Hamburg. Der Hamburger Segler hat ein großes Problem mit der Einsamkeit – was gar nicht zu seinen nächsten großen Zielen passt.

Durch seine Teilnahme an der härtesten Einhandregatta der Welt ist er in Deutschland zu einem Star weit über das Segeln hinaus geworden. Jetzt bereitet sich Boris Herrmann auf die Vendée Globe im kommenden Jahr vor, bei der er nicht mehr ein Neuling, sondern einer der Favoriten sein will und wird.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht der Hamburger, der Ende des Monats mit Will Harris die Zweihandregatta Transat Jacques Vabre bestreitet, über das Problem, das er mit der Einsamkeit an Bord hat, seinen Willen zu gewinnen und darüber, warum das so wichtig für den Kampf gegen den Klimawandel ist. Zu hören ist das Gespräch, das vor mehr als 300 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Laeiszhalle aufgezeichnet wurde, unter www.abendblatt.de/entscheider, zu sehen auf dem YouTube-Kanal des Abendblatts.

Das sagt Boris Herrmann über …

… den extremsten Widerspruch in seinem Leben: „Das ist, dass jemand wie ich, der überhaupt nicht allein sein mag, allein um die Welt segelt. Wenn ich könnte, würde ich es immer vorziehen, mit einer Mannschaft zu segeln. Aber bei der Vendée Globe geht es nicht, da ist die Bedingung, dass man allein ist und alles allein macht. Wenn man teilnehmen will, muss man das akzeptieren. Auch, wenn man es wie ich schwer erträgt, allein mit einem Schiff auf dem Wasser zu sein und um mich herum niemand anders zu sehen. Das ist schon furchtbar, und ich werde vielleicht bei der nächsten Vendée Globe herausfinden, was gegen die Einsamkeit hilft. Ich habe es mit Telefonaten nach Hause versucht, mit dem Aufnehmen von Videos, die mir sehr geholfen haben, das Erlebte zu ordnen. Aber ich hatte auch Bücher dabei, gönnte mir ab und zu einen Schluck Wein oder Rum, was man halt so braucht, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn man allein ist.“

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… Emotionen, die rausmüssen: „Allein erlebt man die Emotionen an Bord viel intensiver. Während der Vendée Globe habe ich schreiend auf dem Boden gelegen und mit den Fäusten darauf herumgetrommelt, ich habe geweint und gejubelt. Wenn wir zu fünft das Ocean Race segeln, benehmen sich alle dagegen relativ gut und normal. Man will die anderen weder runterziehen noch nerven. Als ich allein unterwegs war, habe ich mich, wenigstens in den Grenzsituationen, selbst neu kennengelernt. Wenn es eigentlich nicht mehr weiterging, wenn ich dachte, das war es, zu spüren, dass da noch etwas ist, dass es doch weitergeht, war eine beeindruckende Erfahrung. Ich habe zum Glück nicht einmal darüber nachgedacht aufzugeben. Dieser mentale K. o. ist mir erspart geblieben. Zwei Schiffe mussten wegen technischer Schwierigkeiten zurück in den Starthafen fahren, was während der ersten zehn Tage der Vendée Globe erlaubt ist, und mussten dort von vorn beginnen. Das ist sehr zermürbend, wenn man sich so lange auf so ein Rennen vorbereitet hat.“

… die Vendée Globe, die härteste Einhandregatta der Welt, an der er eigentlich nur einmal in seinem Leben teilnehmen wollte: „Ich habe während der Vendée Globe mit befreundeten Seglern gesprochen, die schon mehrfach an der Regatta teilgenommen haben, und konnte es überhaupt nicht verstehen, dass sie das getan haben. Warum sollte man sich eine solche Tortur, 80 Tage in kompletter Einsamkeit, mehr als einmal im Leben antun? Ich hielt das für mich für ausgeschlossen. Aber meine Freunde haben mir gesagt: Warte mal, in dem Moment, in dem du über das Ziel fährst, stellt sich die Frage gar nicht mehr … Ich habe dann meine Frau gebeten, mich spätestens dann daran zu erinnern, dass ich nie wieder an der Vendée Globe teilnehmen will. Aber sie hat mich nicht davon abgehalten, es noch einmal zu tun, und ich kann mir inzwischen sogar vorstellen, mehrmals an der Regatta teilzunehmen. Der Reiz dieser Fahrt ins Ungewisse ist einfach enorm, auch wenn ich weiter großen Respekt davor habe.“

Boris Herrmann über seinen Unfall: „Langsam lässt Schmerz nach“

… seinen Unfall kurz vor dem Ende der Vendée Globe: „Ich merke zum Glück, dass der Schmerz langsam nachlässt, wenn ich an diesen Unfall denke. In den Wochen und Monaten danach ist es mir sehr schwergefallen, darüber zu sprechen. Ich hätte das Rennen zwar nicht mehr gewonnen, wäre ohne den Unfall so kurz vor dem Ziel aber höchstwahrscheinlich Zweiter geworden und hätte damit bei meiner ersten Teilnahme an der Vendée Globe, von der ich 15 Jahre lang geträumt und auf die ich hingearbeitet hatte, auf dem Podium gestanden. Ein zweiter Platz wäre etwas ganz Besonderes gewesen und hätte für mich einige Sachen anders sortiert: Ich weiß nicht, ob ich die Vendée Globe noch ein zweites Mal hätten fahren wollen, wenn ich auf Rang zwei gelandet wäre. Denn viel besser geht es ja nicht …

