Hamburg. Architekt Volkwin Marg protestierte dagegen und brach sogar Verträge. Wie er das Projekt “HafenCity“ im Geheimen plante.
Mit Superlativen sollte man vorsichtig sein – sie wirken schnell übertrieben und gestelzt. Aber hier scheint der Superlativ angebracht: Der Architekt Volkwin Marg hat das Antlitz der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten wohl stärker geprägt als jeder andere Architekt – er baute mit seinem Partner Meinhard von Gerkan das größte Architekturbüro der Republik auf, bereicherte mit seinen Bauten viele Stadtteile, schuf den Museumshafen Övelgönne und gilt als architektonische Vater der HafenCity.
Am kommenden Freitag wird der Träger der Bürgermeister-Stolten-Medaille 85 Jahre alt. Im Podcast „Was wird aus Hamburg“ blickt er auf sechs Jahrzehnte Stadtentwicklung zurück.
Stadtentwicklung: Marg erschüttert über Pläne in Hamburg
1965 gründete er mit Meinhard von Gerkan das Büro gmp – doch klein haben die beiden nie angefangen. Das Hamburger Start-up gewann gleich den großen Wettbewerb für den Bau des Flughafens in Berlin-Tegel. Damit begann eine Erfolgsgeschichte, die das Büro inzwischen auf allen Kontinenten fortgeschrieben hat – mit Bauten wie dem Nationalmuseum in Peking, den Stadien in Kapstadt, Brasilia und Kiew, dem Berliner Hauptbahnhof oder der Nationalversammlung in Hanoi.
Marg aber lebte stets den Satz von Gorch Fock „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen“. Schon als junger Architekt fremdelte er mit den Ideen, die damals in Hamburg en vogue waren. „Wir waren als Studenten alle auf bedingungslosen Fortschritt dressiert“, sagt er. Fortschritt, das waren Autos, große Straßen, die nach Funktionen getrennte Stadt. „Es war ein Schock, in Hamburg zu erleben, was dem alles zum Opfer fallen sollte!“ Marg erzählt von Plänen, die Moorweide für die Einfahrt eines Alstertunnels zu zerstören.
„Totaler Kahlschlag an allen Ecken und Enden.“
Über den Stephansplatz und die Esplanade sollte eine Hochbrücke zu einer dritten Lombardsbrücke führen. „Man muss sich das einmal vorstellen: „Die Dammtorstraße, der Gänsemarkt, Hohe Bleichen sollten für eine Stadtautobahn abgeräumt werden.“ Der Herrengraben sollte zugeschüttet und am Baumwall anstelle von Gruner und Jahr eine große Spirale für einen dritten Elbtunnel entstehen.
„Totaler Kahlschlag an allen Ecken und Enden.“ Die Gefahr dieser Pläne weckte Widerstand in der Stadt, aber auch bei Marg. „Ich komme ja aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus“, erzählt der Sohn des Pfarrers der Danziger Marienkirche. „Ich bin dort mitten in der Altstadt am Hafen aufgewachsen, das hat mein Bewusstsein für geschichtliche Identität geprägt.“
Damalige Stadtplanung plötzlich kritisiert
Da traf es sich, dass zur selben Zeit auch in der SPD Zweifel an der autogerechten Stadt wuchsen. Marg wurde mit einem städtebaulichen Gutachten beauftragt. Titel: ‚Bauen am Wasser‘. Sie analysierten den Bestand, entwickelten Handlungsmöglichkeiten und machten Vorschläge. „Daraus wurde eine Kritik der damaligen Stadtplanung. Wir haben einen Überschuss an Ideen zu produzieren, um die politische Fantasie für eine Wende zu beflügeln. Entscheider benutzen nicht nur den Verstand, sondern auch ihr Gefühl. Wenn die sich aber nichts vorstellen können, sind sie hilflos.“
Schnell wurden die Pläne der Straßenplaner obsolet. „Deren ursprüngliche Pläne wurden ad absurdum geführt.“ Weder der Goldbekkanal noch der Isebekkanal verschwanden unter Beton. Zugleich gelang es, entlang der Gewässer gewachsene Stadtstrukturen aufzuwerten. „Die ehemaligen Kanäle und Fleete wurden zum Rückgrat für eine neue Stadtstruktur entlang von Grünzügen“.
