Hamburg. Dieser Teil der Corona-Politik ist gescheitert. Jetzt müssen kleine, klare Schritte folgen. Auch Solidarität ist gefordert.

Es gibt zwei Worte, die die Hilflosigkeit einer ganzen Gesellschaft in der Corona-Pandemie dokumentieren: zu spät. Die Impfpflicht – oder besser: eine Art Impfpflicht –, über die an diesem Donnerstag der Bundestag befinden soll, kommt zu spät. Mit dem Beginn der Impfkampagne im Dezember 2020 hätte man eine verpflichtende Immunisierung für alle Erwachsenen beschließen und einführen können. Es wäre das Signal für Rationalität gewesen: Nur das Impfen sowie die Abstands- und Hygieneregeln führen uns aus dieser Pandemie.

Je schneller und effektiver das geht, desto weniger Infizierte und Tote, desto zügiger die Rückkehr der Freiheit, was immer sie für den Einzelnen bedeutet. Durchführungsbestimmungen, Ausnahmen, Erweiterungen und so weiter ließen sich ja immer noch daraus ableiten.

Corona-Impflicht: Auch eine Klage hätte klüger gemacht

Und wenn jemand klagt? Im Rechtsstaat ist der Rechtsweg eingeschlossen. In Karlsruhe sitzen weise Verfassungsrichter. Für Verteidiger wie Gegner wäre schnell klar gewesen, unter welchen Bedingungen eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ist sie es nicht, dann ist man auch hier schlauer. Versuch macht klug. Aber so? Emotionalisierte, eskalierte Debatten, in denen extreme Positionen noch verfestigt werden.

Dass pünktlich zur Parlamentsentscheidung über eine Impfpflicht das irrlichternde Verhalten des Gesundheitsministers offenbar wird, verstärkt die Befindlichkeit einer pandemiemüden Gesellschaft. Nicht viel anders als ein Donald Trump twittert und talkshowt Karl Lauterbach zulasten der Glaubwürdigkeit der Demokratie.

Es gibt noch immer kein Impfregister

Nein, es geht nicht mehr nur um die Mahnungen, das vorlaute Verkünden von Beschlüssen und die hastigen Rückzieher, die den vermeintlichen Propheten Lauterbach vom Minister Lauterbach unterscheiden. Es geht auch nicht um Koalitionen oder Kompromisse. Das Vertrauen in die Gewählten generell ist unterminiert und stärkt die „System“-Kritiker am politischen Rand.

Was weder er noch andere korrigieren können, ist das „Zu spät“ rund um eine Impfpflicht. Es gibt kein ordentliches Impfregister. Mit dem Start des Impfens hätte man es aufbauen können. Die Impfstoffversorgung, das Anmelden wie in Hamburg in den Messehallen und das Spritzen waren hoheitliche Aufgaben.

Krankenkassen wollen Daten nicht erheben

Jede Internet-Klitsche hätte eine Kundendatei, die Bundesregierung, die Länder haben aber keine Ahnung, wer wann womit geimpft wurde. Jetzt wehren sich die Krankenkassen, Daten von den Versicherten zu erheben. Sie haben gute Gründe: Es würde ewig dauern, sie können einen gefälschten Impfpass nicht von einem echten unterscheiden – und sie können nicht Impfpolizei spielen.

Mittlerweile sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse und das Virus so weiterentwickelt, dass man ehrlicherweise nicht exakt sagen kann: Diese eine, zwei oder drei Spritzen schützen alle und immer und gleich vor einer Corona-Infektion. Als Begründung für eine Impfpflicht taugt dieses Argument also nicht mehr. Wie überhaupt mit Verlauf der Pandemie das Vertrauen in das politische Handling und die wissenschaftliche Begleitmusik immer mehr schwanden.

Allgemeine Impfpflicht ist gescheitert

Eine allgemeine Impfpflicht ist gescheitert. Jetzt müssen kleine, klare Schritte folgen. Es ist ein Impfregister nötig. Das würde auch der Impfpflicht im Gesundheitswesen helfen. In einem Land, in dem nicht Microsoft und Google, aber immerhin SAP erfunden wurde, werden sich doch ein paar Programmierer erbarmen, in Kürze eine Schnittstelle zu bauen, um Daten von links nach rechts fließen zu lassen. Und es braucht mehr Solidarität. Wer von Pflegekräften und Ärzten erwartet, dass sie gegen pandemische Viren geschützt sind, wenn sie Kranke versorgen – der hat die moralische Pflicht, sich ebenfalls impfen zu lassen.