Hamburg. Der Kultmoderator wird 80 Jahre alt und erzählt, warum er nicht nur weiterarbeiten will, sondern vor allem muss.
Am 14. Oktober ist das Hamburger Abendblatt 75 Jahre alt, sechs Tage später wird Carlo von Tiedemann 80. Und das eine hat mit dem anderen durchaus etwas zu tun: Der Mann, der als Moderator in Deutschland berühmt wurde, hat seine journalistische Karriere beim Abendblatt begonnen und wäre ohne die Zeitung vielleicht gar nicht zum NDR gekommen. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über seinen ersten Radiobeitrag, warum er vor seinen Eltern, die er über alles liebte, nach Buenos Aires floh – und wieso er nicht nur weiterarbeiten will, sondern auch muss.
Das sagt Carlo von Tiedemann über …
… die Anfänge seiner Karriere beim Hamburger Abendblatt: „Ich war Ende der 1960er-Jahre beim Hamburger Abendblatt in der Lokalredaktion, habe unter anderem als Gerichts- und Polizeireporter gearbeitet. Ich kam von einer kleinen Zeitung in Cuxhaven, bei der ich mein Volontariat gemacht hatte, und das Abendblatt war große Welt für mich, Hamburg sowieso. Ich war sehr, sehr stolz und lasse auch heute gern noch raushängen, dass ich Abendblatt-Redakteur war.“
… seine Zeit als Korrespondent in Buenos Aires, was viel mit seinem geliebten Elternhaus zu tun hatte: „Ich wollte unbedingt ins Ausland, was einen besonderen Hintergrund hatte. Ich bin ein Einzelkind und mit einer unfassbaren Liebe von meiner Mama und meinem Papa großgezogen worden. Dass ich nach Buenos Aires gegangen bin, damals als Korrespondent für den Springer-Auslandsdienst, geschah aus Flucht vor dieser Liebe. Ich wohnte mit 24 Jahren noch zu Hause, weil ich mich so an diese beiden Menschen gebunden fühlte. Ich musste mich davon lösen, und deshalb wollte ich so weit wie irgendwie möglich fort. Mir hätte in dieser Zeit pro Jahr ein Hamburg-Urlaub zugestanden, aber ich bin zweieinhalb Jahre am Stück in Argentinien geblieben, weil ich mich freischwimmen musste.“
Carlo von Tiedemann erinnert sich an die letzten Worte seines Vaters
… seinen Vater, der 101 Jahre alt geworden ist: „Mein Vater war 65 Jahre alt, als ich auf die Welt kam, und er war 89, als ich beschloss, mein Elternhaus zu verlassen und nach Argentinien zu ziehen. Er war ein hochdekorierter Generalleutnant, der mich sehr und den ich sehr geliebt habe und über den ich gern folgende Geschichte erzähle, die viel über ihn sagt: Er wurde 101 Jahre alt und starb an einem Sonnabend in meinen Armen. An dem Tag war die „Aktuelle Schaubude“, die ich damals moderierte, und das Letzte, was mein Vater sagte, war: ‚Du gehst zum Dienst.‘ Und ich habe dann abends die Sendung gemacht, denn es war ein Befehl.“
… eine Reportage für das Abendblatt, die ihn zum NDR brachte: „Das war der Wendepunkt in meinem Leben. Ich wurde 1971 vom Abendblatt zu einer NDR-Produktion im Studio Hamburg geschickt, über die ich berichten sollte. Ich war von dieser ganzen Atmosphäre, von den Kameras und den Lampen und dem Gewusel fasziniert und bin mit einem ganz komischen Gefühl zurückgefahren in die Redaktion. Wenig später habe ich beim Abendblatt gekündigt, weil ich unbedingt zum NDR wollte und weil die dort damals zum Glück Menschen wie mich gebraucht haben. Ich wusste genau, dass ich in dieses wahnsinnige Geschäft gehöre, ich konnte reden, und ich hatte kein Lampenfieber.“