Viel ehrenamtliches Engagement in Hamburg
Ein weiteres Wasser-Werk des gebürtigen Königsbergers ist in Övelgönne zu bestaunen: Der Museumshafen. „Man braucht für einen Verein nur sieben Leute – so ist der Museumshafen entstanden, der erste seiner Art in Deutschland. Für die Elbtunnelbaustelle war anstelle des Strandes ein Hafenbecken entstanden, wurde aber dann für Sportsegler nicht zugelassen. Aus Protest sammelten wir mit Freunden schwere Berufsfahrzeuge, alte Frachtewer, Fischkutter, Dampfschiffe, Barkassen, was immer wir fanden und belegten den neuen Hafen.“
Volkwin Marg bewundert den Bürgersinn in der Stadt, weil es so viel ehrenamtliches Engagement gibt, Enthusiasten, die die Schiffe reparieren, pflegen, ständig in Betrieb halten. „Die Stadt könnte das niemals leisten – so ist es auch bei der Stiftung Hamburg Maritim und der ‚Cap San Diego‘.“ Dieses Engagement müsse man auch beim zukünftigen Hafenmuseum und der ‚Peking‘ einbeziehen.
Marg kämpft um Denkmale der Hafengeschichte
Die Idee von Övelgönne veränderte die Stadt. Dem Museumshafen half, dass damals übersehene maritime Erbe neu zu erkennen. „Heute stehen überall Kräne als liebenswertes urbanes Nippes zur Erinnerung an die Hafengeschichte.“ Marg kämpft um diese Denkmale: „Das bewahrt die Gesellschaft vor kollektivem Alzheimer.“
Es ist kein Zufall, dass gerade das Alte nun auch der neuen HafenCity Charme verleiht. Marg erkannte früh die Notwendigkeit städtebaulicher Korrekturen in der Hafenplanung. Bereits in den 80er Jahren bekam er Aufträge von Strom- und Hafenbau für Gestaltungsgutachten. Die Wirtschaftsbehörde plante damals, den Sandtor- und Grasbrookhafen zuzuschütten, die HHLA wollte sogar die Fleete der Speicherstadt für eine bessere Lastwagenanfahrt beseitigen. „Ich habe in mehreren Gutachten dagegen gekämpft“, erinnert sich Marg.
Marg wandte sich an die HHLA
Als die bereits angefangene Zuschüttung des Sandtorhafens dennoch fortgesetzt werden sollte, beging er sogar Vertragsbruch – und wandte sich verbotenerweise an die HHLA: Dort geriet er an Peter Dietrich, neu im Vorstand der HHLA. Marg brachte sein Lamento vor: „Eigentum verpflichtet! Was hier passiert ist ein Skandal, ist ein Angriff auf Hamburgs Identität.“ Und Dietrich akzeptierte diese Wutrede: „Das ist auch ein Frevel. Das werde ich verhindern.“
Der HHLA-Chef wollte nicht nur die alte Speicherstadt retten, sondern auch einen modernen Containerhafen in Altenwerder ermöglichen. So baldowerte man ein Gegengeschäft aus, nach dem Motto: Der Hafen gibt, der Hafen nimmt, im Tausch der Flächen nördlich der Elbe sollte das Containerterminal Altenwerder am tiefen Fahrwasser des Köhlbrand entstehen. Das konnte man nur im Geheimen vorbereiten: Um Parteienstreit und Spekulationen zu verhindern, erwarb HHLA-Chef Peter Dietrich mit seiner (Tarn-)Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (GHS) die Mehrheit an den Firmen im ehemaligen Freihafen.
