Hamburg. Vom hochkarätigsten Dealer Hamburgs über „Dagobert“ und die Reemtsma-Entführung bis hin zu „Herbert, dem Säger“ – und natürlich G20.
Es war wie in einem Actionfilm, was sich im Frühjahr 1992 an der Straße Kleiner Schippsee in Harburg abspielte. Ein alter Ford raste die Straße hinab, dann auf den Bürgersteig an einer Hauswand entlang. Funken sprühten. Unter dem Fenster einer Wohnung im Hochparterre blieb der Wagen stehen. Dann sprangen Männer auf das Dach des Fahrzeugs. Ein Hüne von Kerl, Arbeitsname „Hunter“, schlug das Fenster ein. Von drinnen hörte man ängstliche Schreie – nein, eigentlich mehr ein Quieken. Dann hallten die Rufe „Polizei“ durch die Straße.
Es war einer der spektakulären Einsätze, die Hamburgs scheidender Polizeipräsident Ralf Martin Meyer in seiner 44-jährigen Karriere erlebte. Damals war er Einsatzführer beim Mobilen Einsatzkommando (MEK). Kurz nach der filmreifen Actionszene in Harburg wurde der Mann aus der Wohnung abgeführt. Es war Fari Öztürk, der wohl hochkarätigste Drogendealer, der jemals in Hamburg gefasst wurde.
Polizei Hamburg: Einsatz mit gutem Ende – wenn nicht der Wagen demoliert gewesen wäre
Meyer hatte, im langen Mantel, an der nächsten Straßenecke gestanden und die Aktion geleitet und beobachtet. Die Zielperson Öztürk wurde als Chef einer der kurdischen Heroinclans eingestuft und war nach Deutschland gekommen, weil es hier gerade nicht „rundlief“. Die Polizei hatte davon Wind bekommen und die Altbauwohnung lokalisiert.
Ein gutes Ende aus Sicht der Polizei, allerdings nicht ganz. Meyer erinnert sich: „Es gab danach Ärger, weil der Wagen ziemlich demoliert war.“ Gerade in seiner Zeit beim MEK, in dem er Anfang der 1990er-Jahre als Einsatzführer und von 1999 bis 2004 als Chef tätig war, fielen viele spektakuläre Einsätze.
Polizei Hamburg klärt Vergewaltigungsserie mit Lockvogel auf
Jetzt nimmt der Polizeipräsident seinen Abschied. Am Dienstag wird er von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) offiziell in der Akademie der Polizei verabschiedet. Anfang November übergibt er dann die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Falk Schnabel.
Auch andere Fälle sind Meyer im Gedächtnis. „In meine Zeit bei der Kripo fiel eine Vergewaltigungsserie am Tessenowweg in Winterhude.“ Zehn Frauen, die auf dem Weg zum in der Nähe befindlichen U-Bahnhof waren oder von dort kamen, waren Opfer von Täter André K. geworden. „Wir haben ihn dann durch einen Lockvogel geschnappt“, erinnert sich Meyer. Der „Lockvogel“ war eine Kollegin vom MEK.
Polizei Hamburg: Meyer auch bei Fall „Herbert, der Säger“ beteiligt
Auch der Mord an Geldverleiherin August N. konnte Meyer als junger Kripomann der Davidwache auf St. Pauli aufklären. Die Geldverleiherin war in der 1980er-Jahren auf der Reeperbahn mit einem Kuhfuß erschlagen worden. Es war ein Raubmord im Rahmen einer Einbruchsserie. Meyer und seine Kollegen fanden am Hans-Albers-Platz eine Tasche mit der Tatwaffe, dem Kuhfuß. Mit ihm hatte sich der Täter Zugang zu der Wohnung verschafft und auf die Frau eingeschlagen. Durch Werkzeugspuren am Tatport und Blut wurde der Kuhfuß der Tat zugeordnet.
Auch „Herbert, der Säger“ war ein Fall, bei dem Meyer als Einsatzführer des MEK dabei war. Der Täter, den man nie fassen konnte, hatte mit einem Trennjäger, einem Werkzeug zum Zerschneiden von Bahnschienen, Gleise beschädigt und so gezeigt, dass er Züge entgleisen lassen kann, aber auch in einem Schließfach im Bahnhof Harburg eine Bombe explodieren lassen und so die Bahn erpresst.
Geldübergaben scheiterten mehrmals, teils in kurioser Weise. So hielten andere Fahrgäste einen Kripobeamten fest, der Geld aus dem Zug werfen wollte, weil sie glaubten, dass der Mann sich aus dem fahrenden Zug in den Tod stürzen wollte. Dann eine Geldübergabe bei Unterlüß. MEK-Beamte sprangen aus dem noch fahrenden Zug. „Herbert, der Säger“ entkam nur ganz knapp auf einem Geländemotorrad. Er meldete sich nie wieder.
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Aber auch beim Kaufhauserpresser „Dagobert“, der von 1992 bis 1994 den Kaufhauskonzern Karstadt erpresste und schließlich in Berlin in einer Telefonzelle gefasst wurde, als er einen neuen Geldübergabeversuch einfädeln wollte, war Meyer dabei – ebenso wie bei der Entführung von Jan Philipp Reemtsma, der vor seinem Arbeitshaus in Blankenese abgefangen und 33 Tage in einem Keller gefangen gehalten wurde.
Über Teil des G20-Einsatzes ärgert sich Polizeipräsident Meyer bis heute
2002 war Meyer Leiter „Verfolgung“ bei der Entführung eines Busses, den ein damals 20-Jähriger am Bahnhof Veddel kaperte. Der Täter hatte den Fahrer und zwei Mädchen als Geiseln genommen und ließ sich Richtung Osten fahren. Auf der A24 bei Wittstock beendete das MEK die Entführung. Dort stieg die Autobahn an. Oben standen Polizeikräfte, die die Fahrbahn blockierten. „Es sah aus wie in einem amerikanischen Film“, erinnert sich Meyer. Ein Meer von Blaulicht. Da hat der Täter aufgegeben.
Man könnte fast endlos weitermachen. Entführungen, Erpressungen, Geiselnahmen. Fälle, die es seit Jahren in dieser Weise in Hamburg nicht mehr gibt. Dafür gibt es andere Einsätze. So wie 2017 der G20-Gipfel, als in der Schanze Krawallmacher von Dächern geholt werden mussten und in der Elbchaussee ein Mob Autos ansteckte. Es ärgert den Polizeipräsidenten Meyer noch heute, dass man dort damals die Situation nicht besser unter Kontrolle hatte.