Hamburg. Auch das nächste Semester wird überwiegend digital, verrät Uni-Präsident Dieter Lenzen im Interview. Doch er hat auch Forderungen.

Auch für Studierende und Lehrende der Universität Hamburg war 2020 ein hartes Jahr: Die Universität Hamburg musste von jetzt auf gleich auf digitale Lehre umstellen. Ihr Präsident Dieter Lenzen kann der Entwicklung aber auch Positives abgewinnen: So sei die Betreuung der Studierenden intensiver geworden, sie hätten sich häufiger an ihre Professoren gewandt - offenbar waren die Hürden niedriger. Im Interview fordert Dieter Lenzen eine Digitalisierungsoffensive an deutschen Hochschulen und verrät, wie es an der Universität Hamburg im kommenden Jahr weitergeht.

Hamburger Abendblatt: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag seit Beginn der Pandemie aus? Es heißt, Sie leiteten die Universität Hamburg überwiegend aus dem Home Office.

Dieter Lenzen: Das stimmt, ich arbeite seit März fast ausschließlich zu Hause. Pro Tag kommen acht bis 15 Video- bzw. Telefonkonferenzen zusammen, dazwischen sehe ich meine Post durch, die mir gebracht wird. Die Abstände zwischen einzelnen Terminen sind dichter geworden, es geht Schlag auf Schlag. Insgesamt funktioniert das gut. Durch das lange Sitzen habe ich allerdings chronische Rückenschmerzen. Trotzdem bin ich in einer privilegierten Lage verglichen mit Menschen, die auch während des harten Lockdowns nicht zu Hause arbeiten können.

Lesen Sie auch:

Was vermissen Sie?

Mir fehlt die unverbindliche Leichtigkeit, die mit Begegnungen einhergeht, das Aufwärmen. Bei Online-Besprechungen kommt man oft sofort zur Sache, die zwischenmenschliche Kommunikation bleibt auf der Strecke. Ich versuche inzwischen, einige Termine schon kurz von dem offiziellen Beginn wahrzunehmen, um etwas Smalltalk zu machen, weil es die Gesprächsatmosphäre erleichtert.

Sie hatten schon Anfang November angeordnet, dass Vorlesungen und Seminare an der Uni bis auf Weiteres fast ausschließlich digital stattfinden sollen – und waren dafür in einem offenen Brief von Lehrenden an fünf Fakultäten hart kritisiert worden. War Ihre Vorgabe angemessen?

Ich bin froh darüber, dass wir so frühzeitig fast komplett auf eine digitale Lehre umgestellt haben und freue mich darüber, dass bis heute niemand von den Beschäftigten sein Leben verloren hat, für die ich Verantwortung habe. Es wäre verantwortungslos gewesen, angesichts des zunehmenden Infektionsgeschehens ein Risiko durch Präsenzlehre einzugehen. Man musste kein Prophet sein, um abzuschätzen, wie sich die Lage entwickeln würde. Nun ist klar: Schlimmer konnte es kaum kommen. Auf ähnliche Phasen müssen wir im kommenden Jahr eingestellt sein.

Wie planen Sie das Sommersemester?

Ein reines Präsenzsemester halte ich für unrealistisch - dazu müssten die Corona-Impfungen schon im Frühjahr einen Masseneffekt haben. Junge Menschen werden bis dahin höchstwahrscheinlich noch nicht geimpft sein. Deshalb planen wir das Sommersemester mit größtenteils digitaler Lehre in unseren knapp 200 Studiengängen. Solange die Abstandsregeln für alle Räume gelten, sind nämlich Präsenzveranstaltungen nur für maximal 15 Prozent unserer 44.000 Studierenden möglich. Unser größter Hörsaal, das Auditorium Maximum, bietet zum Beispiel unter normalen Bedingungen zwar Platz für fast 2000 Studierende, doch wegen der Abstandsregeln dürften wir nur 200 hineinlassen.

In einer Uni-internen Befragung zum digitalen Sommersemester gab etwa jeder dritte Studierende an, mit den veränderten Gegebenheiten eher schlecht zurechtgekommen zu sein. Damit können Sie nicht zufrieden sein.

Wir waren sehr überrascht über die positive Resonanz, möchte ich zuerst sagen. Immerhin gab etwas mehr als die Hälfte der befragten Studierenden an, recht gut zurechtgekommen zu sein. Diejenigen, die nicht zufrieden waren, bezogen sich eher auf das fehlende soziale Miteinander, weniger auf die Lehre. Trotzdem müssen wir uns fragen, wie wir die unverbindliche Leichtigkeit, von der ich eingangs sprach, auch in einer digitalen Lehre herstellen können. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das schon meisterhaft beherrschen und von Studierenden begeisterte Zustimmung erfahren. Für viele Lehrende war der Unterricht mittels digitaler Medien allerdings noch ungewohnt.

In der internen Befragung gaben 76,6 Prozent der befragten Studierenden an, dass sich die Kontaktbeschränkungen im Sommersemester 2020 negativ auf ihre Arbeitsund Leistungsfähigkeit ausgewirkt haben. Was tut die Uni, um Vereinsamung unter den Studierenden entgegenzuwirken?