Geheime Pläne für die Hafenumgebung
„Damals sind zwei mutige Hanseaten mit Zivilcourage, - der HHLA-Boss Peter Dietrich und Bürgermeister Henning Voscherau, - ein bewundernswürdiges persönliches Risiko eingegangen“, lobt Marg. „Sie haben die historische Chance der deutschen Einheit gesehen und für Hamburgs Zukunft ihre berufliche und politische Existenz aufs Spiel gesetzt.“
Ähnlich klandestin verlief der Gutachtenauftrag für ein städtebauliches Konzept. Weder der Oberbaudirektor noch der Senat wurden zu diesem Zeitpunkt eingeweiht. Die Auftragsvergabe für die Studie über die städtebauliche Entwicklung des Hafenrandes erfolgte streng vertraulich, alle Absprachen nur mündlich: „Sie kennen mich nicht. Kein Fax, kein Telefon, kein Programm, keine Unterlagen. Sie wissen hier bestens Bescheid. In drei Monaten haben wir von Ihnen hier eine komplette städtebauliche Planung von Kehrwieder bis zu den Elbbrücken.“
Marg machte Pläne mit Studenten
Aber wie sollte man eine solche Planung geheim halten? Im Hamburger Büro war das Marg zu riskant. Da fiel ihm seine Lehrtätigkeit als Professor für Stadtbereichsplanung an der RWTH Aachen ein: „Ich hatte mit meinen Studenten viele Entwürfe in diesem Bereich gemacht. Ich tarnte das Gutachten als akademisches Drittmittel-Projekt. Kein Mensch glaubt, dass das, was Assistenten und Studenten fernab an einem Lehrstuhl träumen, irgendetwas mit der Hamburger Wirklichkeit zu tun hat.“
Sogar ein Arbeitsmodell hatte er mit den Studenten gebaut – aber weil das schon wie ein fertiger Bebauungsplan und zu provokant wirkte, sollte er stattdessen nur eine Federzeichnung abliefern – „Ideenskizze mit Baukörpersymbolen“ musste er darunter schreiben. Marg nicht ohne Stolz: „Das ist das überzeugendste politische Dokument für die HafenCity geworden.“
Das Projekt HafenCity ist geglückt
Am 7. Mai 1997 präsentierte Bürgermeister Voscherau die Idee der staunenden Öffentlichkeit beim Überseetag im Großen Festsaal des Rathauses. Drei Jahrzehnte später wird die am Reißbrett ersonnene Stadt ein lebendiger Teil Hamburgs – die Speicherstadt ist Weltkulturerbe und die Elbphilharmonie hat als architektonisches Ausrufezeichen Hamburg auf die Weltkarte gezaubert.
Marg sieht sein Baby, die HafenCity, positiv: „Das ist wie bei einem geglückten Kind“ sagt er. „Es ist gut veranlagt, begabt und robust, verträgt also auch ein paar Kinderkrankheiten, Schrammen und Beulen.“ Die HafenCity sei gut und schnell gediehen. „Sie bietet genau die Nutzungsvielfalt, die ich wollte. Am Anfang waren es noch zu wenig Wohnungen; durch wirtschaftlichen Druck entstanden zu viele Büros.“ Die Elbphilharmonie, die nicht Teil seines ursprünglichen Plans war, bezeichnet er als „Kulturkathedrale“, die ein Paukenschlag geworden sei.
„Der neue Stadtteil ist einfach überzeugend“
Er vergleicht die gesamte HafenCity mit einer Sinfonie mit großem Orchester: „Die Premiere mit dem Dirigenten Jörn Walter ohne vorherige Proben ist gelungen, es gab ein paar Quietscher, mal einen verstolperten Einsatz, einen zu lauten Paukenschlag, aber das macht nichts. Der neue Stadtteil ist einfach überzeugend.“
Kritisch sieht er das Überseequartier, weil es zu viel Verkehr anziehe und mit zu viel Einzelhandel gegen die Altstadt konkurriere. Marg fürchtet einen Sanierungsfall für die Zukunft. Begeistert ist er von der Entwicklung der Speicherstadt, die heute von kulturellen Einrichtungen strotzt. Die Gestaltungssatzung hatte Marg einst miterarbeitet: So haben alle sanierten Speicher dort wieder kupferne Dächer und Regenrinnen, goldene Schriftzüge und dunkle Fenster. „Trotz Umbau und neuer Nutzung ist die Speicherstadt nirgends versaut worden. Das hat bei der Ernennung zum Weltkulturerbe sehr geholfen.“
Skepsis bei Projekt Elbtower
Beim Elbtower ist Marg skeptisch. Zwar hat auch sein Plan von 1997 schon ein oder zwei Türme als Stadteingang bei den Elbbrücken vorgesehen, aber nicht als modische Landmarke des Zeitgeschmacks: „Wir sind doch nicht in Dubai oder Abu Dhabi. Ich hätte mir ein Einfahrtssignal mit charakteristischem Bezug auf die Hafenstadt Hamburg gewünscht.“
Marg ist bis heute verärgert, dass die Olympischen Spiele auf dem Grasbrook durch einen unnötigen Volksentscheid gescheitert sind. „Diese städtebauliche Chance für den „Sprung über die Elbe“ haben die Bürger damals durch Kleinmut und Selbstverleugnung vermasselt. Jetzt droht statt des großen Sprunges zu einer zweiten großen HafenCity auf dem gesamten Grasbrook der faule Kompromiss eines kleinen Hüpfers in den Schlick des Moldauhafens.“
Tausch von Grasbrook gegen Moorburg eine "Falle“
Dieser gravierende städtebauliche Fehler mit vielen negativen Folgen ließe sich korrigieren. Marg fordert, dass der rot-grüne Senat die Hafenwirtschaft beim Wort nimmt, sie sei schon bei der Olympiabewerbung bereit gewesen und sei es immer noch, den Grasbrook für die Stadt zu räumen, wenn sie geeignete Ausgleichsflächen bekäme. Den Vorschlag von Gunther Bonz, den Großen Grasbrook gegen Moorburg zu tauschen, hält Marg für eine „dreiste politische Falle“. Es gebe genug Flächen.
