Hamburg. Die Asklepios Klinik St. Georg wird 200 Jahre alt – und steht wie viele Krankenhäuser in Deutschland vor massiven Herausforderungen.
Eine Klinik zu führen, ist in heutiger Zeit keine einfache Aufgabe. Groß sind die Verwerfungen im deutschen Krankenhauswesen, herausfordernd die Vorgaben der Politik, hoch die Erwartungen der Patienten. Und am Ende müssen auch die Beschäftigten ein vernünftiges Arbeitsklima vorfinden. Im Abendblatt-Interview erläutern Thomas Rupp, der Geschäftsführende Direktor, und die Ärztliche Direktorin Prof. Dr. med. Carolin Tonus, wie die Asklepios Klinik St. Georg in diesem Umfeld bestehen kann und warum hier, zwischen Steindamm und Alstervillen, auch nach 200 Jahren noch immer ein ganz besonderer Spirit herrscht
St. Georg war das erste städtische Krankenhaus in Hamburg
Sehr geehrte Frau Tonus, sehr geehrter Herr Rupp, was genau macht ein Geschäftsführender Direktor eines Krankenhauses, und warum sollte er oder sie ein Kaufmann sein und kein Mediziner?
Thomas Rupp: Historisch gesehen wurden Krankenhäuser auch kaufmännisch von Medizinern geleitet, und immer noch brauchen die Mediziner kaufmännischen Sachverstand - unsere Ärztliche Direktorin, die hier mit am Tisch sitzt, ist über den Asklepios-Aufsichtsrat in kaufmännische Prozesse involviert. Was meine Aufgabe angeht, haben Sie allerdings recht, ich bin in der Tat Kaufmann und kein Arzt. Und das ist auch sinnvoll. Die Abrechnungen von Krankenhausleistungen sind mittlerweile sehr komplex geworden, betriebswirtschaftlich wie juristisch. Wir organisieren medizinische Leistungen für rund 230 Millionen Euro pro Jahr.
Bitte nennen Sie uns ein paar weitere Eckdaten zur Asklepios Klinik St. Georg.
Rupp: Unser Gelände umfasst ca. 83.000 Quadratmeter. Wir beschäftigen 1950 Mitarbeiter, die direkt im Krankenhaus oder bei Servicegesellschaften angestellt sind. Damit sind wir schon ein großer Betrieb und werden im Krankenhausplan der Stadt Hamburg mit 651 Betten und 77 tagesklinischen Plätzen geführt. Wir haben im Jahr 20212 rund 22.00023.400 Patienten stationär und 4854.0300 Patienten ambulant behandelt.
Wenn man AK St. Georg sagt, dann stand das Kürzel AK früher für „Allgemeines Krankenhaus“, heute für „Asklepios Klinik“. Insofern ist es also richtig, wenn wir nicht mehr über „das“ AK St. Georg reden, sondern über „die“ AK St. Georg?
Prof. Dr. Carolin Tonus: Man muss „die“ sagen, richtig.
„Stolz darauf“: Patienten aus allen sozialen Schichten
Gut. Die AK St. Georg wird im Oktober 200 Jahre alt. Damals eröffnete das „Allgemeine Krankenhaus“ mit mehr als 1000 Betten für Angehörige aller sozialen Schichten. Sind Sie auch heute noch eine Klinik für alle?
Tonus: O ja, wir sind stolz darauf, dass wir den gesamten „Blumenstrauß“ bedienen, und zwar vom Hauptbahnhof kommend bis hin zu den Villen an der Alster. Dafür stehen wir. Das bedeutet leider auch, dass viele der von uns behandelten Patienten nicht über eine Krankenversicherung verfügen.
Machen Sie dann bei der Behandlung Unterschiede?
Tonus: Nein, das machen wir nicht. Ob man privatversichert ist, Kassenpatient oder unversichert, spielt für die medizinische Bewertung und Behandlung bei uns keine Rolle.
