Hamburg. Er war ein TV-Star, dann wurde er Notfallsanitäter – um endlich etwas Relevantes in seinem Leben zu machen. Eine Zwischenbilanz.

Er war erfolgreicher TV-Moderator bei verschiedenen Sendern. Doch dann verabschiedete sich Tobias Schlegl plötzlich aus der Welt der Medien, um in die des Blaulichts einzutauchen. Inzwischen ist er von dort ein Stück wieder zurückgekehrt.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht der Buchautor („Strom“) über die Suche nach Relevanz in seinem Leben, das Kriseninterventionsteam, das er einmal selbst gebraucht hat – und über die Momente, für die sich all das, was er macht, wirklich lohnt. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider

Tobi Schlegl: „Ich wollte nur mehr Relevanz in mein Leben bringen“

Das sagt Tobias Schlegl über …

… seine radikale Abkehr von der Welt der Medien: „Ich habe nicht alles hingeworfen, was ich in den Medien gemacht habe, ich habe immer noch als Reporter für „Extra 3“ beim NDR gearbeitet, auch, um meine Ausbildung zum Notfallsanitäter zu finanzieren. Das war meine letzte Brücke in die alte Welt. Es war ja nicht so, dass mich mein früherer Beruf als Moderator und Journalist gelangweilt hätte, im Gegenteil. Ich wollte nur mehr Relevanz in mein Leben bringen, weil ich mich, bei all den Gesprächen, die ich seit mehr als 20 Jahren mit interessanten Leuten geführt habe, gefragt habe: Was machst du eigentlich Interessantes?

Und diese Frage hat dazu geführt, dass ich einen relativ radikalen Bruch mit meinem alten Leben gemacht habe, etwas, was gerade meine Eltern nicht verstanden haben. Aber ich brauchte diese Radikalität. Ich hatte mir damals eine Liste mit relevanten Berufen gemacht: Der Lehrer stand drauf, der Landwirt, der Arzt. Ich wollte etwas mit maximaler Verantwortung machen, aber ich wollte keine Ausbildung haben, die fünf oder sechs Jahre dauert. Der Beruf des Notfallsanitäters mit einer drei Jahre ausdauernden Ausbildung war gerade neu, das hat sich überschaubar und machbar angefühlt. Wie hart diese Zeit dann tatsächlich war, sagt dir vorher natürlich keiner. Aber: Ich war mehrmals bei Lebensrettungen, und das tut so gut. Das ist das allerschönste Gefühl, und das war genau das, was ich gesucht habe.“

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… sein Doppelleben: „Ich glaube, man kann es auf Autor und Notfallsanitäter reduzieren. Die Zeit, die ich in der Blaulichtwelt verbringe, ist die Hälfte meiner Berufszeit. Und die andere Hälfte habe ich in den vergangenen anderthalb Jahren ins Schreiben gesteckt. Ich brauche dieses Gleichgewicht, die Kombination aus den zeitkritischen Blaulichteinsätzen und der Zeitlosigkeit des Schreibens. Nur das Schreiben sorgt dafür, dass ich weiter als Notfallsanitäter arbeiten kann, weil ich in meinen Büchern das verarbeiten kann, was ich erlebt habe. Würde ich Vollzeit nur in der Blaulichtwelt arbeiten, würde ich das vielleicht zwei Jahre ertragen und wäre dann kaputt.“

TV-Star Tobias Schlegl: „Wusste nicht, ob ich den Job durchhalten würde“

… das Kriseninterventionsteam, das erst ihm geholfen hat und in dem er jetzt selbst arbeitet: „Ich bin ja nicht nur Notfallsanitäter, ich habe auch eine Weiterqualifizierung gemacht, um im Kriseninterventionsteam arbeiten zu können. Die Menschen dort werden bei dramatischen Einsätzen alarmiert, entweder von der Feuerwehr, dem Rettungsdienst oder von der Polizei, um Angehörige, Betroffene oder Augenzeugen zu betreuen. Sie sind auch dabei, wenn die Polizei Todesnachrichten überbringt, und bleiben bei den Menschen, die ein Familienmitglied oder einen Freund verloren haben.

