Hamburg. Früherer Stadtentwicklungssenator Willfried Maier verfolgt die Entwicklung der HafenCity mit Sympathie – und mit etwas Sorge.
Ein Vierteljahrhundert ist in der Stadtentwicklung eine halbe Ewigkeit: Wer wüsste das besser als Willfried Maier? 1997 wurde der Grünen-Politiker unter Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) Stadtentwicklungssenator und damit Chef eines neu geschaffenen Ressorts, das zudem Europa- und Bundesangelegenheiten koordinieren musste. Stadtentwicklung galt damals nicht unbedingt als Topthema, die Städte schienen fertig gebaut, der Etat von Maiers Behörde war der kleinste. Dabei klang manche Aufgabe von damals – ob die Entwicklung der HafenCity, der Sprung über die Elbe oder die Belebung der Innenstadt – so aktuell wie heute.
20 Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Stadtentwicklungsbehörde treibt Willfried Maier das Thema noch immer um. Und als 1. Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft ist er eine der wichtigen Stimmen in der Debatte. Anders als früher ist die Entwicklung der Stadt ein Thema geworden, das längst auch außerhalb von Planungsbüros und Parlamenten die Menschen bewegt.
Stadtentwicklung: Maier ist stolz auf damaligen Masterplan der HafenCity
„Die Hauptdebatten wurden damals in der Bürgerschaft und im Stadtentwicklungsausschuss geführt – und nicht in den Bezirken“, erinnert sich Maier. „Heute gibt es eigentlich kein Projekt mehr, in dem nicht Anwohner und Betroffene intensiv mitdiskutieren wollen. Das ist sehr lebhaft geworden.“ Insgesamt sieht er die neue Bürgerbeteiligung positiv: „Stadtentwicklung ist eine Frage der öffentlichen Auseinandersetzung.“
Manche Projekte, die er damals durchzusetzen half, sind heute kaum vorstellbar – dazu zählt die Europa Passage, für die 2004 im Herzen der Stadt denkmalgeschützte Gebäude wie das Europahaus abgerissen und die Paulstraße überbaut wurde. „Heute bestünde wohl kein Bedarf mehr für ein solches Gebäude. Aber damals ging es darum, stillliegende Straßen zu beleben.“ Bereut er die Umsetzung? „Insgesamt ist die Europa Passage eine sehr gelungene Passage geworden“, sagt Maier. Und: „Man kann Geschichte nicht zurückdrehen.“
Blickt er auf seine Zeit als Stadtentwicklungssenator zurück, sieht er viele Unterschiede zu heute. Die großen Bauprojekte in Folge der deutschen Einheit und des Zuzugs von rund 100.000 Neubürgern waren auf den Weg gebracht, die HafenCity noch in der absoluten Frühphase. „Wir waren damals in einer Zwischensituation“, erinnert sich der 79-Jährige. „Das war eine ruhige Phase, in der wenig Wohnungsbau betrieben wurde. Neben der HafenCity war mein Betätigungsfeld die soziale Stadtteilentwicklung.“ Dabei ging es um die Verbesserung und Instandsetzung heruntergekommener Viertel, vor allem Großsiedlungen, die mitunter schon wenige Jahre nach Fertigstellung zu Problemfällen geworden waren.
„Der neue Stadtteil hat es geschafft, viele Menschen anzuziehen.“
Stolz ist Maier auf den damaligen Masterplan der HafenCity, der „ziemlich gut geworden“ sei. „Der neue Stadtteil hat es geschafft, viele Menschen anzuziehen.“ Manche Entscheidung wie die Verkehrsplanung müsse man aus der Zeit heraus verstehen: So wurden Wohnstraßen als verkehrsberuhigte Zonen mit Tiefgaragen entwickelt, zugleich üppige Durchgangsstraßen gebaut. Dem Science Center, das als Leuchtturm geplant war und später der Finanzkrise zum Opfer fiel, weint Maier keine Träne nach. „Dafür haben wir eine Elbphilharmonie bekommen – sie ist deutlich stärker als jedes Science Center.“
