Hamburg. Nach einem halben Jahr Lockdown befürchtet die Branche, dass viele Gastronomen die Krise nicht überstehen. Eine Bestandsaufnahme.
Es sind Orte, an denen eigentlich das Leben gefeiert wird. Doch seit genau einem halben Jahr sind Restaurants und Bars wie ausgestorben. Seit dem 2. November dürfen Gastronomen in Hamburg keine Gäste mehr bewirten, nur noch Außerhausverkauf ist erlaubt. Die Gastronomie gehört zu den Branchen, die von der Pandemie besonders hart getroffen wurden. Und das eigentliche Ausmaß wird sich erst noch zeigen, da sind sich Experten einig.
„Schon jetzt gibt es ein leises Sterben. Damit sind die Betriebe gemeint, die gar nicht wieder öffnen werden“, sagt Dehoga-Vizepräsident Jens Stacklies. „Aber wenn es wieder losgeht, dann wird es den großen Aderlass geben, denn wir werden ja keinen Start von null auf hundert erleben, sondern es wird Monate dauern, bis das Geschäft wieder läuft."
Gastronomie im Lockdown: Dehoga rechnet mit vielen Insolvenzen
Das würden vor allem kleine Lokale finanziell nicht durchhalten. „Wir gehen davon aus, dass allein in Hamburg bis zu 30 Prozent der Gastronomiebetriebe Insolvenz anmelden müssen oder einfach aufgeben“, so Stacklies.
Er fordert: Es müsse auch nach Öffnung weiterhin eine finanzielle Unterstützung vom Staat geben, sozusagen als „Starthilfe“. Der Großgastronom spricht nicht nur für die rund 1300 Mitgliedsbetriebe des Hotel- und Gaststättenverbandes in Hamburg, sondern auch für sich selbst, betreibt er doch mehrere Restaurants, die Gröninger Brauerei und die Fischauktionshalle, in der Stacklies derzeit ein Corona-Testzentrum untergebracht hat.
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Abendblatt-Umfrage: So geht es den Gastronomen in Hamburg
Den Branchenexperten treibt noch eine weitere Sorge um: „Wenn alles wieder läuft, wird es auch eine Herausforderung sein, leistungsfähige Mitarbeiter zu bekommen. Denn viele haben sich schon in anderen Branchen einen Job gesucht. Es wird auch schwierig sein, junge Leute für eine Ausbildung in unserer Branche zu gewinnen, die momentan von einem Lockdown in den nächsten schlittert.“
Dehoga-Vizepräsident Stacklies beschreibt die Gefühlslage der Branche so: „Dass wir keine Perspektive haben, zermürbt uns. Bis heute gibt es keinen Zeitplan, wann und wie wir wieder loslegen dürfen.“ Und was sagen die Gastronomen nach einem halben Jahr Lockdown? Das Abendblatt hat sich umgehört. Eine Bestandsaufnahme:
Petit Amour: Sternekoch Kasprik verkauft Menüs jetzt in Boxen
Ein Dreivierteljahr lang habe er selbst komplett auf Gehalt verzichtet, sagt Boris Kasprik, der in seinem Petit Amour am Spritzenplatz seit 2016 einen Michelin-Stern hält, welcher auch in diesem Jahr bestätigt wurde. „Aber irgendwann sind dann natürlich auch die privaten Reserven aufgebraucht“, sagt der Küchenchef, der „glücklicherweise“ keinen seiner Mitarbeiter habe kündigen müssen, weil drei Verträge ohnehin ausgelaufen seien.
„Die Ungewissheit zehrt an den Nerven“, sagt der Sternekoch, der unter anderem beim legendären Alain Ducasse und im Dreisternerestaurant „Schiffchen“ in Düsseldorf kochte, ehe er als Souschef zu Thomas Martin ins Louis C. Jacob nach Hamburg kam und sich dann in Ottensen den Traum vom eigenen Gourmetrestaurant mit 25 Plätzen erfüllte.
