Hamburg. Während Hamburg unter Lockerungen aufatmet, gelten auf St. Pauli noch strenge Regeln. Wirte schließen sich nun zusammen.
Die Corona-Pandemie hinterlässt im Vergnügungsviertel auf St. Pauli trotz der jüngsten Lockerungen ihre Spuren: Die Wirte geraten zunehmend in Not. Jetzt haben sich die Gastronomen zu einem breiten Bündnis zusammengeschlossen und fordern, das pauschale Alkohol-Ausschankverbot ab 23 Uhr zu kippen und sich stattdessen um „die wenigen“ zu kümmern, die sich nicht an Regeln halten.
Zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes an den Hamburger Senat gehören neben dem Dehoga Hamburg, der IG St. Pauli Hafenmeile und dem Barkombinat zahlreiche einzelne Wirte, darunter so prominente Gastgeber wie Corny Littmann, Olivia Jones und Axel Strehlitz.
Alkoholverbot: Kiez-Wirte fordern Aufhebung
Nach sieben Monaten im (zweiten) Lockdown sei die Erleichterung über die Lockerungen groß gewesen, doch dann sei im wahrsten Sinne des Wortes die Ernüchterung gekommen. „Weil anderswo die aufgestaute Feierwut explodiert und sich Menschen nicht an Regeln halten, wird von Euch vorsorglich auch der ganze Kiez ruhiggestellt – mit einem Alkohol-Ausschankverbot ab 23 Uhr“, heißt es in dem Schreiben. Die Kiez-Wirte seien verzweifelt und fragten: „Habt Ihr uns vergessen?“
Das vorsorgliche Alkohol-Ausschankverbot werde für St. Paulis bunte Gastro-Vielfalt zur Existenzfrage. Die Sommermonate seien gerade für die kleinen Bars, Kneipen, Hotels und Restaurants (über)lebenswichtig. „Jede Woche zählt. Wer weiß schon, was der Herbst bringt?“ Das Alkohol-Ausschankverbot müsse fallen, „mindestens schrittweise, dafür aber sofort mit einem ersten deutlichen Schritt“.
Auch fordern die Gastronomen eine Perspektive, wie es weitergehe. „Die meisten Wirtinnen und Wirte aus der Nachbarschaft kommen sich nur noch verkauft, verraten und vergessen vor“, sagt Olivia Jones. Die niedrige Corona-Inzidenz sei „immer noch Grund genug für Vorsicht und Kontrolle, aber kein Grund mehr, jedes Nachtleben auf dem Kiez zu untersagen“, erklärte Corny Littmann.
St. Paulis Wirte: "Ihr bestraft die Falschen"
In ihrem Offenen Brief kommen die Gastronomen vom Kiez gleich auf den Punkt. „Moin Senat“, heißt es in dem Schreiben. „St. Paulis Gastronom*Innen sind verzweifelt.“ Und sie fühlen sich ungerecht behandelt. Es könne nicht sein, dass „übliche Verdächtige“ illegale Corona-Partys schmissen, aber „auch betreutes Feiern mit Verstand und Abstand“ verboten werde, heißt es. Dass sogar in Hotels und Restaurants nach 23 Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf. „Hört endlich auf, alle, die sich an Regeln halten und ,betreutes Feiern´ ermöglichen, in einen Topf mit notorischen Regelbrechern zu schmeißen. Ihr bestraft die Falschen. Ein fatales Signal!“
Die Gastronomen fordern „eine klare Aussage, an welche Kriterien weitere Lockerungen und Perspektiven geknüpft werden. Das wären kleine Schritte für den Senat, aber große Sprünge für die Gastro-Vielfalt auf St. Pauli“, heißt es.
„Ich kann die Verzweiflung vieler Kiez-Gastronominnen und Gastronomen verstehen“, sagt Olivia Jones. "Jetzt, wo sie endlich wieder Geld verdienen könnten, um ihre Schulden zurückzuzahlen, gucken sie schon wieder in die Röhre.“ Die Wirte brauchten einen Zeitplan, wie es zurückgeht zum Normalbetrieb, sagt Dominik Großefeld (Silbersack). „Sonst ist es das gewesen mit der Hamburger Barkultur.“
Gastronomen wollen aus eigener Kraft überleben
Auch Axel Strehlitz (u.a. Wunderbar, Sommersalon) gehört zu den Unterzeichnern. „Was wir auf St. Pauli gerade erleben, ist die Umkehrung des gesunden Menschenverstandes: Statt die Gäste kontrolliert genießen zu lassen, werfen wir sie um 23 Uhr vor die Tür und entziehen sie so jeglicher Aufsicht“, sagt er. „Damit öffnen wir die Büchse der Pandora und dürfen uns nicht wundern, wenn sich die Menschen anderswo ihre Freiräume suchen – mit allen damit einhergehenden Gefahren.“
„Schluss mit der Sperrstunde“, fordert auch Peter Kämmerer, „die Gastronomie wird kaputt gemacht.“ Er sei seit mehr als 30 Jahren mit der IG St. Pauli für den Stadtteil im Einsatz. Die Gastronomen wollten mit eigener Hände Arbeit und nicht mit Überbrückungshilfen über die Runden kommen. „Welch eine Ironie, auf der anderen Seite beschließt der Senat Mittel für ,attraktivitätssteigernde Events und Aktivitäten, die wir als Interessengemeinschaft beantragen können. Das passt nicht zusammen“, so Kämmerer.