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Willfried Maier war einer der großen Fürsprecher des Konzerthauses, als die Grünen sich nach 2001 in der Opposition wiederfanden. „Die Elbphilharmonie war eine ganz große Entscheidung für die Stadtentwicklung, selbst wenn sie sehr teuer geworden ist. Sie wird Hamburg über eine lange Zeit prägen.“ Der Ideengeber Alexander Gérard hatte eine erste Skizze des Konzerthauses Maier in seinen letzten Tagen als Senator gezeigt. „Als der Entwurf da war, gab es ein breites bürgerliches Bündnis, und selbst alle Architekten sagten: kein Wettbewerb! So wollen wir es haben“, erinnert er sich. „Das hatte ich noch nie erlebt.“
Sorge um die Hamburger City
Die Entwicklung der HafenCity verfolgt er mit Sympathie – und etwas Sorge. Skeptisch sieht er den Elbtower, der an den Elbbrücken 245 Meter hoch in den Himmel wachsen soll. „Ich bin kein Freund von Hochhäusern, erst recht nicht von solch überimposanten Wolkenkratzern.“ Schwer absehbar sei, was aus der Innenstadt werde, wenn das Überseequartier in der HafenCity eröffnet und damit die Einzelhandelsfläche mit einem Schlag sich in der Innenstadt um rund 20 Prozent vergrößere. „Das sehe ich mit Sorge.“
Die Entwicklung der Innenstadt treibt ihn heute als Vorsitzenden der Patriotischen Gesellschaft um. Mit der Initiative „Altstadt für alle“ ist der 1765 gegründeten Institution „zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“ ein Schlüsselspieler in der Debatte geworden: Sie übernimmt die Organisation der Projekte von „Altstadt für alle“. Darin haben sich 2017 die Patriotische Gesellschaft, die Evangelische Akademie der Nordkirche sowie das Bürgerbündnis „Hamburg entfesseln“ zusammengeschlossen. Seitdem mischt sich „Altstadt für alle“ ein – und beginnt die City zu verändern.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die Genossenschaft Gröninger Hof
„Die Arbeitsweise der Initiative hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen“, sagt Maier. Sie lädt zu Workshops ein, bei denen alle Beteiligten Vorschläge einbringen und daraus Projekte entstehen. So werden Berührungsängste abgebaut. Wichtiger noch: „Alle dürfen von vorneherein als Subjekte mitwirken. Das ist der große Unterschied zu Verwaltungshandeln, wo sich die Betroffenen oft als Objekte fühlen.“ Maier benennt einen weiteren Erfolgsfaktor: „Es geht ums Gestalten, nicht ums Verhindern.“ Ein Ergebnis dieses gemeinsamen Gestaltens ist die Verkehrsberuhigung im Rathausquartier, die 2019 als Modellprojekt begann. Über mehrere Wochen wurden Straßen für den Durchgangsverkehr gesperrt und neu bespielt. Am Ende des Modells sprachen sich 93 Prozent der befragten Anlieger für eine Fortsetzung aus.
- Fünf Fragen
- Meine Lieblingsstadt ist Hamburg. Aber ich habe grundsätzlich eine Vorliebe für freie Bürgerstädte: Republikanisches Denken hat immer auch Auswirkungen auf die Stadtgestalt gehabt. Ein wunderbares Beispiel ist Siena. Die Piazza begeistert bis heute Menschen aus der ganzen Welt. So etwas bietet keine Residenzstadt.
- Mein Lieblingsstadtteil ist Winterhude. Hier findet sich eine Mischung aus altem Gewerbe und Wohnen, auch die Bevölkerung ist gemischt. Winterhude ist nicht so gleichförmig wie das wohlhabendere Eppendorf. Und der Stadtpark ist gleich in der Nähe.
- Mein Lieblingsort ist der Stadtpark – hier gehe ich joggen und spazieren. Und auf der großen Festwiese ist im Sommer jeden Tag Volksfest.
- Mein Lieblingsgebäude ist das Rathaus – und die Patriotische Gesellschaft an der Stelle des Alten Rathauses. Sehr gelungen finde ich auch das Pergolenviertel in Winterhude mit seiner Klinkeroptik und den lebhaften Innenhöfen. Hier ist eine schöne architektonische Situation geschaffen worden, leider fehlt dem neuen Viertel noch ein Zentrum.
