Hamurg. FDP und Ärzte kritisieren einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Umsetzung hapert. Gleichzeitig stellt sich Hamburg den Affenpocken.
Diese Impfpflicht läuft bisher offenbar ins Leere: Seit dem 16. März müssen alle Einrichtungen im Gesundheitswesen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter melden, die nicht gegen das Coronavirus geimpft sind. Das betrifft Krankenhäuser und Pflegedienste, Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte. In großen Praxen fallen beispielsweise auch IT-Mitarbeiter unter die gesetzliche Regelung. Bei Zehntausenden Betroffenen in Hamburg gibt es bislang keinen Fall, in dem Sanktionen verhängt wurden. Das können sogenannte Betretungsverbote sein, also quasi der Entzug der Arbeitserlaubnis für den bisherigen Ort.
Überhaupt wurden zwar rund 3800 nicht geimpfte Personen im Gesundheitswesen den Behörden gemeldet. Allerdings geht man davon aus, dass einige von ihnen nur noch keinen Nachweis erbracht haben, sie also geimpft sind oder ein Attest haben.
Corona in Hamburg: Fünftel der Impfpflicht-Fälle bearbeitet
Im Bezirk Nord hat jetzt eine Kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Wieland Schinnenburg ergeben, dass von 1185 Meldungen an das Gesundheitsamt erst 222 bearbeitet wurden. 963 Verfahren seien aktuell noch „in Bearbeitung“, wie Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne) erklärte. Schinnenburg sagte dem Abendblatt: „Neun Wochen nachdem Arztpraxen, Pflegeheime etc. ihre noch nicht geimpften Mitarbeiter an das Gesundheitsamt gemeldet haben, hat das Gesundheitsamt nicht einmal ein Fünftel der Meldungen abschließend bearbeitet. Die Verwaltung versagt beim Vorgehen gegen die angeblich bestehende Gefahr durch nicht geimpfte Mitarbeiter. Dann lässt man die einrichtungsbezogene Impfpflicht besser ganz.“
Im Bezirk Nord verweist man darauf, dass „der Prozess der Meldekontrolle“ noch nicht abgeschlossen sei. Ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht damit faktisch gescheitert? So schnell mahlen die Mühlen in den Behörden nicht. Diese „kleine“ Impfpflicht zeigt, wie schwer sich rechtlich und praktisch der Kampf gegen das Coronavirus nach wie vor gestaltet.
Jeder Fall muss einzeln geprüft werden
Der Sprecher der Sozialbehörde, Martin Helfrich, wies im Abendblatt darauf hin, dass die Fristen für die Anhörungsverfahren gerade erst ausliefen. Dass es noch keine Rückläufe von ungeklärten Fällen gebe, könne zum Beispiel mit dem Mutterschutz von Pflegekräften zusammenhängen. „Jeder Fall muss einzeln angeschaut werden“, so Helfrich. Frühestens im Juni gebe es erste Entscheidungen, ob Sanktionen verhängt würden. Der große Aufwand für die einrichtungsbezogene Impfpflicht bringe aber auch einen hohen Nutzen. Tatsächlich sehen Experten die Grundimmunisierung im Gesundheitswesen als Voraussetzung für eine effektive Pandemie-Bekämpfung.
FDP-Mann Schinnenburg betont jedoch, dass es keinen Nachweis gebe, dass ein ungeimpfter Mitarbeiter einen Patienten mit dem Coronavirus angesteckt habe. Der Geschäftsführer der Facharztklinik am UKE, Dr. Torsten Hemker, sagte dem Abendblatt: „Wie soll ich als ärztlicher Leiter einer Klinik meinen – wenigen – ungeimpften Mitarbeiterinnen erklären, dass sie sich impfen lassen müssen? Wir haben drei- und vierfach Geimpfte, die erkranken, wir haben einen Arzt, der nach der zweiten Impfung eine schwere Nervenlähmung hatte, die ihn mehr als sechs Monate außer Gefecht setzte.“
Die Ungeimpften habe man mit täglichen Tests „gut durch die Pandemie gebracht“. Hemker bekräftigt, was viele vor der Einführung einer Impfpflicht für Gesundheitsberufe vorausgesagt hatten: „Jetzt die einrichtungsbezogene Impfpflicht durchzusetzen, treibt dringend benötigte Mitarbeiter aus dem Beruf!“
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Doch auch das Bundesverfassungsgericht hat sie bestätigt. Der Schutz „vulnerabler Gruppen“ wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte für die Mitarbeitenden im Pflege- und Gesundheitsbereich, heißt es in dem Beschluss aus Karlsruhe, der eine Verfassungsbeschwerde abwies (Az. 1 BvR 2649/21, Beschluss vom 27. April 2022). Der Gesetzgeber habe abgewogen zwischen dem Schutz und der „in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung“. Diese Impfpflicht sei ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Den Betroffenen bleibe nur die Wahl, den Beruf nicht mehr auszuüben oder den Arbeitsplatz zu wechseln.
Klinikleiter Hemker macht die Politik für eine Fehlentwicklung verantwortlich. „Als wir die allgemeine Impfpflicht gebraucht hätten, im Frühsommer letzten Jahres, haben aus Angst vor der Bundestagswahl Spahn, Lauterbach Co. gesagt: ,Mit mir wird es keine Impfpflicht geben‘. Populismus siegte über den Sachverstand.“
Hamburg bereitet sich auf Affenpocken vor
In Hamburg lag die Corona-Inzidenz für die vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohner zuletzt bei 379,3. In den Krankenhäusern wurden 168 Covid-Patienten behandelt, 13 von ihnen intensivmedizinisch. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab die Sieben-Tage-Inzidenz für Hamburg mit 193,3 an die bundesweite mit 211,2. Grund für die Unterschiede ist unter anderem der Meldezeitpunkt.
Unterdessen gibt es in Hamburg noch keinen gemeldeten Fall von Affenpocken. Die Sozialbehörde ist nach eigenen Angaben aber darauf vorbereitet, dass es Fälle geben wird. Das sei in einer Hafen- und Handelsstadt normal. Die medizinischen Einrichtungen in der Stadt seien in der Lage, mit diesem Virus umzugehen.
Das RKI erklärte: „Das Risiko, sich mit Affenpocken zu infizieren, ist nicht auf sexuell aktive Menschen oder Männer, die Sex mit Männern haben, beschränkt. Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person hat, kann sich infizieren.“ Das Institut glaubt, dass der Ausbruch begrenzt werden könne.