Das ist schwierig. Es gibt dafür nicht viele Instrumente. Wir informieren in sozialen Medien und auf unserer Internetseite so oft und gut wie möglich über die Auswirkungen der Pandemie auf das Studium, über studentisches Leben, Hochschulsport, Mensen, Zugang zu Bibliotheken, Fristverlängerungen für Abschlussarbeiten und Hausarbeiten während des Lockdowns und vieles mehr. Gespräche zwischen Studierenden zu vermitteln, ist allerdings schwer, auch wenn alle Lehrenden dazu aufgefordert sind und dies auch nutzen, die Studierenden über Austauschmöglichkeiten wie etwa Chatfunktionen von Programmen hinzuweisen. Gleichwohl überlegen wir, ob wir den Austausch künftig weiter fördern können, etwa durch ein Uni-eigenes Portal, über das Studierende mit ähnlichen Interessen zusammenfinden. Allerdings organisieren Studierende bereits solche Angebote, da müssen wir als Hochschulleitung nicht das Rad neu erfinden. Was die psychologische Betreuung an der Uni angeht, hatten wir uns zunächst darauf eingerichtet, unser Angebot auszuweiten. Bisher war das aber nicht nötig, weil wir keine signifikante Zunahme eines Beratungsbedarfs bei den Studierenden verzeichnen.

Wenn die Pandemie vorbei ist, wird die Lehre an der Universität Hamburg dann eine andere sein, oder soll es dann weitestgehend wieder so sein wie vor Corona?

Wir werden keine Fernuniversität werden, sondern auch nach Corona auf Seminare und Vorlesungen in Präsenz setzen. Es wäre aber fahrlässig, positive Erfahrungen mit digitaler Lehre nicht weiterzuführen.

Was lief denn gut?

Zumindest bei Veranstaltungen mit nicht allzu vielen Teilnehmern, also mit maximal 30 Studierenden, haben etliche Lehrende festgestellt, dass in Videoseminaren, etwa via Zoom, eine persönliche Ansprache der Studierenden besser funktioniert. Wer noch zuhört oder wer sich innerlich schon verabschiedet hat, ist hier offenbar leichter zu erkennen als im Hörsaal, wo die Dozenten nur die ersten Reihen gut im Blick haben. Wer dabei als Lehrender aufmerksam ist, kann darauf reagieren und Studierende gezielt ermuntern. Oft war das allerdings gar nicht nötig, denn es meldeten sich im Schnitt mehr Studierende als früher, wie uns Lehrende berichtet haben. Dieses Medium scheint eher zu Nachfragen zu ermutigen. Die Hemmschwelle ist offenbar niedriger als in einem großen Hörsaal, wo alle Augen auf einen gerichtet sind. Bemerkenswert ist noch ein weiterer Punkt.

Nämlich?

Die persönliche Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden neben den Seminaren und Vorlesungen etwa über Chats und E-Mails war intensiver während des digitalen Semesters. Es hat zwar auch früher schon Lehrende gegeben, die sich sehr intensiv mit den Studierenden befasst haben. Aber zuletzt ist die Betreuung dichter geworden. Durch digitale Kommunikation kann es ein schnelleres Feedback geben, von Lehrenden an Studierende und umgekehrt. Zwar kann ein Hochschullehrer nicht ständig mit Tausenden Studierenden kommunizieren, aber in Gruppen mittlerer Größe kann ein intensiverer Austausch als früher funktionieren und gewinnbringend sein. Zudem haben Lehrende zum Beispiel auch digitale Sprechstunden eingerichtet oder zusätzlich Lehrvideos produziert, was eine individuelle Beschäftigung mit dem Thema erlaubte. Wir verzeichnen einen leichten Zuwachs bei der Zahl der Absolventen und die Noten sind etwas besser geworden – da kann man sicher noch mehr herausholen. Wir beginnen nun auf unserer Internetseite mit der Veröffentlichung einer Interview-Serie, in der Lehrende von besonders erfolgreichen digitalen Projekten berichten, um Kolleginnen und Kollegen zu inspirieren.

Wie wird das Vorlesungsverzeichnis nach der Pandemie aussehen?

Es wird rein digitale Veranstaltungen geben, aber auch Angebote für gemischte Lernformen und wieder Präsenzveranstaltungen. Ein Teil der Lehre wird sich immer nur in Präsenz durchführen lassen, etwa Übungen in Laboren und für Mediziner sowie Praktika für Lehramtsstudierende in der Schule. Wir brauchen eine didaktisch durchgedachte Mischung aus Präsenzlehre und Digitalangeboten.

Reicht die technische Infrastruktur der Uni aus für die digitale Lehre von morgen?

Es kommt auf die Ansprüche an. Unterstützt von der Wissenschaftsbehörde konnten wir im Sommersemester schon sehr viel Equipment kaufen, auch für die Arbeit von Beschäftigten im Homeoffice – im Übrigen sind allerdings die Räume der Universität nicht so ausgestattet, dass Hochschullehrer einfach gefilmt werden könnten und sich die Aufnahmen schnell ins Netz stellen ließen. Vielmehr sorgen dafür bisher IT-Teams, die in Lehrveranstaltungen gehen. Für die Zukunft brauchen wir eine Digitalisierungsoffensive, die sowohl Hard- und Software umschließt als auch die entsprechende Weiterbildung des Personals.

Fühlen Sie sich genügend von der Hamburger Politik unterstützt?

Die Zusage zu einer ersten Ausschüttung von Fördergeld kam sehr zügig. Es wurde auch eine zweite Welle angekündigt. Wie viel Geld wir am Ende bekommen werden und wann, ist bisher nicht klar erkennbar. Es sollte jedenfalls nicht bei einer ersten „Notförderung“ bleiben. Hier gibt es noch massiven Ausbaubedarf, übrigens nicht nur in Hamburg – Deutschland hat die Digitalisierung an den Hochschulen bisher verschlafen. Die Pandemie gibt uns die Chance – die letzte vielleicht – dies zu ändern.