„Ich habe mir angewöhnt, nur noch nach vorne zu schauen, aber maximal zwei Wochen im Voraus zu planen.“
Schon im ersten Lockdown habe er begonnen, wöchentlich wechselnde Menüs in Boxen anzubieten, die sehr gut angenommen seien. Bis zu 70 pro Woche verkaufe er, mehr Kapazität habe er auch gar nicht. „Wir arbeiten sehr viel. Die Boxen tragen aber natürlich den Laden nicht, helfen mir aber, liquide zu bleiben.“ Die November- und Dezemberhilfen seien bei ihm „recht zügig“ eingegangen. Der Koch hofft, bald wieder öffnen zu dürfen. „Das wird richtig aufregend, denn ich habe ja seit Monaten keinen Teller mehr angerichtet.“
Henriks in Rotherbaum feiert achten Geburtstag ohne Gäste
Vor zwei Wochen hatte das Henriks seinen achten Geburtstag. Gerne hätte Inhaber Claas-Henrik Anklam dieses Ereignis mit Gästen gefeiert. Aber so konnte der Gastronom nur mit ein paar Angestellten coronakonform anstoßen. „Unser siebter Geburtstag war im ersten Lockdown, auch da mussten wir auf eine Party verzichten. Aber zum neunten Geburtstag holen wir alles nach“, sagt Anklam beim Ortstermin in seinem edlen Restaurant an der Tesdorpfstraße in Rotherbaum.
Hier herrscht am späten Vormittag reger Betrieb. Die ersten Bestellungen für den Lieferservice werden in der offenen Showküche zubereitet und gleich mit den eigenen Autos oder einem Lastenfahrrad ausgeliefert. Einige Gäste kommen aber auch persönlich vorbei und holen ihre Speisen ab – verbunden mit einem kurzen Schnack mit dem Personal. Sieben Tage die Woche von 12 bis 21 Uhr können die Gäste bestellen. Ob Königsberger Klopse, Hähnchenschnitzel, Salate oder Hummer vom Grill.
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Henriks-Inhaber: "Wir könnten morgen gleich wieder loslegen“
Jetzt zur Saison gibt es auch Spargel. Die Küche hat zu tun, und die Kellner werden zu Lieferanten. Bis zu 200 Essen am Tag gehen raus. „Wir haben viele treue Gäste und auch Firmen, die bei uns bestellen. Deshalb haben wir kaum Mitarbeiter in Kurzarbeit“, sagt Anklam und hält einen Moment inne. „Wir bekommen auch die staatlichen Hilfen, und das Außerhausgeschäft läuft gut. Aber wirklich Geld verdienen wir mit den Getränken, die bei uns im Restaurant zum Essen bestellt werden. Und diese Einnahmen fehlen natürlich.“
Er lässt den Blick auf die großzügige Terrasse schweifen. Hier haben rund 80 Gäste Platz: „Als es mal hieß, dass die Außengastronomie möglicherweise ab dem 22. März wieder öffnen dürfe, da habe ich gleich Tischwäsche und zehn Heizstrahler bestellt. Also, das steht jetzt im Lager, wir könnten morgen gleich wieder loslegen.“
Gastronom hofft auf baldiges Signal des Hamburger Senats
Das Schicksal hat das Henriks besonders hart getroffen. Durch einen technischen Defekt gab es einen Brand in der Showküche. Das war am 2. Juni 2020 – wenige Wochen vorher durfte die Gastronomie nach dem ersten Lockdown wieder öffnen. Anklam musste wieder schließen. Durch das Löschpulver waren sämtliche Geräte in der Küche nicht mehr zu gebrauchen, und auch das Restaurant musste umfassend saniert werden. Das gestaltete sich aufwendiger als gedacht, und mehrfach musste die geplante Wiedereröffnung verschoben werden.
