Hamburg. Seit 2018 laufen die Bemühungen um ein juristisches „Staatsexamen 2.0“. Doch es wird wohl noch länger dauern.
Dass Deutschland bei der Digitalisierung sehr vielen Staaten hinterherläuft, ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Woran es liegt, dass selbst auf den ersten Blick recht überschaubare IT-Projekte auch nach Jahren noch nicht realisiert sind, zeigt das Beispiel des juristischen „Staatsexamens 2.0“ oder etwas schlichter: die Einführung IT-unterstützter Klausuren in den juristischen Abschlussprüfungen. Hier herrscht seit zweieinhalb Jahren beinahe Stillstand.
Am 17. Oktober 2018 hat die Bürgerschaft den rot-grünen Antrag „Staatsexamen 2.0 – Die Digitalisierung im Jurastudium vorantreiben“ einstimmig bei Enthaltung von Linken und FDP beschlossen. „Der juristischen Ausbildung kommt die Aufgabe zu, die angehenden Juristinnen und Juristen so gut wie möglich auf ihre spätere Arbeitswelt vorzubereiten.
Bessere Lesbarkeit der Klausuren
Ein wichtiger Bestandteil ist, juristische Texte schnell, sicher und präzise am Computer zu verfassen. Im Gegensatz dazu verfassen Juristen Klausuren nach wie vor handschriftlich“, heißt es in dem beschlossenen Antrag.
Zu den Vorzügen einer am Computer geschriebenen Klausur zähle die bessere Lesbarkeit und damit die Möglichkeit, die Arbeiten schneller zu korrigieren. Zudem könnte eine gute oder schlechte Handschrift eine faire Benotung jedenfalls unbewusst beeinflussen. Der Senat wird aufgefordert, die Einführung der eKlausuren in den juristischen Staatsexamina „aktiv voranzutreiben“.
Veränderte Anforderungen an Platzbedarf und Ausstattung
Nach gut einem Jahr, am 17. Dezember 2019, antwortet der Senat. Doch nun tauchen Probleme auf. „Mit der Einführung der eKlausur verändern sich die Anforderungen an den Platzbedarf und die Ausstattung für jeden Prüfling erheblich“, heißt es in der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Die vorhandenen Prüfungsräume am Dammtorwall (Neustadt) seien zu klein. Es werden wegen der PCs größere Arbeitstische und zur Verhinderung von Sichtachsen wegen möglicher Täuschungsversuche größere Abstände der Tische benötigt.
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Um genug Raum für die jährlich rund 1000 Prüflinge zu haben, plant der Senat „die Anmietung von zwei Geschossen im Gebäude Drehbahn 47–48 für 16 Jahre“. Für den Abschluss eines Mietvertrags bittet der Senat die Bürgerschaft um eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 18 Millionen Euro (1,12 Millionen Euro pro Jahr). Es folgt eine nicht unwesentliche Ergänzung: „Die bei Abschluss der Mietverträge entstehenden zukünftigen Mietkosten werden von der Justizbehörde im Haushaltsaufstellungsverfahren 2021/2022 berücksichtigt.“
Schnelle Reaktion der Bürgerschaft
Die Bürgerschaft reagiert schnell: Am 12. Februar 2020, wenige Tage vor der Bürgerschaftswahl, erteilt das Parlament die Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 18 Millionen Euro – wiederum einstimmig. Damit ist der Weg für die Einführung der eKlausuren eigentlich frei. Das scheint auch der damalige Justizsenator Till Steffen (Grüne) gedacht zu haben, der die Einführung des digitalen Staatsexamens schon per Pressemitteilung am 23. Januar 2020 forsch ankündigt.
„Wir reden nicht nur über Digitalisierung, wir treiben sie voran in der Justiz“, sagt Steffen. „Wer schreibt im Beruf noch viel per Hand? Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, dass das Staatsexamen noch auf Papier geschrieben wird. Diese Zettelwirtschaft wollen wir beenden“, so der Justizsenator. Und Steffen nennt ein Datum: „Die erste Probeklausur soll im nächsten Jahr stattfinden, und das System dann bis 2022 in Betrieb sein.“
Genehmigtes Budget von rund 1,4 Millionen Euro
Doch dann geschah erst einmal – nichts. Im März dieses Jahres erkundigte sich der CDU-Justizexperte Richard Seelmaecker in zwei Kleinen Anfragen nach dem Stand der Dinge. Zwar konnte der Senat berichten, dass es inzwischen ein genehmigtes Budget von rund 1,4 Millionen Euro aus dem IT-Globalfonds für die IT-Ausstattung und Personalkosten gebe.
Aber in Sachen Raumanmietung gab es keine guten Nachrichten. Die Option, die Räume Drehbahn 47–48 anzumieten, sei „aus von der Behörde nicht zu verantwortenden Gründen“ gescheitert. Der Vermieter hatte kurzfristig seine Mietforderungen massiv erhöht. „Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten verlief bisher erfolglos“, teilt der Senat etwas kleinlaut mit.
Justizsenatorin Anna Gallina hat sich nicht durchgesetzt
Ein weiterer Punkt wirft kein gutes Licht auf die Erfolgsaussichten des Projekts. Die Verpflichtungsermächtigung für die Mietkosten in Höhe von 18 Millionen Euro ist nicht mit Budgetmitteln im Haushaltsplanentwurf 2021/2022 hinterlegt. „Die zuständige Behörde hat im Rahmen der Haushaltsaufstellung auf die notwendige Eckwerterhöhung unter anderem für die Umsetzung des elektronischen Staatsexamens hingewiesen.
Aufgrund der Gesamthaushaltslage war diese jedoch nicht möglich“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf eine weitere Seelmaecker-Anfrage. Mit anderen Worten: Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) hat sich nicht durchgesetzt.
Forderung der CDU
„Außer Spesen nix gewesen – der Senat hat das Vorhaben klammheimlich auf die lange Bank geschoben“, kritisiert Seelmaecker. „Wir fordern die Justizsenatorin eindringlich auf, umgehend die Digitalisierung voranzutreiben und das Staatsexamen 2.0 endlich zu ermöglichen“, so der CDU-Politiker.
„Wir brauchen neben neuen Räumlichkeiten geeignete Hard- und Software. Aktuell muss noch die Finanzierungsfrage der Räume geklärt werden. Danach können wir in die Beschaffung der Hard- und Software gehen. Die Vorarbeiten sind hierfür geleistet“, sagt Justizsenatorin Gallina, die sich nicht auf ein Datum zum Start der eKlausuren einlässt.