Rupp: Das kann ich nur bestätigen: Die medizinische Behandlung erfolgt immer unabhängig vom Versicherungsstatus – dies ist gesetzlich auch so vorgegeben. Jeder Patient bekommt die medizinische Leistung, die seine Krankheit erfordert. Bei den Komfortelementen wie der Zimmergröße oder einer besonderen Verpflegung – also der „Hotelkomponente“ – können sich Patienten natürlich schon Leistungen hinzubuchen.
Ist dieses Selbstverständnis von der „Klinik für alle“ in St. Georg ausgeprägter als anderswo?
Tonus: Ja. Ich habe das so noch nie erlebt, was aber auch an der Lage zwischen Steindamm und Alster liegt. Dieser Spirit ist dem Krankenhaus eingeimpft.
AK St. Georg: Große Erfolge in der Herz- und Gefäßmedizin
Wenn man St. Georg mit anderen Krankenhäusern im Verbund der Asklepios Kliniken vergleicht: Gibt es Abteilungen, die besonders hervorstechen?
Rupp: Ganz sicher ist das die Herz- und Gefäßmedizin, rund ein Drittel aller Krankenhausleistungen wird in diesen Fachabteilungen erbracht. Hier ergänzen sich interventionelle und operative Eingriffe. Ein weiterer großer Bereich ist die Notfallversorgung bei Unfällen, Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese Patienten werden in großer Zahl mit Notarztwagen oder mit Hubschraubern in die Klinik gebracht. Daher haben wir auch nachts zwei ärztlich besetzte Schockräume.
Was genau kann so ein Schockraum?
Rupp: Bei Schwerverletzten spricht man oft von einem sogenannten Polytrauma, weil multiple Verletzungen vorliegen, etwa nach einem Unfall. Und die können hier gleichzeitig von verschiedenen Spezialistenteams behandelt werden.
Gibt es noch mehr „Leuchttürme“?
Tonus: Eine lange Geschichte hat in diesem Krankenhaus die Krebsbehandlung in fast allen Organgebieten inklusive der Stammzelltherapie und der Bestrahlung von Tumoren – das ist wirklich Leuchtturmmedizin.
Rupp: Sehr gut aufgestellt sind wir auch bei der Behandlung von Schlaganfällen sowohl bei der akuten Behandlung als auch bei der rehabilitativen Versorgung – zum Teil über Monate hinweg. Und wenn sich bei einem Kranken irgendwann abzeichnet, dass sein Leben bald enden wird und ihm keine kurative Behandlung mehr helfen kann, dann sorgt unsere Palliativstation dafür, im würdigen Rahmen Leid, Angst und Schmerzen zu nehmen.
Wie gut gelingt es Ihnen, neue Mitarbeiter zu gewinnen? Der Fachkräftemangel betrifft ja auch Krankenhäuser stark.
Rupp: Bei Medizinern gelingt uns das recht gut, weil Hamburg und besonders unsere Klinik ein attraktiver Standort für sie ist. Schwieriger ist es bei den Pflegekräften und anderen Fachkräften in der Funktionspflege – beispielsweise im OP oder der Anästhesie. Hier ist die Konkurrenz zu anderen Kliniken oder Praxen groß und das Leben in der Stadt teuer. Die Diskussion „Vergütung schafft Arbeitskräfte“ greift bei 200.000 fehlenden Kräften in der Pflege zu kurz. Natürlich konkurrieren wir mit allen anderen Dienstleistungssektoren. Bei 1200 Euro Ausbildungsvergütung und ca. 3000 Euro nach bestandenem Examen kann sich das Einkommen in der Pflege durchaus sehen lassen.
Sind Sie dabei tarifgebunden?
Rupp: Ja, das sind wir.
Krankenkassenbeiträge müssen für die Gesellschaft noch bezahlbar bleiben. Zugleich sollen die elementaren Behandlungen finanziert werden. Wo gibt es aus Ihrer Sicht heute schon finanzielle Grenzen der Behandlung?