… seinen ersten Radioauftritt: „Es war 1971 im Winter, Hamburg war komplett zugeschneit und ich sollte einen zweieinhalb Minuten langen Beitrag über die Situation in der Stadt auf NDR 2 machen. Ich habe den Bericht ohne Punkt und Komma runtergeknüppelt, mein Kinn wurde immer länger und länger, ich muss eine unfassbare Figur abgegeben haben. Hinterher sagte mein Chef: ‚Das war die Premiere unseres Mitarbeiters Carl Ferdinand von Tiedemann. Mich hat das, was Sie eben gesagt haben, ein bisschen an eine Heeresberichterstattung erinnert.‘“
Carlo von Tiedemann über seine Arbeit: „Ich brauche immer Freiheit“
… sein Leben als freier Mitarbeiter: „Ich bin jetzt 52 Jahre beim NDR und war davon vielleicht drei Jahre fest angestellt. Ich konnte nicht damit umgehen, morgens um 9 Uhr zu beginnen und abends gegen 17 Uhr Feierabend zu haben, das war nicht meine Welt. Ich brauchte immer die Freiheit nach allen Seiten.“
… sein Engagement bei der legendären „Aktuellen Schaubude“: „Ich war damals Reporter bei der Radiosendung ‚Umschau am Abend‘, es war eine wilde, wunderbare Zeit. Wir trafen uns gern in einem Nachtlokal am Schlump. An einem dieser Abende saß ich mit dem leitenden Redakteur der ‚Aktuellen Schaubude‘ um 2 Uhr unter einem Tisch, neben ihm lag ein Bierdeckel. Er sagte: ‚Herr von Tiedemann, ich mache Ihnen ein Angebot: Ich würde gern, dass Sie der neue Moderator der ,Schaubude‘ werden.‘ Ich unterschrieb dann auf dem Bierdeckel, und ich moderierte die ‚Aktuelle Schaubude“ 20 Jahre lang.“
„Entscheider treffen Haider“
… die Frage, warum er mit 80 Jahren nicht aufhört zu arbeiten: „Ich habe eine so unfassbare Freude an dem, was ich mache. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich von meinen Wohnort Quickborn ins Studio nach Hamburg fahre, ich freue mich auf meinen Dienst und dass ich das tun darf, was ich will. Ich kann mir ein Leben ohne diese Arbeit nicht vorstellen, und ich muss auch arbeiten, um Geld zu verdienen. Ich hatte in meinem Leben, was die Finanzen angeht, nicht immer nur Glück, habe mal einen Großteil meiner Ersparnisse verloren und kann mir deshalb nicht leisten, mit dem Arbeiten aufzuhören. Und ich will es auch nicht.“
Carlo von Tiedemann spricht über seine Beziehung zum NDR
… den Disput mit dem NDR in diesem Jahr: „Die Wahrheit ist: Ich rang im Mai dieses Jahres mit dem Tode in einem Krankenhaus in Hamburg, als der NDR beschloss, mich vom Sender zu nehmen. Es gab keine Verabredung mit mir, dass ich, wenn ich wieder gesund bin, nicht mehr live moderiere. Jetzt ist es nun mal so, aber das heißt nicht, dass ich nichts mehr für den NDR mache. Mein großes Lieblingsprojekt ist die Arbeit für NDR Schlager in Hannover. Was einige Zeitungen berichtet haben, war falsch: Ich bin nie weg vom NDR gewesen, es ging in dem Disput immer nur um die Livegeschichten.“
… die Treue zum NDR: „Ich hatte nie das Gefühl, mich streiten zu müssen oder dass unfair mit mir umgegangen wurde. Ich musste nie Klinken putzen beim NDR, ich hatte dort eigentlich immer nur Glück. Es sind 52 Jahre, die ich voller Fröhlichkeit da herumsitzen durfte und noch darf.“
… seine Geburtstagsparty in der Ritze: „Ich feiere meinen Geburtstag mit 300 Leuten in der Ritze auf der Reeperbahn. Zwei ehrenwerte Hamburger Kaufleute haben mir diese Party geschenkt, auf der Einladungsliste stehen Leute wie Udo Lindenberg, Peter Maffay und Otto Waalkes.“