Hamburg. Sebastian Junge ist zum dritten Mal der grüne Michelin-Stern verliehen worden. In seinem Restaurant Wolfs Junge macht er einiges anders.

„Essen ist politisch“ steht auf dem schwarzen T-Shirt von Bio-Sternekoch Sebastian Junge. Gerade ist ihm zum dritten Mal der grüne Michelin-Stern verliehen worden, und sein Restaurant Wolfs Junge auf der Uhlenhorst ist mehrfach bio-zertifiziert. In ihm zelebriert der Spitzenkoch eine, wie er sagt, „gute Esskultur“. Und verfolgt dazu ein Konzept, für das Junge schon viel Zeit investiert hat, bevor ein Lebensmittel überhaupt in seiner Küche landet.

„Wir ordnen nicht alles dem Genuss oder der Anspruchshaltung unserer Gäste unter, sondern gucken in erster Linie danach, wer in unserem Umfeld verantwortungsbewusst handelt, mit Böden und Tieren ordentlich umgeht. Wir schauen, wo es moralisch-ethisch vertretbar ist, Fleisch und Fisch anzubieten, haben aber auch ein vegetarisches Angebot. Das wird zu unserer großen Freude sehr gut angenommen“, sagt der Restaurantchef.

Restaurant Wolfs Junge in Hamburg: Bio aus Leidenschaft

Mehrmals im Jahr besucht er die Höfe im Hamburger Umland, von denen er Lebensmittel bezieht: „Ich kenne die Landwirte und weiß, wie sie arbeiten. Die Menschen machen den Bio-Anbau mit Leidenschaft.“ Junge verarbeitet nur halbe oder ganze Tiere. Schwein, Wildschwein und Hirsch werden im Ganzen verwertet. „Ein Auerochse kommt aus dem Crowd Butching-Konzept und wird auf der Weide geschossen. Den verarbeiten wir als Viertel oder halbes Rind“, sagt er.

Beim Crowd Butching wird ein Tier erst dann geschlachtet, wenn es komplett vermarktet ist. „Wir leisten Aufklärungsarbeit, wenn wir den Gästen sagen: Wir wissen, dass Ihr gern Rückensteak esst, aber probiert doch mal die Zunge vom Rind. Wir räuchern die Schinken selbst, machen Blutwurst und Bratwürste. Das ist mit sehr viel Personal verbunden. Aber diese tollen Produkte gibt es nur bei uns.“

Restaurant Wolfs Junge: Regional, aber auch exotisch

Beim Fisch setzt Junge auf die Expertise von Sebastian Baier von Fischfeinkost Baier aus Börnsen. „Wir beziehen von ihm Forellen aus der Lüneburger Heide, vom Forellenhof Benecke. Und Fänge von kleinen Fischereien in der Elbe, etwa Zander aus der Region Boizenburg. Das sind Miniaturbetriebe, die wir über Sebastian Baier unterstützen.“ Bei den Meeresfrüchten helfe der Genuss von Wildaustern dem holländischen oder norddeutschen Wattenmeer. Eingeschleppt aus dem Pazifik sind sie dort eine invasive Art, die andere Arten verdrängen. Ab und zu dürfen auch mal Jakobsmuscheln oder ein wilder Hummer von Helgoland oder aus dem Limfjord auf die Teller kommen.

Auch wenn Junge Wert auf regionalen Einkauf legt, kann und will er nicht komplett auf exotische Produkte verzichten. „Wir haben besondere Handelspartner für Gewürze, Kaffee, Wein. Das sind engagierte Leute, die Kooperativen unterstützen, die soziale Arbeit vor Ort leisten. Unsere Kuvertüren beziehen wir von Partnern, die sich um die Sortenviefalt von Kakaopflanzen kümmern.“

Für Bio-Koch steht soziales Handeln im Fokus

Soziales Handeln stehe im Zentrum des Bio-Restaurants. So haben die Mitarbeiter eine Vier-Tage-Woche und werden möglichst von Überstunden verschont – anders, als sonst üblich in der Branche. „Wir bieten inklusive Arbeitsplätze, haben eine Kooperation mit einem Kinderhospiz, bei dem wir regelmäßig Eltern zu uns einladen. Wir engagieren uns in der Flüchtlingshilfe.“ Kein Wunder also, dass der Guide Michelin Sebastian Junge mit dem grünen Stern auszeichnet. Er ist einer von deutschlandweit 52 Restaurants/Küchenchefs, die ihn tragen.

