Marseille. Marseille und Hamburg verbindet viel: jetzt auch eine ambitionierte Wissenschaftskooperation in der Antibiotika-Forschung.
Der Hamburger Phantomschmerz hat eine Adresse: 14 Promenade Georges Pompidou. Hier im Süden der Stadt bereitet sich Marseille auf die Olympischen Sommerspiele 2024 vor. Die Athletenunterkünfte sind fertig, im Kraftraum im Erdgeschoss trainieren schon Sportler für die Wettkämpfe im kommenden Jahr. Anderenorts wird noch gebaggert und gebaut, insgesamt auf vier Baustellen bereitet sich Marseille auf die Segelwettbewerbe vor. Am 8. Mai wird die olympische Flamme ihre Reise nach Paris in Marseille beginnen, Frankreichs ältester Stadt, die griechische Siedler vor 2600 Jahren gegründet haben.
Mit Begeisterung erzählt die Zweite Bürgermeisterin Michèle Rubirola vom olympischen Aufbruch: „Wir sind stolz, dass die Olympischen Spiele kommen.“ Die Fragen der Hamburger, deren Traum von Olympia im November 2015 an einer Volksabstimmung zerschellte, versteht sie kaum. Wie groß denn die Ablehnung sei? Wie harsch die Kritik am IOC? Wie kritisch die Bewohner? Rubirola erzählt von Anwohnern, die sich ärgern, dass ihr Zugang zum Meer wegen der Bauarbeiten und das Segeln beschränkt seien. Aber das große Dagegen blieb in Marseille aus.
Marseille: Bürgermeisterin sieht nur Chancen, die Olympia ermöglicht
Die Politikerin, die ihr Bürgermeisteramt mit ihrem Stellvertreter im Dezember 2020 aus gesundheitlichen Gründen getauscht hatte, spricht lieber von den Chancen für Marseille, die Impulse für Tourismus und Wirtschaft, über die beschleunigte ökologische Transformation, die Olympia ermöglicht, und Investitionen in Höhe von 44 Millionen Euro, wovon der Staat die Hälfte schultert.
Katharina Fegebank, die 2015 mit viel Energie für die Spiele in Hamburg gekämpft hatte, zeigt sich beeindruckt und wehmütig zugleich. „Mit einer positiven Grundeinstellung lässt sich viel erreichen“, sagt die Grünen-Politikerin. Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Malte Heyne fasst für viele das Gefühl der Hamburger Delegation zusammen: „Es tut immer noch weh.“ Aber Fegebank ist nicht nach Marseille gereist, um alte Wunden zu lecken, sondern um neue Möglichkeiten auszuloten. Dabei geht es um mehr als den Austausch von Grußadressen, Gastgeschenken und Freundlichkeiten.
Marseille und Hamburg verbindet viel: Hafen, HafenCity, ähnliche Probleme
Marseille und Hamburg verbindet viel: der Status der zweitgrößten Stadt des Landes, ein großer Hafen im Herzen der Stadt, ein großes Stadtentwicklungsprojekt wie die HafenCity beziehungsweise Euroméditerranée. Hier sollen insgesamt 40.000 Marseiller eine neue Wohnung finden. Auch die Probleme gleichen sich – etwa in der Verkehrspolitik, obwohl die Staus in Marseille um ein Vielfaches schlimmer sind als in Hamburg, beim Wohnungsmangel oder der Klimawandel sowie die ökologische Transformation. Rubirola spricht gar von „Zwillingen“: „Ich hoffe, dass Sie die Stadt besser kennenlernen.“ Die Beziehungen seien „alt, tief und vielfältig“. Am Donnerstagnachmittag sind sie noch etwas vielfältiger und tiefer geworden.
In der Universität der französischen Metropole vereinbaren die Partnerstädte eine Wissenschaftskooperation gegen Antibiotika-Resistenzen. Diese gelten als eine der großen Gefahren für die menschliche Gesundheit, die Folgen sind vergleichbar mit denen von Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen. Nach Schätzungen der WHO sterben jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika bei Infektionen nicht wirken.
Universität Aix-Marseille und Uni Hamburg arbeiten jetzt zusammen
Die Universität Aix-Marseille, die Universität Hamburg und das Hamburger Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie ITMP forschen und arbeiten nun zusammen. Die Wissenschaftler wollen innovative Methoden kombinieren und Therapieansätze entwickeln. Hamburg bringt seine Kompetenzen in der Antibiotika-Forschung ein, etwa bei der Suche nach neuen Wirkstoffen, der Entwicklung neuer Messmethoden und der Wirkweise der Antibiotika. Die Wissenschaftler in Marseille liefern ihr Fachwissen im Bereich der klinischen Mikrobiologie. Beide Städte setzen auf Wissenschaft und Life Sciences.
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„Es ist wichtig, dass Antibiotika in lebensbedrohlichen Situationen, wie beispielsweise bei einer Blutvergiftung, auch wirken“, sagt Wissenschaftssenatorin Fegebank. „Das erreichen wir zum einen, indem wir nur dann Antibiotika anwenden, wenn es auch wirklich nötig ist, und zum anderen, indem wir neue, wirksame Medikamente entwickeln.“ Prof. Norbert Ritter, der Dekan der MIN-Fakultät an der Universität Hamburg, stellt den Nutzen der Kooperation heraus: „Mit der Universität Aix-Marseille haben wir einen wissenschaftlich hoch renommierten Partner gefunden, mit dem wir in dem aktuell besonders relevanten Gebiet der Antibiotikaforschung zusammenarbeiten wollen.“
Hamburg und Marseille: Zusammenarbeit soll Austausch von Studenten fördern
Prof. Dr. Björn Windshügel vom Fraunhofer ITMP erhofft sich von der Kooperation die Entwicklung neuartiger Wirkstoffe, „die bakterielle Resistenzmechanismen ausschalten und somit die Wirkung von Antibiotika deutlich verbessern“. Die Zusammenarbeit soll der Austausch von Studenten und Doktoranden zwischen Hamburg und Marseille fördern, beispielsweise über eine Summer School 2024. Auch ein gemeinsames Labor ist in Planung. Internationale Kooperationen sind auch finanziell lukrativ – Fördergelder auf EU-Ebene fließen vorzugsweise in internationale Projekte.
Am Mittwochabend hatte die Delegation das Kulturzentrum La Friche la Belle de Mai besucht, das in den Gebäuden einer ehemaligen Tabakfabrik untergebracht ist. Auf 45.000 Quadratmetern erschließt sich den Besuchern eine Welt aus Theater, Tanz, Musik und Ausstellungen. Jährlich kommen mehr als 450.000 Menschen ins Kulturzentrum. Draußen locken Sportplätze und Gemeinschaftsgärten, im Gebäude finden sich ein Restaurant, eine Buchhandlung und eine Kindertagesstätte. 70 Organisationen, darunter das Goethe-Institut, sind am La Friche ansässig. Die 8000 Quadratmeter große Dachterrasse ist einer der In-Treffpunkte des multikulturellen Marseille. Fegebank sprach von „einem sehr besonderen Ort, der die ganze Vielfalt der Stadt einlädt und Zusammenhalt schafft“.