Alkoholverbot bremse Hamburger Kiezwirte aus
Die Kiezwirte würden durch das Alkohol-Ausschankverbot in besonderem Maße ausgebremst, glaubt auch Hannes Vater vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). „Denn wo, wenn nicht auf St. Pauli, ist man gerne spät zu Gast?“ Es sei die Ungleichbehandlung der ansässigen Gastronomien, die sich genauso an die Regeln hielten wie anderswo in der Stadt, die großes Unverständnis erzeuge, so Vater.
In der Nacht zu Sonnabend beispielsweise waren laut Lagedienst der Polizei in der Spitze 12.000 Besucher unterwegs. Unterzeichnet haben den Offenen Brief unter anderem auch Wirte der Alten Liebe, der Bermuda Bar, von „Clouds – Heaven‘s Bar Kitchen“, der Daniela Bar, Silbersack, von Susi's Showbar und dem „Goldenen Handschuh“.
Indes hat sich die Lage im Hamburger Stadtpark nach mehreren Wochenenden mit Massenpartys und Ausschreitungen deutlich beruhigt. Das vom Senat verhängte Alkoholverbot zeigte Wirkung. Am Freitagabend seien in der Spitze etwa 300 Menschen im Stadtpark gewesen, doch mit Beginn der Kontrollen wegen des Alkoholverbots um 21 Uhr habe sich der Park recht schnell geleert, sagte ein Polizeisprecher. Kurz vor Mitternacht seien keine Menschen mehr dort gewesen.
Lage im Hamburger Stadtpark beruhigt sich
In der Nacht zu Sonntag waren nach den Worten eines Polizeisprechers in der Spitze etwa 1000 Menschen da – darunter hauptsächlich Familien. Um 21 Uhr hätten die meisten den Park verlassen. Nur vereinzelt habe die Polizei Gruppen auflösen müssen. Gegen 23 Uhr seien noch etwa 150 Menschen in der Grünanlage in Winterhude gewesen.
Nach der neuen Corona-Verordnung gilt in den Nächten zum Sonnabend und Sonntag im 150 Hektar großen Stadtpark ein Alkoholverbot. Das heißt: Besucher dürfen Bier und Wein weder trinken noch dabeihaben. So mussten etliche Partywillige ihre angebrochenen Getränke ausschütten und sich mit mitgebrachten Bierkisten auf den Heimweg machen.
Das Partyvolk versuchte offenbar woanders sein Glück. Am Mühlenkamp in Winterhude seien der Polizei am Abend kleinere Gruppen gemeldet worden, die auf der Straße zu Musik feierten und selbst mitgebrachte Getränke konsumierten, hieß es. Laut Lagedienst hatten sich in Höhe der Mühlenkampbrücke etwa 150 Personen auf beiden Gehwegseiten versammelt.
Jungliberale fordern Tanzflächen im Stadtpark
Im Hayns Park in Eppendorf trafen sich nach Angaben der Polizei zunächst etwa 300 Menschen. Vor Mitternacht seien es noch 60 gewesen. „Insgesamt war die Stimmung aber überall entspannt“, so das Fazit der Polizei.
An den vorhergehenden Wochenenden hatten sich Tausende Menschen im Stadtpark versammelt. Mehrere Hundert überwiegend junge Männer hatten nach Angaben von Innensenator Andy Grote (SPD) nicht nur gegen Corona-Regeln verstoßen, sondern auch Straftaten wie Körperverletzungen, Landfriedensbruch und Sexualdelikte begangen. Mehrfach hatte die Polizei den Stadtpark räumen müssen.
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Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich erfreut über die ruhige Lage im Stadtpark. „Das war ein wunderschöner Sommerabend“, sagte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Lars Osburg, der sich selbst vor Ort ein Bild machte. Es sei „auffällig ruhig“ gewesen. „Das Pärchen, das Picknick mit einer Flasche Wein macht, ist nicht das Problem“, sagte Osburg. Es gehe um den massiven Alkoholmissbrauch, in dessen Folge es zu Aggressionen und Gewalt komme. „Die Idee, ab 21 Uhr ein Alkoholverbot auszusprechen, war genau richtig“, bilanzierte der GdP-Vize.
Die Hamburger Jungen Liberalen (Julis) forderten, im Stadtpark öffentliche Tanzflächen auszuweisen. „Gerade auf großen Grünflächen wie dem Stadtpark könnten ausgewiesene Tanzflächen zu einer Entspannung der Lage beitragen: Jungen Menschen werden explizit Bereiche geboten, wo sie sich unter Einhaltung der Auflagen austoben können“, erklärte der Julis-Landesvorsitzende Carl Cevin-Key Coste.