Bergedorf. Gesangsvereine im Landgebiet haben große Nachwuchssorgen. Zwei Chöre haben sich während der Pandemie aufgelöst.

Die Chöre im Landgebiet haben massive Probleme: Sie leiden an Überalterung, finden kaum Nachwuchssänger. Hinzu kommt die Pandemie, die das Wirken der Gesangsvereine seit zwei Jahren extrem einschränkt und belastet. Von den 16 Chören, die es bis vor zwei Jahren noch im Kreis Vier- und Marschlande des Hamburger Chorverbandes gab, haben sich zwei aufgelöst, berichtet die Kreisvorsitzende Marita Sannmann. Sie rät den 14 noch existierenden Chören dringend, offen für Neuerungen zu sein, um zu überleben.

Die meisten Chöre im Landgebiet gelten unter jungen Menschen als altbacken und verstaubt. Sie singen Lieder, die junge Sänger nicht reizen, tragen einheitliche, altmodische Kleidung. Sänger unter 40 Jahren sind nur selten anzutreffen. Denn der Nachwuchs fühlt sich in einem Kneipen-Chor oder bei Internet-Events wie „Der Norden singt“ besser aufgehoben.

Auch Stimmbildung und die Vorbereitung auf Auftritte spielt eine große Rolle

Zumal dort keine Verbindlichkeit herrscht: „Dort geht man nur hin, wenn man Lust hat, muss man kein Mitglied sein“, sagt Marita Sannmann. Bei den Chören im Landgebiet werde – wenn es die Pandemie erlaubt – hingegen wöchentlich geprobt, spiele auch Stimmbildung und die Vorbereitung auf Auftritte eine große Rolle.

Der Damenchor Teutonia aus Kirchwerder und die Liedertafel Edelweiß Howe sind aufgrund ihrer massiven Nachwuchsprobleme Geschichte. „Die anderen Chöre sind relativ stabil aufgestellt und zumindest nicht kurzfristig von Auflösung bedroht“, sagt Marita Sannmann. Doch es käme nun darauf an, mittel- und langfristig zu denken: „Es nützt ja nichts, erst zu planen, wenn bereits alles verbrannt ist“, sagt die 66-Jährige und fügt hinzu: „Die Sänger werden ja nicht jünger.“

Chöre sollten auch für Rock- und Popmusik offen sein

Deutsche Volkslieder und klassische Werke seien „schön“, betont die Kreisvorsitzende, damit seien junge Sänger aber kaum zu einem Chor-Beitritt zu motivieren. „Die Chöre sollten deshalb auch Rock- und Popmusik gegenüber offen sein. Sie sollten auch zeitgenössische Musik akzeptieren und über den Tellerrand schauen, die Tradition aufpeppen.“ Die sei für die Senioren unter den Sängern allerdings oft schwierig, allein schon wegen der englischen Sprache in vielen Popsongs, die sie nur schwer oder gar nicht verstehen.

Für eine Neuausrichtung der Chöre seien auch Fusionen unumgänglich, meint Marita Sannmann: „Ein kleiner Chor sollte mit einem anderen kleinen Chor zumindest proben.“ Ansonsten könnten die bisherigen Strukturen der Chöre ja bestehen bleiben, also etwa Vorstand und Kasse der Vereine weiterhin separat existieren. „Es ist doch für die Chöre auch schöner, mit sieben Sängern in einer Stimmlage zu singen als bloß mit zwei Sängern.“

Die Räume der Chöre sind oft zu klein, um Abstand halten zu können

Nun, im dritten Jahr der Pandemie, würden die meisten Chöre abwarten, wie sich die Lage entwickelt und vorerst freiwillig auf Proben verzichten. Denn: Gemeinsames Üben in Präsenz ist unter der 2G-plus-Regel erlaubt, zumal die meisten Sänger geboostert seien, betont die Kreisvorsitzende. Doch nur zwei Chöre würden in Präsenz proben, in einer Schulaula und in einem Gasthofsaal. „Geeignete Probenräume sind spärlich gesät“, sagt Marita Sannmann. „Die Räume der Chöre sind oft zu klein, um Abstand halten zu können. Dort stehen die Sänger sonst Schulter an Schulter.“ Zwar erlaube der Gesetzgeber dies bei 2G-plus, aber der Chorverband empfiehlt Abstand. Wie im Restaurant, werde ein Mund-Nasen-Schutz getragen, bis man am Platz sei. „Denn mit Maske singen geht gar nicht.“

Zwei weitere Chöre üben zusammen wöchentlich per Zoom im Internet – die Liedertafel Harmonia (Ochsenwerder), in der auch Marita Sannmann singt, und Flora Klassik (Kirchwerder), beides gemischte Chöre. „An den Zoom-Meetings beteiligt sich allerdings nur jeweils höchstens die Hälfte der Chorsänger.“ Viele ältere Mitglieder seien nie online, „bei anderen wird die benötigte Technik vom Enkelkind eingestellt“.

An Zoom-Meetings beteiligt sich nur die Hälfte der Chormitglieder

Das gemeinsame Singen am Bildschirm sei aber auch eine Herausforderung, weil es zu Zeitverzögerungen und Verzerrungen der Stimmen käme: „Die Chorleiter können nur schwer beurteilen, ob die Töne richtig getroffen werden.“ Es gehe dabei auch darum, die Gemeinschaft zu stärken. Deshalb würden einige Chorvorsitzende monatliche Treffen anbieten, bei denen nicht gesungen, aber zumindest geklönt werde. „Dadurch können die Kontakte gehalten werden.“

Es habe auch coronabedingte Austritte aus den Chören gegeben: „Ältere Sänger, die sonst vermutlich in zwei, drei Jahren aufgehört hätten, haben sich aufgrund der Pandemie vorzeitig zurückgezogen.“ Die Motivation schwinde: In der Advents- und Weihnachtszeit, eigentlich die Zeit der Konzerte, habe es nur wenige Chor-Auftritte gegeben.

Sänger freuen sich auf das Chorfest in Leipzig im Mai

Die Sänger würden auf ein baldiges Wiedersehen im Frühling hoffen. Dann könne endlich wieder draußen geprobt werden. 2021 hätten viele Chöre improvisiert und im Herbst in Werkhallen und Treibhäusern gesungen, weiß Marita Sannmann. „Im Frühling wird es hoffentlich auch wieder Grillabende und Reisen geben.“ So würden viele Sänger sich auf das Chorfest in Leipzig im Mai freuen.

Marita Sannmann singt seit 47 Jahren in der Liedertafel Harmonia. „In diesem Zeitraum haben sich acht Landgebiets-Chöre aufgelöst.“