Hamburg. Frank-Martin Heise über Internet-Gangster, Cyber-Kommissare und warum Hamburg eine relativ niedrige Aufklärungsquote hat.
Internetbetrug, organisierte (Rocker-)Kriminalität, islamistischer Terror: 30 Jahre nach Gründung des Landeskriminalamts (LKA) steht die Hamburger Polizei immer neuen Formen des Verbrechens gegenüber. Das Abendblatt sprach mit LKA-Chef Frank-Martin Heise über den ersten „Cyber-Kommissar“ und die geplante Dunkelfeldforschung, also die Frage, ob jede Straftat auch angezeigt wird.
Vor 30 Jahren wurde das LKA gegründet. Was haben Sie damals gemacht, und wie blicken Sie heute zurück?
Frank-Martin Heise: Ich selbst war damals Student auf dem Weg zum Kriminalkommissar. Nach meinem Abschluss bin ich in die örtliche Kripo, wir hatten damals ja noch die vier Polizeidirektionen mit ihren eigenen Kripo-Dienststellen. Ich habe im Innenstadtbereich angefangen. Wenn ich aus heutiger Sicht auf 30 Jahre LKA zurückblicke, dann waren es bewegte und spannende, in Teilen aber auch anstrengende Jahre. Denken Sie nur an Fälle wie „Dagobert“ oder an die digitale Revolution, die auch uns voll erfasst.
Mehrmals wurde das LKA umorganisiert. Mittlerweile gehört die gesamte Kripo dazu. Hat sich dieses Modell bewährt?
Heise: Ich glaube, dass die positiven Effekte, insbesondere was Einheitlichkeit in Strategien und Vorgehensweisen, aber auch was das Qualitätsmanagement angeht, überwiegen. Wir haben auch deutlich die Qualität der Kriminalitätsbekämpfung vor Ort angehoben. Beispielsweise, weil wir die Bearbeitung schwererer Straftaten wie Raubdelikte an die Kripodienststellen vor Ort mit Sitz an den Wachen abgegeben haben und die Fälle zeitnah mit einer vorgehaltenen Rufbereitschaft bearbeiten. Mit dem Modell unseres LKA, das gesamte Aufgabenspektrum der Kripo unter einem Dach zu bündeln, sind wir bundesweit führend. Neben den unterschiedlichsten Ermittlungsdienststellen gehören auch Unterstützungsbereiche wie die Kriminaltechnik und die Spezialeinheiten zum LKA. Bremen hat dieses Modell bereits übernommen. Es gibt natürlich auch Dinge, bei denen wir noch besser werden können. Beispielsweise überlegen wir, wie wir bei der örtlichen Kriminalitätsbekämpfung in der Kommunikation mit dem Bürger noch besser werden können.
Mit den Jahren ändern sich die Kriminalitätsphänomene. Ist das LKA in seinen Strukturen noch richtig aufgestellt?
Heise: Das ist ein spannendes Thema, das wir gerade diskutieren. Meine Überzeugung ist, dass wir uns immer an die Welt außerhalb der Polizei anpassen müssen, weil die ja unser Auftraggeber ist. Ich meine, dass das LKA als sehr große Organisation nicht ausschließlich in festen Abteilungen, Dienststellen und Sachgebieten organisiert sein muss. Wir müssen unsere Organisation auf die sich schneller verändernden Gegebenheiten einstellen. Wir machen das auch schon erfolgreich, beispielsweise mit der Einrichtung von Sokos. Dabei bringen wir unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem LKA mit ihrer jeweiligen Fachexpertise zusammen, die dann ein spezielles Kriminalitätsphänomen bekämpfen. Ich bin überzeugt, dass wir organisatorisch ein größeres Maß an Flexibilität bieten müssen. Darüber hinaus müssen wir uns angesichts neuer Tatmittel auch auf neue Ermittlungswege einstellen. Ich denke da an den Bereich der Digitalisierung und die bei der Kriminalitätsbekämpfung zunehmend größer werdende Anzahl an Massendaten, wie zum Beispiel bei der Funkzellen- und Videoauswertung. Wir müssen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu neuen Ufern kommen und die neuen Techniken für unsere Arbeit nutzbar machen.
Das Internet ist so ein neues Tatmittel. Wie hat man darauf reagiert?
Heise: Wir haben beispielsweise begonnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die eine besondere Affinität zu einem relevanten Thema haben, die Möglichkeit zu eröffnen, sich zusätzlich an einer anderen Hochschule zu qualifizieren, beispielsweise um zum Cyber-Experten zu werden. Tatsächlich haben wir auch schon unseren ersten „Cyber-Kommissar“. Wir werden in diesem Bereich aber auch auf studierte Informatiker setzen müssen. Klar ist, dass wir hierbei mit sehr gut bezahlenden Wirtschaftsunternehmen konkurrieren. Insofern müssen wir offener dafür werden, externen Sachverstand auch nur temporär für ein paar Jahre einzukaufen.
Wie sieht es generell mit dem Nachwuchs für die Kripo aus?