Rupp: Die ersten Babyboomer gehen in Rente, die Generation unserer Kinder wird weder anzahlmäßig noch finanziell ein System wie das derzeitige am Laufen halten können. Digitalisierung und Automatisation werden uns unterstützen – am Ende lebt Medizin jedoch von Begegnung, Kommunikation und Empathie. Wir werden einen gesellschaftlichen Konsens brauchen, der jeden Einwohner unseres Landes in die Verantwortung nimmt. Das Gesundheitssystem als Reparaturbetrieb hat ausgedient.
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Der Ökonom Bernd Raffelhüschen fordert, dass Kassenpatienten viel stärker in die Selbstbeteiligung einbezogen werden als bislang, nämlich mit bis zu 2000 Euro pro Jahr. Auch schlägt er vor, Risikozuschläge einzuführen, etwa für Menschen mit ungesundem Lebensstil oder gefährlichen Hobbies. Was halten Sie davon?
Tonus: Als Ärztin kann ich nicht vertreten, dass der Wohlstand eines Bürgers oder einer Bürgerin über seine Behandlungsmöglichkeit entscheidet. Der Zugang zu Gesundheitsleistungen muss allen Einwohnerinnen und Einwohnern gleichermaßen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig brauchen wir aber auch ein System mit mehr Eigenverantwortung. Wir benötigen Anreize, Vorsorgeangebote zu nutzen, sich gesund zu ernähren, den Konsum von Genussmitteln zu reduzieren und gefährliche Freizeitaktivitäten einzuschränken. Dies könnte beispielsweise durch eine entsprechende Besteuerung geschehen, die dem Gesundheitsfonds zugeführt wird. Zu überlegen ist auch, das System so auszurichten, dass Ärztinnen und Ärzte nicht ausschließlich für das Heilen von Krankheiten vergütet werden, sondern dafür, dass die Menschen durch eine gute Prävention gar nicht erst krank werden. In einigen Ländern gibt es so genannte Capitation-Modelle, die stärker auf diesen Gedankengang abzielen und auch Erfolge zeigen.
Und in den Kliniken bleibt alles wie es ist?
Tonus: Nein, denn es sollen ja durchaus Leistungen der Spitzenmedizin an Standorten konzentriert werden, das spart teure Vorhaltungen. Vor allem müsste aber das medizinische Personal mehr am Patienten und weniger am Computer arbeiten. Wir brauchen weniger Bürokratisierung und mehr künstliche Intelligenz. Das würde dazu führen, dass sich wieder mehr Absolventen für den einmaligen Beruf als Arzt oder Ärztin beziehungsweise für die Pflege- oder Pflegehilfsberufe entscheiden. Eine Rationierung von Gesundheitsleistungen muss die Ultima Ratio bleiben.
Wenn eine neue, teure Therapie vielversprechend ist, muss sie eingesetzt werden?
Rupp: Die Erkrankung entscheidet über die passende Behandlung, auch wenn beispielsweise eine Car-T-Zellen-Therapie gegen Krebs mehr als 300.000 Euro kostet. Andere europäische Länder haben heute schon Altersgrenzen für bestimmte Therapien eingeführt. Wenn dies bei uns kommt, müssten wir zukünftig überlegen, ob uns jetzt der Urlaub oder später eine Hüft-OP wichtiger ist.
Strukturreform: Kritik an den Plänen von Karl Lauterbach
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant eine große Krankenhausreform, die für viele Kliniken massive Veränderungen darstellt. Mit welchen Folgen für Hamburg und für Ihre eigene Klinik rechnen Sie?