„Wir waren dann Anfang November schließlich fertig, und alles war wieder schick hergerichtet, einschließlich der neuen Showküche mit Spezialgrill für Steaks. Dann kam der zweite Lockdown, und wir konnten nicht öffnen.“ Aber Anklam lässt sich nicht unterkriegen. „Meine Frau unterstützt mich und stimmt mich nach schweren Tagen wieder positiv. Und jetzt hoffen wir darauf, dass wir bald ein Signal des Hamburger Senats bekommen, wann wir wieder öffnen dürfen.“
Küchenfreunde im Grindel verhandeln mit ihren Vermietern
Darauf hofft auch Johannes Schröder. Er sagt, besonders anstrengend sei die mangelnde Perspektive. „Die fehlt uns Gastronomen komplett. Wann dürfen wir wieder öffnen? Wärmeres Wetter wird in diesem zweiten Pandemie-Jahr nicht das Kriterium sein.
Es geht mehr darum, was die Mutanten machen und wie wir mit dem Impfen vorankommen“, sagt der 39-Jährige, der 2012 sein Restaurant Küchenfreunde im Grindel eröffnete, mittlerweile unter diesem Namen noch einen zweiten Laden am Lehmweg führt sowie die beliebten Cafés „Was wir wirklich lieben“ an der Hegestraße und das „Herzstück“ an der Osterstraße sowie die Bar Botanic District betreibt.
Schröders Mitarbeiter sind fast alle in Kurzarbeit
„Ich bin dankbar, dass wir mit einigen Vermietern sehr faire Lösungen gefunden haben“, sagt er. Es gebe aber auch jene, die keinen Cent der Pacht erließen. „In der Krise lernt man die Menschen erst richtig kennen.“ Von den 90 Mitarbeitern, die er vor Corona beschäftigte, seien noch etwa 75 da – fast alle in Kurzarbeit. „Für das Personal, das maßgeblich vom Trinkgeld lebt, ist das alles eine große Katastrophe“, sagt Schröder.
Selbst wenn er als Chef deren Gehalt aufstocke, sei ihnen kaum geholfen. „Wer kann, orientiert sich um. Das ist auch passiert.“ Mit dem Außerhausgeschäft, mit Frühstücksboxen und Angeboten zu besonderen Anlässen könne er etwa 30 bis 40 Prozent des Umsatzausfalls kompensieren. Bis die beantragten November- und Dezemberhilfen Anfang des Jahres eingegangen seien, sei es aber schon auch mal „brenzlig“ gewesen. „Die Bar wird ja zum Beispiel seit Monaten komplett quersubventioniert.“
Zum Glück habe er bereits im März vergangenen Jahres einen „Corona-Kredit“ beantragt, um zahlungsfähig zu bleiben. „Und jetzt weiß ich gar nicht, was ich von den Hilfen am Ende wirklich behalten darf und was wieder an den Staat zurückgezahlt werden muss oder wie gegengerechnet wird. Selbst mein Steuerberater kennt da noch nicht jede Verästelung.“
Das Mirou wurde mitten in der Pandemie eröffnet
Mut haben Mia und Rouven Puls bewiesen, als die beiden im Juni 2020, also mitten in der Pandemie, ihr Restaurant Mirou mit israelischer Küche am Mühlenkamp eröffneten. „Wir schauen jeden Tag aufs Neue, wie wir mit der Situation umgehen“, sagt Mia Puls. Schon vor dem Start habe man flexibel sein müssen. „Unsere Küche hätte aus Italien kommen sollen, aber das ging dann nicht“, so die Gastronomin. Diese Zeiten erforderten enorm viel Flexibilität.
Obwohl Mia und Rouven Puls wegen des erforderlichen Mindestabstands von Anfang an nur wenige Plätze hätten anbieten dürfen, hätten sie schwarze Zahlen geschrieben. „Seit dem Lockdown arbeiten wir jetzt aber nur noch kostendeckend. Und das auch nur, weil mein Mann und ich deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Wir putzen den Laden sogar selbst, um zu sparen.“ Sie halten ihren Traum vom eigenen Restaurant mit einem Lieferservice am Leben und bieten ihren Gästen auch ein „Menü light“ an – ein Menü mit weniger Speisen, die Preise sind um die Hälfte reduziert.
