Hamburg. Eine Formulierung in einem Brief an Hamburger Kitas sorgt für Empörung. Die Sozialbehörde weist die Vorwürfe zurück.

Am Sonntag hat der Senat die neuen Corona-Quarantäneregeln an Kindertagesstätten präzisiert – und nun für ein vermeintliches Detail scharfe Kritik geerntet. Der entscheidende Satz, der beim Wohlfahrtsverband Sozial & Alternativ (SOAL), beim Dachverband Kindermitte und bei Kita-Leiterinnen und Leitern für Irritation sorgte, versteckt sich in einer Grafik der Stadt Hamburg, die für Eltern und Einrichtungen die geänderten Quarantäneregelungen veranschaulichen soll.

Dort heißt es, dass die Kitas alle Fälle dem Gesundheitsamt melden sollen. Das zuständige Amt prüfe anschließend, ob weitere serielle Testungen nötig seien. "Im Regelfall müssen sich nur infizierte Kinder absondern", heißt es in der Grafik. Als Kontaktpersonen gelten demnach nur Menschen, die im selben Haushalt mit dem infizierten Kind leben oder vom Gesundheitsamt eine entsprechende Mitteilung erhalten.

"Die Dienststellen des Amts für Familie sowie die Kita entscheiden nicht, wer als Kontaktperson gilt", steht im Kleingedruckten darunter. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in einem Schreiben der Behörde an die Hamburger Kita-Träger und Kitas vom Sonntag, das dem Abendblatt vorliegt.

Kitas in Hamburg entscheiden nicht mehr selbst über Schließung

Laut Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde, ist diese Regelung nicht neu. Die ärztliche Entscheidung sei bereits davor von Amtsärzten im Gesundheitsamt getroffen worden, so Helfrich auf Abendblatt-Anfrage. Sarah Stüber, Geschäftsführerin in dem insgesamt 80 Einrichtungen umfassenden Dachverband Kindermitte, bestätigt, dass es zwar tatsächlich offiziell schon immer so war, dass es dem Gesundheitsamt oblag, eine Einrichtung zu schließen.

Da die Gesundheitsämter in Hamburg mit der Kontaktnachverfolgung jedoch zunehmend überfordert sind, sei es zur gängigen Praxis geworden, dass die Kitas diese Entscheidung eigenständig treffen. Demnach legten die Leitungen auch fest, wer als Kontaktperson galt, und wen sie in Quarantäne schickten.

"In den letzten Wochen hat das bei allen Kita-Leitungen gut funktioniert und in der Regel haben das auch die Eltern akzeptiert", so Stüber. Viele Erziehungsberechtigte hätten in den vergangenen Wochen sogar noch weitreichendere Maßnahmen gefordert, also beispielweise noch mehr Kinder in Quarantäne zu schicken, als die Kita-Leitung vorsah.

Kritik an neuen Kita-Regeln in Hamburg: Durchseuchung beschlossen?

Der Wohlfahrtsverband Sozial & Alternativ (SOAL) hat die neuen Quarantäneregelungen in einer Pressemitteilung noch drastischer interpretiert: "Indirekt hat die Stadt damit die Durchseuchung der Kitas beschlossen", heißt es in einer aktuellen Mitteilung.

Die Regelung bedeute im Klartext, dass Erzieher auch nach mehrstündigem, engen Kontakt mit infizierten Kindern nicht mehr in Quarantäne geschickt werden dürften, da sie nicht offiziell als Kontaktperson identifiziert wurden. So könne das Virus ungehindert an die nächsten Familien weitergegeben werden, heißt es in der Mitteilung. Der SOAL forderte den Senat daher dazu auf, die Regelung zu korrigieren oder die Gesundheitsämter dazu in die Lage zu setzen, innerhalb eines Tages auf die Meldungen der Kitas zu reagieren.

Kita-Leiterin bereiten neue Regeln in Hamburg Sorgen

Auch Annkatrin Eschler, die in Lokstedt und Bahrenfeld die Elbpiraten-Kitas leitet, hat die Formulierung verunsichert. Erst am vergangenen Wochenende habe sie eine weitere Neuinfektion an das Gesundheitsamt in Eimsbüttel melden müssen.

In allen Gesundheitsämtern sei dazu ein spezielles Postfach eingerichtet worden, das mit Priorität bearbeitet werde, heißt es auf Seiten der Sozialbehörde. Dennoch erreichte Eschler nur eine automatisierte Mail auf ihre Meldung.

"Ich sehe mich jetzt quasi dazu gezwungen, eine Gruppe mit mehreren infizierten Kindern offen zu lassen, solange Personal vorhanden ist", so Eschler. Hinzu komme in ihrem Fall, dass nur noch wenige Schnelltests zur Verfügung stehen. Grund sei der Rückruf zweier Test-Chargen des Herstellers Genrui.

Hamburger Sozialbehörde weist Kritik zurück

Die Sozialbehörde weist die Kritik auf Nachfrage zurück: Kita-Leitungen sollen "natürlich im Rahmen ihrer Rolle verantwortlich mit den Gegebenheiten vor Ort umgehen", so Martin Helfrich. Es könne angesichts der derzeitigen hohen Fallzahl vorkommen, dass eine Rückmeldung seitens der Gesundheitsämter nicht so schnell eingeht, wie es wünschenswert wäre.

"In diesen Fällen sollen Kita-Leitungen mit Augenmaß vorgehen und – gegebenfalls in Abstimmung mit der Kita-Aufsicht in der Sozialbehörde – sinnvolle Entscheidungen treffen und ihr Ermessen ausüben", so der Sprecher der Sozialbehörde weiter. Helfrich verweist zudem darauf, dass Kontaktpersonen generell keiner Quarantänepflicht unterworfen sind, wenn sie geimpft oder geboostert sind. Im Prinzip ändere sich mit den neuen Quarantäneregeln im Hinblick auf die Entscheidungsbefugnis der Kita-Leitungen nichts.

Corona Hamburg: "Durchseuchte Kitas sind nicht mehr sicher"

Die Geschäftsführerin des Dachverbands Kindermitte begrüßt, dass die Kita-Leitungen in ihrer Handlungsbefugnis damit gestärkt werden. "Es gerät bei der aktuellen Aufregung in Vergessenheit, wie wichtig Kitas für die frühe Bildung sind", so Stüber.

Sozial und emotional müssten Kinder aufgefangen werden. "Es sollte eigentlich Thema sein, wie wir die Kita als sicheren Hafen aufrechterhalten können. Wenn ungeimpfte Kinder durchseucht werden, sind Kitas nicht sicher für sie. Viele Familien warten dringend auf die Impfung für Zwei- bis Fünfjährige. Bis dahin ist es unser aller Verantwortung, Infektionen weiterhin zu verhindern.“