Tonus: Lassen Sie mich das in meiner Funktion als Aufsichtsrätin der Asklepios Kliniken beantworten, denn das Thema ist stark politisch und ökonomisch geprägt. Richtig ist, dass eine bessere Planung von Krankenhausstandorten und Leistungsbereichen sowie die Reform der Krankenhausvergütung lange überfällig sind. Dies zeigen schon die zahlreichen Meldungen zu Verlusten, Insolvenzen und Schließungen von Kliniken in Deutschland. Dass es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt und wir in vielen Bereichen eine Überversorgung haben, steht ebenso außer Frage. Die Kernprobleme des Systems, die fehlende Investitionskostenfinanzierung, die überbordende Bürokratie, die mangelnde Digitalisierung und der Fachkräftemangel werden durch die Reform definitiv nicht wirksam angegangen.
Lauterbachs Pläne basieren auf Vorschlägen einer „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Hat diese Kommission aus Ihrer Sicht alle derzeit relevanten Probleme erkannt?
Tonus: Die geplante Reform geht das Überangebot an Versorgung nicht gezielt und mit einer klaren Strategie an, sondern zentralistisch und nach „Rasenmäherprinzip“. Die Kliniken sollen entsprechend ihrer aktuellen Leistungsangebote und Ausstattungen in verschiedene Level eingeteilt und auf dieser Basis in ihrer künftigen Leistung beschränkt werden. Das können die meisten Krankenhäuser der untersten Versorgungsstufe nicht lange leisten. Das Ergebnis ist eine ungeordnete Strukturbereinigung. Das kann niemand wollen. Wir müssen uns stärker mit der Frage beschäftigen, wo wir welche Versorgung brauchen und wie wir dahin kommen. Genau das tut der Reformentwurf jedoch nicht. Zur Expertenkommission: Außer Vertretern von einigen Universitätskliniken waren keine Krankenhäuser oder deren Verbände daran beteiligt. Es überrascht daher nicht, dass die Universitätskliniken bei der Reform am besten wegkommen, während andere Klinken scharf beschnitten werden sollen. Entsprechend regt sich der Widerstand und die Diskussion um Versorgungsstufen, Leistungsgruppen, aber auch Standorten hat deutlich Fahrt aufgenommen. Dabei ist deutlich geworden, dass eine Versorgungslandschaft in Hamburg oder Berlin anders geplant und bewertet werden muss als beispielsweise im dünn besiedelten Brandenburg.
Wie könnte das aussehen?
Tonus: Indem der Bund Leistungsgruppen definiert, zum Beispiel „Behandlung eines Schlaganfalls“ – die Länder aber nach Auswertung ihrer demographischen Daten und der versorgten Region die benötigte Anzahl von Standorten und die Verteilung in ihrem Bundesland festlegen.
Gibt es aktuell Pläne, das Krankenhaus in St. Georg zu modernisieren? Wenn ja: Was ist geplant und was wird es kosten?
Rupp: Modernisierungen finden selbstverständlich laufend statt. In den vergangenen rund 15 Jahren hat Asklepios einen hohen zweistelligen Millionenbetrag allein in St. Georg investiert: zum Beispiel in Neu- und Umbauten, in die Etablierung neuer medizinischer Versorgungsangebote und natürlich in Hightech-Medizingeräte. Aktuell gestalten wir die Notaufnahme um, damit die Abläufe dort flüssiger werden und die Krankenwagen von den Fußgängern getrennt werden, zudem wird dort eine Beobachtungsstation eingerichtet. Dafür bekommen wir 5 Millionen Euro von der Stadt, 2 Millionen Euro investieren wir aus Eigenmitteln. Und dann bauen wir ein neues Gebäude für eine Sterilgutaufbereitung. Daran ist noch ein OP-Saal der Intensivstation angeschlossen. Das alles wird 39 Millionen Euro kosten.
Tag der offenen Tür am 27. Mai – und ein Abendblatt-Magazin
Zum 200. Geburtstag der Asklepios Klinik St. Georg hat das Abendblatt ein 108-seitiges Magazin erstellt. Es ist für 9,50 Euro erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32) und im Buchhandel sowie auf abendblatt.de/shop. Tipp: Die Klinik in St. Georg lädt am 27. Mai von 13 bis 16 Uhr zum Tag der offenen Tür, Infos dazu unter asklepios.com