Heise: Tatsächlich ist das glücklicherweise aktuell kein Problem. Wir bekommen ganz tolle Leute mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen. Von der jungen Abiturientin bis zum ehemaligen Rechtsanwalt mit zwei juristischen Staatsexamen können wir im Landeskriminalamt heute und in Zukunft auf einen unglaublich großen Fundus von Expertise zurückgreifen. Ein forderndes Thema ist der gesellschaftliche Wandel und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Berufsalltag. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Forderung, der wir gerecht werden müssen und wollen. Hierzu gehört Teilzeitbeschäftigung genauso wie die Ermöglichung von Telearbeit in geeigneten Bereichen. Was alle im LKA eint, ist das tägliche Bestreben, Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Was mich immer wieder freut und beeindruckt zugleich, ist zu sehen, wie meine Kolleginnen und Kollegen, ob in Voll- oder Teilzeit, immer dann, wenn es darauf ankommt, weit über die üblichen Grenzen arbeiten.
Wie entwickelt sich die Kriminalität?
Heise: Wir haben seit Jahren grundsätzlich sinkende Fallzahlen. Das setzte sich auch 2018 fort, das ist eine gute Botschaft für die Menschen in Hamburg. Unser Eindruck aus vielen Gesprächen mit Menschen ist, dass sich diese Entwicklung aber nicht in der subjektiven Wahrnehmung abbildet. Das nehmen wir ernst. 2020 werden wir zusätzlich mit der Dunkelfeldforschung unter wissenschaftlicher Begleitung beginnen. Das Projekt läuft bundesweit und heißt SKID, was für Sicherheit und Kriminalität in Deutschland steht. Wir werden in diesem Rahmen ein Hamburger Sondermodul entwickeln, um die Situation hier in Hamburg noch konkreter aufzuhellen. Ziel ist, daraus Schlüsse für die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung zu ziehen.
Wird die Aufklärungsquote wieder unterdurchschnittlich sein?
Heise: Klar ist doch, wir tun alles für eine möglichst hohe Aufklärungsquote. Fachlich gesehen ist der Schlüssel für die Aufklärungsquote die Verteilung von schwer aufzuklärenden Taten wie Diebstahl gegenüber Kontrolldelikten wie Schwarzfahren oder Drogendelikten, die eine hohe Aufklärungsquote haben. In einem Stadtstaat wie Hamburg ist der Anteil der schwer aufzuklärenden Taten größer als in vielen anderen Teilen der Republik. Die Schlussfolgerung, allein aus der Aufklärungsquote auf die fachliche Qualität der kriminalpolizeilichen Arbeit zu schließen, wäre falsch.
Ein Problem ist der Betrug. Wie geht man damit um?
Heise: Betrug ist aktuell eines der dominierenden und herausfordernden Felder in der Kriminalität. Das wird unserer Einschätzung nach auch erst mal noch eine Weile so bleiben. Es ist übrigens ein sehr vielfältiges Deliktsfeld. Wir kennen 36 unterschiedliche Phänomene beim Betrug. Die zahlenmäßig großen Phänomene sind dabei Warenbetrug und Warenkreditbetrug. Dazu kommen viele weitere Erscheinungsformen. Wir arbeiten an dem Thema sehr intensiv, um uns neu aufzustellen. Wir werden auf diese Delikte mit einer deutlich veränderten Struktur und einem spürbar verstärkten Personalansatz als LKA reagieren. Zudem sind viele Arten von Betrug außerordentlich präventabel. Auch hier setzen wir an.
Die Zahl der Gewalttaten dürfte auch weiterhin hoch bleiben. Was tun Sie in dem Bereich?
Heise: Die Zahl der Raubdelikte als Teil der Gewaltkriminalität ist auf einem historischen Tiefstand. Dessen ungeachtet, beschäftigen wir uns gerade intensiv mit der Frage, ob ein Mensch, der bereits aufgefallen ist, wann und wem gegenüber gewalttätig wird. In Kooperation mit unseren Kriminalpsychologinnen bauen wir die Risikoeinschätzung aus. Auch dazu wurde die Zahl der Kriminalpsychologinnen bei uns von zwei auf vier Stellen verdoppelt. Uns geht es darum, möglichst viel Expertise zusammenzubringen, um Gewalttaten zu verhindern. Ziel ist es, alle, die dazu beitragen können, an einem Tisch zu versammeln. Dadurch soll die Entscheidungsbasis vergrößert werden, auch um gefahrenabwehrende Maßnahmen zu treffen.
Wie sieht es im Bereich Organisierte Kriminalität aus?
Heise: Die Bekämpfung von schwerer und organisierter Kriminalität ist neben der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, der Straftaten im Cyberraum und der Straftaten im sozialen Nahbereich ein klarer Schwerpunkt des LKA. Dabei spielt der organisierte Rauschgifthandel eine genauso große Rolle wie Finanzermittlungen. Die hierfür zuständige Dienststelle in der Abteilung OK hilft auch vielen anderen Dienststellen im LKA, da die Vermögensabschöpfung eine immer größere Rolle spielt.