„In der Hafenstadt Hamburg muss der Senat die Blockade der Stadtentwicklung durch die Hafenlobby überwinden, wie es seinerzeit Voscherau und Dietrich nach dem Prinzip „do ut des“ geschafft haben“, fordert Marg. Diesmal wäre es viel leichter, weil die stadteigene HHLA mit ihrem Unikai-Umschlag im Interesse der Stadt Beweglichkeit signalisieren könnte. Die Gefahrengutlagerung auf dem Grasbrook müsse zur Sicherheit der HafenCity sowieso verlegt werden, und die Bananenreiferei könne überall hin, wo Container angelandet werden können.
Stadtentwicklung: Marg macht sich Sorgen über City
Marg teilt die Sorgen über die Verödung der Innenstadt. Der Koalitionsbeschluss, dort ein „Haus der digitalen Welt“ zu errichten, ist zum Ausgleich des Käuferschwundes ein erster Schritt zur Erhaltung urbanen Lebens. Dafür hat er gerade mit den Stipendiaten der gmp-Stiftung Vorschläge am Gerhart-Hauptmann-Platz entwickeln lassen und ausgestellt.
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Und noch andere Ideen beschäftigen den Architekten, wie etwa der soziale Wohnungsbau auf freiem Raum, den weder die Stadt noch der Hafen beansprucht: „Ich würde wahnsinnig gerne aus dem brachliegenden Zollhafen südlich der Veddel eine bewohnte Wilhelmsburger Alster machen.“
Auch mit bald 85 Jahren gehen Volkwin Marg die Ideen nicht aus.
Fünf Fragen
Mein Lieblingsstädte sind Hafenstädte. Die erste ist die, die mich geprägt hat: Danzig – da bin ich buchstäblich im Alten Hafen groß geworden. Als Student war ich permanent in Rotterdam und Amsterdam. Und danach bin ich nach Hamburg. Als ein Haus in Övelgönne frei wurde, bin ich dort hingezogen. Und mit unserem Büro blicken wir auf den Hafen.
Meine Lieblingsgegend ist Altona. Hier gibt es eine unglaubliche Spanne – vom Kiez über das Altona der 20er-Jahre, vom kleinbürgerlichen Övelgönne über das mittelbürgerliche Blankenese bis nach oben zu den Villen der Großkopferten. Und dazwischen wieder Schrebergärtner. Ein totales Gemisch. Diese Mischung macht Urbanität aus.
Meine Lieblingsorte sind Brücken. Wenn man nach Hamburg über die Elbbrücken reinfährt, sieht man ein Stahlgewitter - so viele Brücken auf einem Haufen gibt’s es nicht noch einmal. Großartig ist der Blick von der Freihafenbrücke tief in den Hafen hinein. Von der Lombardsbrücke schaut man aus dem Zug in die gute Stube der Stadt, auf die Silhouette einer seit dem Mittelalter gewachsenen Stadt. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.
Mein Lieblingsgebäude ist auch sehr hamburgisch: Im Jenischpark gibt es das fantastische, kubische, schneeweiße Jenischhaus. Und dazu sein Pendant, das Barlachhaus von Kallmorgen. Kallmorgen war ein erstklassiger Architekt der Nachkriegszeit. Beide Häuser, der große Bruder aus dem Klassizismus und der kleine aus der Moderne, stehen unter Denkmalschutz.
Einmal mit der Abrissbirne würde ich … lieber zum Schneidbrenner greifen: Nachdem ich das Gas abgestellt hätte, würde ich die Wasserstoff-Tankstelle am Eingang zur HafenCity beseitigen. Diese provisorischen Blechbude versaut den besten Blick auf die zusammenlaufenden Fleete und das schönste Fotomotiv, das es in Hamburg gibt. An dieser Stelle würde ich ein Bistro für Besucher hinsetzen.