Auch das Trude in Barmbek setzt auf Lieferservice
Einen Lieferservice bietet außerdem das Restaurant Trude an der Maurienstraße in Barmbek an. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freuen sich, die Gäste auf diese Weise zu sehen“, sagt Geschäftsführer Holger Völsch. Doch dieser Außerhausservice bringe gerade einmal 15 Prozent des üblichen Umsatzes ein.
„Wir bewerten jeden Monat neu, ob es sich lohnt, den Lieferdienst aufrechtzuerhalten.“ Trotz der staatlichen Novemberhilfen, von denen ein erster Abschlag erst im Februar eingegangen sei, seien die vergangenen Monate „die schlimmsten“ seines Lebens gewesen, so Völsch.
Kiezgastronom Tim Becker leidet unter Berufsverbot
Das dürfte auch vielen Gastronomen auf St. Pauli so gehen. Denn in dem Vergnügungsviertel ist es seit einem halben Jahr extrem ruhig geworden. Die Party ist vorbei. Auf dem Kiez betreibt Tim Becker mit Partnern zahlreiche Betriebe. Zum Gespräch mit dem Abendblatt hat der Gastronom in seinen Noho Club am Nobistor gebeten. Bis zu 800 Feierwütige amüsierten sich hier bis Mitte März vergangenen Jahres und tanzten durch die Nacht. Jetzt nutzt der 41-Jährige die Zeit, um zu renovieren. Der Boden wird gemacht, die Dachterrassen erneuert und die Polster der Möbel ausgetauscht.
„Es ist schon bitter, dass die Clubs und Diskotheken jetzt bereits seit mehr als einem Jahr nicht mehr öffnen dürfen. Wir haben hier im Noho noch bis zum zweiten Lockdown ein Pop-up-Restaurant eingerichtet, um zu zeigen, wir sind noch da. Aber seit sechs Monaten ist ja auch das verboten.“
Becker: Öffnungsperspektive würde motivieren
Alle seine Läden sind seit dem 2. November dicht. Das sind der Thomas Read Pub und die Erlebnisgastronomie Astra St. Pauli Brauerei direkt nebenan und das legendäre Frieda B. am Hans-Albers-Platz. Becker kritisiert: „Natürlich ist das schlimm, wenn man als Vollblutgastronom ein Berufsverbot bekommt. Und jetzt ein halbes Jahr später lässt uns die Politik noch immer ohne Perspektive, nennt kein Datum für eine mögliche Öffnung. Wenn man wüsste, dass es bald wieder losgeht, würde das auch die Mitarbeiter motivieren.“
Etwa 250 Mitarbeiter – davon rund 230 Aushilfen – arbeiten für Becker, der auch das Bistro Bastion im Museum für Hamburgische Geschichte betreibt. „Die Aushilfen mussten wir entlassen und holen wir dann zurück, wenn es wir wieder öffnen können. Unsere Angestellten sind in Kurzarbeit.“
Hamburgs Gastronomen in der Krise: Becker bleibt optimistisch
Und wie sieht es finanziell bei Becker aus? „Wir sind dankbar für die staatlichen Hilfen, damit kommen wir ganz gut über die Runden. Aber natürlich verdienen wir momentan kein Geld, und das ist bitter. Die Verbindlichkeiten für Mieten, Versicherungen und andere Nebenkosten laufen weiter. Damit wir liquide sind, haben wir einen KfW-Kredit über eine halbe Million Euro aufgenommen, aber den müssen wir natürlich auch zurückzahlen in den kommenden Jahren.“
Becker lächelt trotzdem. „Wir Gastronomen lieben unseren Beruf, und deshalb bleibe ich auch in der größten Krise, die ich jetzt bedingt durch Corona in meinen gut 20 Jahren in dieser Branche erlebt habe, optimistisch.“