Und die Experten des Kriseninterventionsteams haben auch mir in meiner Ausbildung zum Notfallsanitäter in einer schweren Situation geholfen, diese Ausbildung überhaupt bis zum Ende zu schaffen. Ich hatte nach anderthalb Jahren so viele harte Einsätze am Stück gehabt, dass ich nicht mehr wusste, ob ich den Job würde durchhalten können. Ein Kollege hat damals zum Glück das Kriseninterventionsteam für mich gerufen, dem es gelungen ist, mich in diesem Knackpunktmoment wieder zu stabilisieren.“

Tobias Schlegl sagt über sein Buchprojekt, dass er damit Missstände ansprechen kann

… seinen ersten Tag auf einer Demenzstation, die ihn zu seinem neuen Roman „Strom“ inspiriert hat: „Ich hatte immer schon den Drang, alles, was ich mache, perfekt zu tun. Am ersten Tag auf der Demenzstation hatte ich die Aufgabe, einer älteren Patientin die Kompressionsstrümpfe auszuziehen. Das war jetzt auch nicht so schwierig. Aber ich kam ja aus dem Rettungsdienst, und dort sind die meisten Medizinprodukte Einwegprodukte, das heißt, man schmeißt sie nach Benutzung weg. Das habe ich mit den Kompressionsstrümpfen auch gemacht. Es stellte sich aber heraus, dass diese Strümpfe langwierig bei der Krankenkasse beantragt und schließlich von der genehmigt worden waren. Die Patientin wurde sehr unruhig, weil ihre Strümpfe weg waren, und meine Kollegen mussten mithilfe von Mullbinden für Ersatz sorgen. Das war mein Einstand auf der Demenzstation: Ich hatte dafür gesorgt, dass die Kollegen mehr Arbeit hatten und die Patientin verunsichert war. Was für ein Einstand.“

… seine Rolle als Sprachrohr der Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten: „Mit meiner Welt des Schreibens kann ich als kleiner Klassensprecher Missstände im Gesundheitssystem ansprechen. Und das Schöne ist: Meine Kolleginnen und Kollegen finden das gut. Das war ein Risiko, ich wollte ja nicht, dass die denken: Da spielt sich einer in den Vordergrund und erzählt seine tollen Geschichten. Aber die finden das gut, dass da jemand ist, der ehrlich darüber spricht und Themen etwa aus der Pflege in die Öffentlichkeit bringt. Denn der öffentliche Druck wird gebraucht, damit sich politisch etwas ändert.

Tobias Schlegl: „Man ist so häufig mit Leid und schweren Schicksalen konfrontiert“

… die Frage, was im Gesundheitssystem wirklich fehlt: „Was ich vermisst habe, ist, dass man sich um uns kümmert. Das, was mir im Rettungsdienst zuteilwurde, also eine Betreuung durch das Kriseninterventionsteam, gibt es in anderen Bereichen, etwa in der Pflege, in der Regel nicht. Man ist so häufig mit Leid und schweren Schicksalen konfrontiert, bekommt aber viel zu selten angeboten, mit jemanden darüber zu sprechen, um das alles zu verarbeiten. Beim Kriseninterventionsteam haben wir regelmäßig alle anderthalb Monate eine Supervision und reden darüber, was wir erlebt haben. Das ist so wichtig, um funktionieren und weiterarbeiten zu können. “

„Entscheider treffen Haider“

… Autoren, die nur über etwas schreiben können, was sie wenigstens zum Teil erlebt haben: „Ich habe in meiner Arbeit für die Kultursendung „Aspekte“ mit vielen Autorinnen und Autoren Kontakt und die Vorstellung gehabt, dass die alle zu Hause am Schreibtisch sitzen und sich für ihre Bücher etwas ausdenken. Aber dem ist nicht so. In der Regel erzählen die ihre Geschichte, also das, was sie erlebt haben. Genau so ist es bei mir auch. Die Fiktion kommt dann zu dem, was ich bei meiner Arbeit gesehen habe, dazu.“