Hamburg. Sollen Kinder gegen Corona geimpft werden? Ärztekammerpräsident Dr. Pedram Emami über vorschnelle Politiker und Querdenker.

Um Kinder gegen das Coronavirus zu impfen, sind zuvor eigene Studien erforderlich. Dennoch sollen in einigen Bundesländern Schüler geimpft werden. Das Abendblatt sprach mit dem Präsidenten der Hamburger Ärztekammer, Dr. Pedram Emami.

Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Emami, Hamburg ist auf dem Weg, in den Sommerferien Schulkinder gegen das Coronavirus zu impfen. Was halten Sie von der Idee?

Dr. Pedram Emami: Ich bin kein Pädiater und kein Infektiologe – aber man muss doch erst hören, was diese Fachkollegen sagen, was die Zulassungs­behörden sagen, was die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt.

Die Wissenschaft überlegt, die Politik handelt.

Emami: Das ist eine medizinische, keine politische Entscheidung. Der Impfstoff ist ja schon für alle ab 16 Jahren zugelassen. Für die 12- bis 15-Jährigen gibt es in den USA und Kanada eine Notfallzulassung. Sie beruht darauf, dass die Nebenwirkungen sich nicht wesentlich unterscheiden von anderen Altersgruppen. Wenn ich es richtig weiß, liegen der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie die entscheidenden Daten noch gar nicht vor.

"Das Impfen ist eine sehr gute Sache." Aber ...

Aber in den Sommerferien wird geimpft …

Emami: Grundsätzlich ist das Impfen eine sehr gute Sache. In diesem speziellen Fall müssen wir uns fragen: Inwieweit müssen wir impfen, um die Kinder zu schützen? Und welche Rolle spielt die Impfung der Kinder für die Ausbreitung der Pandemie insgesamt? Das sollten die Experten klären, bevor Politiker entscheiden, wer in welcher Reihenfolge geimpft werden soll.

Es gibt bereits Stimmen, Schulkinder priorisiert zu impfen.

Emami: Das muss man doch von den Daten abhängig machen, die dazu vorliegen. Die politische Forderung einer Schulöffnung ist doch keine Indikation zum Impfen! Dass wir die Schulen offenhalten wollen, da sind wir uns alle einig. Dass wir die Kinder schützen wollen, darüber gibt es auch keine zwei Meinungen. Bei der Umsetzung sollte die Politik den Empfehlungen der Stiko folgen.

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Jens Spahn fordert Impfungen in den Sommerferien

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in Hamburg verkündet, man könne Impfzentren oder Schulen nutzen, um Kinder gegen Corona zu immunisieren.

Emami: Um es klar zu sagen: Urlaubswünsche der Eltern und Vorstellungen von Fußballvereinen sind keine Impfindikationen – sondern die pandemische Situation und der individuelle Gesundheitszustand der Kinder.

Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD)  besuchte gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Hamburger Impfzentrum.
Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) besuchte gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Hamburger Impfzentrum. © picture alliance/dpa/dpa Pool/Daniel Reinhardt | Unbekannt

Was weiß man über das Infektionsgeschehen an Schulen und Kitas?

Emami: Es wäre absurd, wenn man sagte: Nein, da breitet sich Corona nicht aus. Natürlich tut es das. Trotz der hohen Infektionszahlen in der Altersgruppe der unter 18-Jährigen sind intensivpflichtige Verläufe Gott sei Dank extrem selten und die Sterblichkeit noch seltener. Und das obwohl wir vermuten, dass es im pädiatrischen Kollektiv sehr viele Infektionen gibt, die still verlaufen und nicht erfasst werden. Das Risiko von Langzeitfolgen wird unterschiedlich bewertet. Ich bin mir sicher, die Stiko wird sich gebührend mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen und auf dieser Grundlage eine sinnvolle Empfehlung formulieren.

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Kinder könnten ihre Eltern oder die Oma anstecken …

Emami: Ja, wir reden von einer Altersgruppe mit einem Bevölkerungsanteil von zehn bis 15 Prozent, und das kann auf das Pandemiegeschehen insgesamt eine Auswirkung haben. Wenn die Stiko zu der Überzeugung gelangt, dass wir der Pandemie nicht anders Herr werden, als auch einen Teil der Kinder zu impfen, und es dann auch noch einen Impfstoff gibt, der für sie geeignet ist – wunderbar, dann machen wir das. Fehlende Impfbereitschaft bei Erwachsenen wäre keine zulässige Begründung für eine flächendeckende Impfung bei Kindern und Jugendlichen. Im Übrigen bin auch ich geimpft: Ich habe das sehr gut vertragen, und ich habe kein Verständnis für fehlende Impfbereitschaft in Teilen der Bevölkerung.

Schwangere gegen Corona impfen?

Wer sollte die Kinder impfen?

Emami: Die niedergelassenen Ärzte haben das mit der Unterstützung des Impfzen­trums gut hingekriegt bei den Erwachsenen. Ich bin mir sicher, dass die Kinderärzte das auch für die entsprechende Altersgruppe effektiv und praxisnah können.

Sollte man Schwangere impfen, wie es führende Gynäkologen in Hamburg wie Prof. Ragosch vorgeschlagen haben? Die Stiko hat das zuletzt schwammig formuliert. Das schafft Unsicherheit.