- Einmal mit der Abrissbirne … wäre ich vorsichtig. Aber ich bin 20 Jahre über den Campus gegangen und habe mich jeden Tag über den Brutalismus des Wiwi-Bunkers geärgert. Heute würde ich ihn nicht mehr abreißen, sondern vielleicht beranken lassen. Man muss aber auch wissen: Viele dieser Betonbauten haben nur eine Lebenszeit von 30 bis 40 Jahren.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die Genossenschaft Gröninger Hof. Im Januar 2020 bekam sie das Parkhaus an der Neuen Gröninger Straße 12 zur Anhandgabe. Nun will die Genossenschaft verschiedene Nutzungen wie Wohnen, Gastronomie, Arbeiten und Kultur unter dem einstigen Parkhausdach zusammenbringen. „So eine Idee hätte man zu meiner Zeit als Senator völlig abseitig gefunden“, sagt Maier – wie auch das autofreie Rathausquartier oder den verkehrsberuhigten Jungfernstieg. „Die Idee, dass die europäischen Städte gerade durch Enge und Dichte urban geworden sind, durch fußläufige Entfernungen, war in der autogerechten Stadt in Vergessenheit geraten.“
Ein weiteres Anliegen der Initiative „Altstadt für alle“ liegt darin, den Hopfenmarkt an der Nikolaikirche „wieder flottzukriegen“. Mit Aktionen und Führungen machte sie auf die lange Historie und die enormen Chancen des traditionsreichen Platzes aufmerksam, der derzeit als Parkplatz an der Willy-Brandt-Straße verkümmert. „Zuletzt kam der Versuch dazu, weitere Hamburger Plätze zu beleben – nicht durch große bauliche Maßnahmen, sondern durch Ideen von Anliegern“, sagt Maier. Nun werden der Gertrudenkirchhof, der Gerhart-Hauptmann-Platz und der Platz an St. Petri mit finanzieller Unterstützung der Stadtentwicklungsbehörde neu bespielt. „Die Idee ist auf offene Ohren gestoßen und hat Grundeigentümer, Geschäftsleute, Bürger und Künstler zusammengebracht. Wenn es gelingt, nicht nur die Plätze sondern die Innenstadt als Ganzes zu beleben, wäre das ein großer Gewinn.“
Wohnen in der Innenstadt – die Krise als Chance
Es bewegt sich etwas in der Stadt – und die Bürger bringen die Stadt in Bewegung. Seit Jahrzehnten wird über die Belebung der City diskutiert, nun machen die Menschen: Sie bringen ihre Ideen ein, organisieren Konzerte und Veranstaltungen, schließen sich zu Genossenschaften und Initiativen zusammen. Die Stadt wird zum Labor, der südliche Teil der City rund um die Cremon- und die Grimminsel verwandelt sich gerade in die „Altstadtküste“.
Zentraler Hebel für mehr Leben in der Stadt sind mehr Bewohner – und da sieht Maier in der Krise sogar eine Chance. „Früher war an Wohnen in der Innenstadt angesichts ständig steigender Mieten und Immobilienpreise kaum zu denken“, sagt er. „Die Krise hilft uns zu erkennen, was eine Stadt ist – nur eine große Verkaufsfläche oder doch mehr?“ Er macht eine Wende im Denken aus. „In meiner Zeit als Senator bekamen wir kein größeres Gebäude hin, das Läden, Büros und Wohnungen unter einem Dach vereinte.“ Die Politik stieß damals an Grenzen, die inzwischen aufweichen.
„Ich hätte mir als Senator eine Initiative wie ‚Altstadt für alle‘ gewünscht.“ Inzwischen werden zumindest Einzelprojekte stets mit Wohnungen geplant, ganze Straßenzüge aber bleiben vorerst ein frommer Wunsch. Maier verweist auf Weichenstellungen, die zwei Jahrhunderte zurückreichen und die Stadt bis heute prägen: Den Großen Brand von 1842, nach dem Hamburg als Geschäftsstadt wiederaufgebaut wurde, und den Abriss der dicht besiedelten Gängeviertel für große Kontorhäuser zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Wunsch: verkehrsberuhigte Straßen, lebendige Plätze
Bis heute schlägt das Herz der Stadt nur am Tage. „Wenn man abends aus dem Thalia-Theater kommt, hat man immer noch tote Straßen vor sich“, kritisiert Maier. Um die City zu beleben, bedürfe es nicht nur Möglichkeiten zum Einkaufen, sondern zum Treffen und Erleben. Maier wünscht sich neue Belegungen – kulturelle Initiativen, handwerkliche Werkstätten müssten in die Zentren kommen. „Die können natürlich nicht die Mieten zahlen, zur Not muss die Stadt helfen, einen Ausgleich zwischen den Eigentümern zu organisieren.“
Der langjährige Bürgerschaftsabgeordnete nimmt die Senatskanzlei in die Pflicht: „Es wäre gut, wenn der Bürgermeister die Initiative ergreift, diese Interessen zu bündeln. Es geht um die Zukunft der Stadt in ihrem Kern.“ Zudem hoffte der Vorstand der Patriotischen Gesellschaft auf das geplante Naturkundemuseum, das in die City ziehen könnte. „Das muss in die Innenstadt und lockt neue Besucher an.“
Für die Innenstadt 2030 wünscht sich der 79-Jährige verkehrsberuhigte Straßen, interessante Fassaden mit faszinierenden Nutzungen, lebendige Plätze, auf denen Kindern aus der Nachbarschaft spielen – kurzum eine Stadt für alle. „So nehmen die Menschen Anteil am Gelingen“, sagt er. Das mag utopisch klingen. Aber in den vergangenen Jahren hat Maier gelernt, dass sich Dinge schneller ändern können als gedacht.