… Dabeisein, das für ihn nicht alles ist: „Es gibt explizit Teilnehmer, die aus reiner Abenteuerlust an der Vendée Globe dabei sind, die von Anfang an wissen, dass sie keine Chance haben zu gewinnen. So hat die Regatta 1989/90 angefangen, der erste Sieger war ein Künstler, Titouan Lamazou. Das ist heute ganz anders, die meisten Schiffe bereiten sich vor wie bei einer olympischen Segelregatta. Die Vendée Globe ist zwar ein großes Abenteuer geblieben, aber am Ende sind wir alle Rennsegler: Ich könnte mir nicht vorstellen, an der Regatta teilzunehmen, ohne um die vorderen Plätze mitzusegeln. Ich stelle es mir unheimlich schwer vor, diese enormen Anstrengungen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, wenn man nicht mal ansatzweise die Chance hat, vorn mit dabei zu sein. Das wäre nichts für mich. Wenn man exzellenten Sport macht, geht es immer ums Maximum, und wir haben jetzt durch die vielen Partner, die wir haben, auch eine viel größere Chance, bei der nächsten Vendée Globe ganz vorn mit dabei zu sein.“

Entscheider treffen Haider

… die „Malizia - Seaexplorer“, sein neues Schiff: „Unser Schiff ist das schnellste im Seegang, aber es nicht das schnellste bei flacher See. Das heißt, unser Erfolg hängt stark von den Wetterbedingungen ab. Wenn wir in längeres Hochdruckgebiet kommen, haben wir ein Problem. Wir haben das Schiff extrem für raue See und so konzipiert, dass es sehr robust ist, und wir haben uns dafür nur 18 Monate Zeit genommen, das hat es noch nie gegeben. Und ich hoffe sehr, dass wir das Schiff, irgendwann später an jemanden verkaufen können, der damit selbst an der Vendée Globe teilnimmt.“

Boris Herrmann berichtet von Erlebnis an einer Supermarkt-Kasse

… die extremste Situation, die er (an Land) erlebt hat: „Das war, als ich hier in Hamburg in einem Café saß und mich eine Frau aus England anrief, die dort an einer Kasse stand und sagte: ‚Meine Kreditkarte funktioniert nicht mehr, es wird höchste Zeit, dass das Gehalt für meinen Mann kommt.‘ Das war ein Bootsbauer, der für mich gearbeitet hatte und der offensichtlich sein Geld von einem unserer Partner nicht bekommen hatte. Das war in meinen Anfangszeiten, und wir waren so klamm, dass wir das nicht vorschießen konnten. Die Geschichte soll zeigen, dass nicht nur meine Erlebnisse auf dem Wasser extrem sind oder sein können, sondern dass es um viel mehr geht und dass auch die Herausforderungen an Land sehr groß sein können. Und sehr unangenehm.“

… sein Team, das inzwischen mehr als 30 Mitglieder hat: „Die Kampagne, an der wir jetzt arbeiten und die auf meine zweite Teilnahme an der Vendée Globe zusteuert, ist mit der ersten nicht zu vergleichen: die Gehälter auszuzahlen bei so einem großen Team, das Schiff ist neu, es wurde nach meinen Vorstellungen entwickelt. Wir gehören jetzt zu den zehn professionellsten Teams, die es auf dieser Welt gibt, entsprechend sind unsere Erwartungen, und entsprechend ist auch der Druck auf mich.“

Beim Ocean Race war ein Reporter an Bord, der nichts beschönigen sollte

… den Live-Reporter, der beim Ocean Race mitfährt: „Beim Ocean Race ist es seit gut zehn Jahren üblich, dass ein Onboard-Reporter mitfährt, der über alles berichtet, was während der Regatta passiert. Mir war wichtig, dass der wie ein Journalist arbeiten kann, also authentisch berichtet, wie es an Bord zugeht, ohne dass wir die Videos vorher freigeben. Die Menschen sollen die Chance haben, an unserem Abenteuer so teilzunehmen, wie es ist, ohne dass wir dabei etwas beschönigen. Wenn uns da draußen der Wind um die Ohren pfeift, wollen wir das am liebsten euch da draußen sofort erzählen. Das gibt uns Energie.“

… den Zusammenhang zwischen sportlichen Erfolgen und seinem Kampf gegen den Klimawandel: „Unsere sportlichen Ambitionen und unsere Klimabotschaft stehen vermeintlich in einem Widerspruch, und ich werde oft gefragt, ob ich mich nicht stärker auf den Klima-Aspekt konzentrieren will. Ich glaube, dass sich das eine von dem anderen nicht trennen lässt, was uns unter anderem Partner wie Hapag-Lloyd und Kuehne + Nagel widerspiegeln, die sich wahrscheinlich nicht an der Kampagne beteiligen würden, wenn es nur um den Sport ginge. Die Botschaft, die ich vermitteln möchte, dass wir das Rennen gegen den Klimawandel unbedingt gewinnen müssen, wird umso mehr gehört werden, je erfolgreicher ich bei den Regatten bin. Und es gibt Wissenschaftler, die uns gesagt haben: Alles, was ihr in eure Kampagne steckt, lohnt sich allein für die Messdaten, die ihr für die Klimaforschung dabei sammelt.“