Emami: Aus Hamburg kann ich berichten, dass wir zwischen zehn und 20 werdende Mütter hatten, die aufgrund einer Covid-19-Infektion intensivmedizinisch betreut werden mussten. Etwa die Hälfte musste beatmet werden. Nach meinem Wissen gibt es sogar einen Sterbefall einer werdenden Mutter aus Hamburg.

Was bedeutet das?

Emami: Die Stiko hat nicht die Schlussfolgerung gezogen: Schwangere müssen alle geimpft werden, sondern daraus eine individuelle Impfempfehlung gemacht. Schwangere sollten sich von ihren Ärztinnen und Ärzten beraten lassen. Damit haben die Kollegen Erfahrungen: Vorteile, Nachteile und Risiken abzuwägen und dann zu einer Empfehlung zu kommen – das machen wir Ärzte jeden Tag.

Im Video: Die Stiko und die Impf-Empfehlungen

Was ist mit der Haftung, wenn etwas schiefgeht?

Emami: Soweit wir es aus den USA wissen, ist nichts schiefgegangen. Die Ärztinnen und Ärzte müssen keine Bedenken haben, wenn eine gute Beratung dahintersteht, deckt sich das mit den Empfehlungen der Stiko.

Corona-Pandemie: Im Wahljahr wollen sich Politiker profilieren

Warum sind die Politiker mit ihren Forderungen und Impfplänen längst weiter als die Ärzte?

Emami: Wir haben ein Wahljahr, jeder will sich profilieren.

Gilt das auch für die Hamburger Politik?

Emami: Bund und Länder haben sich nicht selten anders entschieden, als einige Fachexperten geraten haben. Leider fehlt es oft an Transparenz, wie und warum die Politiker zu ihren Entscheidungen kommen. Das aber wäre ein wichtiges Element für die Akzeptanz. In Hamburg wurden glücklicherweise relativ früh unsere Appelle aufgegriffen, sich mit einem Wissenschaftlerkreis auseinanderzusetzen. Ich kann verstehen, wenn dabei nicht alles eins zu eins umzusetzen ist. Auch unter uns Ärzten gibt es ja unterschiedliche Meinungen in Detailfragen.

Die Lernkurve der Ärzte im Verlauf der Pandemie war mit Irrwegen und Fehlprognosen auch erstaunlich – bis hin zur Frage, ob es nun eine vierte Welle gibt.

Emami: Das gehört nun mal zur Wissenschaft dazu. Dennoch ist Selbstkritik auch für manche Ärzte und Wissenschaftler schwierig. Es wäre gut, zu gegebener Zeit und ohne ,blaming und shaming‘ die Pandemiebewältigung zu bewerten. Denn die Evolution schläft ja nicht. Es werden andere Krankheiten, andere Pandemien kommen – schon durch die Globalisierung und die Mobilität. Dafür müssen wir gerüstet sein. Sie sind auch angegangen worden.

"Wir können nicht Gedanken in die Köpfe der Leute einimpfen, selbst wenn es richtige sind"

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher und Beraterin und Berater: Stefan Kluge (l-r), Leiter Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Martin Scherer, Leiter Allgemeinmedizin UKE, Marylyn Addo, Leiterin Infektiologie UKE, Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister in Hamburg, Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter Arbovirologie am Bernhard-Nocht-Institut (BNI), und Pedram Emami, Präsident Ärztekammer Hamburg
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher und Beraterin und Berater: Stefan Kluge (l-r), Leiter Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Martin Scherer, Leiter Allgemeinmedizin UKE, Marylyn Addo, Leiterin Infektiologie UKE, Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister in Hamburg, Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter Arbovirologie am Bernhard-Nocht-Institut (BNI), und Pedram Emami, Präsident Ärztekammer Hamburg © dpa | Christian Charisius

Wie haben Sie das als Arzt und als Mensch verarbeitet?

Emami: Das ging bis zur Bedrohung. Die Hemmschwelle, Vergleiche mit dem Dritten Reich zu ziehen, ist offenbar gefallen: Ich bin beispielsweise direkt als Dr. Mengele beschimpft worden. Bemerkenswert ist, dass der aggressive Umgang unabhängig von der grundsätzlichen Haltung zur Pandemie war, das ließ sich nicht in politisch rechts oder links einteilen.

Sind das nur sogenannte Querdenker?

Emami: Mehrheitlich ja, aber mittlerweile nicht mehr nur. Aber das sollte die Mitte der Gesellschaft nicht daran hindern, einen zivilisierten Diskurs zu führen. Wir dürfen nicht zulassen, dass extreme Ränder sich unserer Sprache bemächtigen. Diese Auseinandersetzungen reichen bis in die Praxis, ins Krankenhaus und in das Arzt-Patienten-Gespräch.

Wie reagieren Sie darauf?

Emami: Für Sorgen und Ängste ist das ärztliche Gespräch da. Die Ärzteschaft musste lernen, welche Rolle die Kommunikation spielt. Ärzte früherer Generationen konnten sagen: Wir sagen, was zu machen ist, und die Patienten haben das zu tun. Das war ein paternalistisches Weltbild, wenn Sie so wollen. Das ist Gott sei Dank nicht mehr so. Wenn die Patienten heute trotz aller unserer medizinischen Argumente sich anders entscheiden, dann ist das so. Das müssen wir auch in einer liberalen Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad akzeptieren. Wir können nicht Gedanken in die Köpfe der Leute einimpfen, selbst wenn es richtige Gedanken sind. Und das sollten wir auch nicht.