitet.

Um 19.10 Uhr war die Adresse in der Marienstraße bekannt, in der Mitglieder der Terrorzelle gewohnt hatten. In der Nacht durchsuchte die Polizei zahlreiche Wohnungen und konnte ein ganzes Netzwerk von Beteiligten und Unterstützern ermitteln. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes. Nach wenigen Stunden war dieser herausragende Fall bereits in anderen Händen. Am 13. September um 0.54 Uhr übernahm das Bundeskriminalamt die Ermittlungen.