„Der Guide Michelin hat als traditioneller Gourmet-Führer die Zeichen der Zeit erkannt. Bei ihm kommt es darauf an, regional und nachhaltig zu arbeiten, keine Produkte aus industrieller Massentierhaltung einzusetzen. Das ist aber nicht mit einer Zertifizierung zu verwechseln. Es gibt berechtigte Kritik, dass man den grünen Stern auch mit einer guten Marketing-Strategie bekommen kann und nicht unbedingt für eine umweltgerechte und nachhaltige Genusskultur.“

Die staatliche Bio-Zertifizierung sei anspruchsvoller: „Wir müssen vorlegen, mit welchem Bio-Anteil wir arbeiten (von Anfang an mit 100 Prozent). Geprüft wird das in der Buchhaltung und durch regelmäßige Betriebsbegehungen. Die Zertifizierung macht das Konzept transparent für alle Besucher.“

Restaurants: Inflation erschwere den Wandel

Auf der Speisekarte dürfen Bio-Produkte nur ausgelobt werden, wenn das Restaurant zertifiziert ist. Das schütze die Endverbraucher, so Junge. „Nicht jeder Gastwirt, der sagt, dass er Bio-Lebensmittel verwendet, tut dies konsequent.“ Aber auch Bio sei nicht der heilige Gral: „Wenn ich mir im Dezember die Bio-Paprika aus Almeria herfahren lassen, dann haben sie weder einen guten ökologischen Fußabdruck, noch einen guten Geschmack.“

Natürlich sei mit seinem Konzept viel Aufklärungsarbeit verbunden, sagt der Bio-Koch. Abends bietet er zwei Fünf-Gänge-Menüs. Der Menüpreis von 99 Euro pro Person liege in einer preislichen Kategorie, die auch handwerklich arbeitende konventionelle Betriebe aufrufen. Trotz höherer Einstandskosten. Konzepte wie seines haben es aktuell etwas schwerer, ihr Publikum zu bekommen, bedauert Junge. Bei Inflation und steigenden Energiepreisen überlegten sich die Menschen zweimal, wo sie ihr Geld ausgeben.

Sebastian Junge: Bio-Koch und Familienvater

Er wolle weiterhin eine Lanze für gutes Essen brechen. Und unter keinen Umständen anders kochen. Wer mit so viel Engagement kocht, hat lange Arbeitstage. Inzwischen gibt es drei „Schließtage“, weil er als junger Familienvater auch die Verantwortung habe, ein bisschen zu Hause zu sein. Schließtage, keine Ruhetage. „Natürlich nehme ich da auch Termine wahr und lege sie in Zeiten, in denen die Kinder in der Betreuung sind. Noch immer reden wir über Wochenarbeitszeiten von 70 bis 90 Stunden, die bewerkstelligt werden müssen.

Das ist eine Art von Belastung, für die ich Abhilfe schaffen möchte.“ Denn nachhaltig ist das nicht. So kam der zweite Corona-Lockdown dem Familienmensch sogar etwas gelegen: „In der Zeit wurde mein Sohn geboren, und ich hatte zu Hause sechs Monate Zeit. Ich bin dankbar dafür, was staatlicherseits den Unternehmen geboten wurde.“

Ernährungswende braucht bessere Politik

Etwas allein gelassen fühlt er sich allerdings seit November 2021. Die Inzidenzen schossen in die Höhe, Feiern wurden abgesagt, und im Januar/Februar blieben die Gäste aus. „Einige Mitarbeiter habe ich in Kurzarbeit geschickt, und jede Woche kam ein neuer Mitarbeiter in Quarantäne.“

Essen ist politisch, dennoch sei die Aussage, der Konsument habe die Ernährungswende in der Hand, zu kurz gegriffen: „Für viele Menschen ist bio eine Preisfrage. Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen jeder und jede sich nachhaltige Alternativen leisten kann.“ Generell müssten die Verbraucher besser informiert werden, betont der Bio-Spitzenkoch. Er plädiert für Aufklärungs- und Bildungsarbeit, die bereits in den Schulen ansetzt.

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„Jeder, der versteht, dass Lebensmittel nicht vom Himmel fallen, sondern dass es Lieferketten, Menschen, Böden, Ressourcen braucht, ist für einen kritischen Diskurs offen. Mir sträuben sich die Haare, wenn im März auf dem Spielplatz Erdbeeren verteilt werden und ich meiner Tochter erklären muss, warum die blassen Beerchen säuerlich sind und gar nicht schmecken. Erdbeeren müssen ein Highlight sein, auf das wir hin fiebern. Wie beim Spargel.“