Hamburg. Bei den Protesten nimmt der Einfluss von Extremisten immer mehr zu. Verfassungsschutz spricht von einem neuen Phänomen.
Der Hamburger Verfassungsschutz betrachtet die Zusammensetzung der Hamburger Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen mit wachsender Sorge. Das gilt auch für die Kundgebungen am vergangenen Wochenende, bei denen sich laut Polizei am Sonnabend zunächst 650 Menschen vor dem Haus der Gerichte am Berliner Tor/Lübeckertordamm getroffen hatten. Später zog ein Teil von ihnen weiter an die Wandsbeker Chaussee, wo laut Polizei schließlich rund 1000 Menschen ihren Protest gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern kundtaten.
Die zunächst angemeldete Großdemonstration mit 11.000 Teilnehmern in der City war wegen nicht ausreichender Hygienemaßnahmen gerichtlich untersagt worden. Versuche, in der Innenstadt gegen das Verbot zu verstoßen, waren von der Polizei unterbunden worden.
Corona Hamburg: Politiker als Verbrecher und Lügner bezeichnet
Zwar sei in der Vergangenheit der überwiegende Teil des Protestes „noch nicht extremistisch“ gewesen, sagte der Sprecher des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Marco Haase, dem Abendblatt. In letzter Zeit aber hätten sich „der Charakter und die Zusammensetzung bestimmter einzelner Versammlungen sukzessive geändert“, so Haase. „Das gilt zum Beispiel für die Versammlungen an der Mundsburg oder jetzt auf der Wandsbeker Chaussee. Hier registrieren wir Äußerungen, nicht selten verschwörungsideologisch unterlegt, die eindeutig dem extremistischen Delegitimierungsspektrum zuzuordnen sind.“
Der Verfassungsschutz bemerke „eine gestiegene Einflussnahme von Extremisten auf Organisation und Inhalte der Redebeiträge“. Diese werde der Verfassungsschutz „in seine Analyse und Bewertung des Protestgeschehens einbeziehen“. Zudem müssten sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Versammlungen fragen lassen, welche Wortbeiträge und Plakate sie duldeten.
Tatsächlich zeigen von den Teilnehmern selbst ins Netz gestellte Videos der Demonstration vom Sonnabend auch aggressive, wirre und von Verschwörungstheorien triefende Reden. „Seit zwei Jahren lügen Staat und Wirtschaft wie noch nie uns an“, sagte etwa ein Mann unter Applaus der Zuhörer. „Macht, die lügt, muss weg.“ Und: „Heute leben wir im Verbrechertum statt in einem Rechtsstaat. Die Machtwerkzeuge der Verbrecher werden bald unüberwindbar sein. Wir müssen unser Schicksal selber wenden.“ Microsoft-Gründer Bill Gates und seine angeblichen „Mordverschwörer“ bemühte der Mann ebenfalls. Sein Fazit: „Das Verbrechertum drängt uns zur Spritze wie das Vieh zum Beil. Gegen diese Verbrecher müssen wir aufstehen.“
Corona-Demos: Mögliche Radikalisierung bleibt im Fokus
Ein anderer Redner forderte die Menschen auf, ihre Botschaften auf Geldscheine zu schreiben, um sie zu verbreiten. Einer der Organisatoren sagte, man solle sich zum Rathaus bewegen, dort säßen „Verbrecher“. Ein Motto der Veranstaltung war mit Bezug auf den Hamburger Bürgermeister offenbar „Tschentscher, komm raus!“
Der Hamburger Verfassungsschutz beobachte hier den „neuen Phänomenbereich ,Demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates’“, sagte dessen Sprecher Marco Haase. „Bei extremistischen Delegitimierern gibt es Überschneidungen mit dem rechtsextremistischen Spektrum und auch mit der sehr heterogenen Reichsbürger-Szene“, so Haase. „Die Personen, die wir diesem neuen Phänomenbereich zurechnen, nutzen sehr häufig verschwörungsideologische und antisemitische Argumentationsmuster und sprechen unserer Demokratie und ihren Vertretern die Legitimation ab.“
Der Verfassungsschutz werde „die Entwicklung in Hamburg auch mit Blick auf eine mögliche Radikalisierung nach wie vor aufmerksam im Fokus behalten und die Botschaften, sei es verbal, im Internet oder auf Plakaten, genau registrieren“, so Haase.
Laut Polizei gab es am Sonnabend auch eine Gegendemonstration mit rund 100 Teilnehmern. Alle Demonstrationen seien friedlich verlaufen, so Polizeisprecher Holger Vehren.
Polizei Hamburg löst zwei Corona-Partys auf
Bereits in der Nacht zum Sonnabend hat die Polizei nach eigenen Angaben zwei Partys aufgelöst, bei denen gegen die Corona-Auflagen verstoßen worden sei. Zunächst bekamen die Beamten laut Polizeisprecher Vehren Hinweise auf ein Treffen von 100 bis 200 jungen Leuten mit lauter Musik an der Großen Elbstraße. Dort sei gegen die Abstandsregeln verstoßen worden.
Gegen 28 Personen habe die Polizei Platzverweise erteilt, in 21 Fällen wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Offenbar zogen einige der jungen Leute darauf in die HafenCity um. Dort löste die Polizei in derselben Nacht eine Party mit 50 bis 60 Menschen auf und leitete weitere zwölf Ordnungswidrigkeitsverfahren ein.
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Die Corona-Zahlen haben derweil in Hamburg am Sonnabend mit einer Inzidenz von 2197 einen neuen Höchststand erreicht. Am Sonntag sank die Inzidenz leicht auf 2186,5. Am Sonnabend meldete die Sozialbehörde 6207 Neuinfektionen, am Sonntag 2321. Weitere 27 Corona-Tote wurden am Wochenende registriert. In Hamburger Kliniken werden derzeit 533 Corona-Patienten behandelt, 75 davon auf Intensivstationen.