Hamburg. Am Wochenende wird in 16 Veranstaltungen jener Menschen gedacht, die von den Nazis verfolgt wurden. Darunter sind zwei Schachspielerinnen.

Am 3. Mai 1945 wurde Hamburg vom Nationalsozialismus befreit. An diesem Wochenende gedenken Hamburgerinnen und Hamburger im Rahmen des deutschlandweiten Projektes „Denk Mal Am Ort“ in Veranstaltungen, Vorträgen und Ausstellungen an 16 Orten in der Stadt Menschen, die dort gelebt oder gewirkt haben und von den Nationalsozialisten wegen ihrer politischen Überzeugungen und Aktivitäten, ihrer religiösen Zugehörigkeit oder einer Behinderung ausgegrenzt, entrechtet, verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

Historikerin schrieb 177 Porträts jüdischer Sportlerinnen und Sportler

Die Historikerin Frauke Steinhäuser hat die Geschichte der jüdischen Sportbewegung in Hamburg vor und während des Nationalsozialismus in ihrer Publikation „ ... bis zu ihrem freiwilligen Ausscheiden im April 1933“ im vergangenen Jahr auf 200 Seiten in 123 kürzeren und 54 ausführlicheren Biografien dokumentiert, mit Lebensläufen von Breiten- und Leistungssportlerinnen und -sportlern.

Im Eilbeker Vereinsheim des Hamburger Schachklubs von 1830 stellt Steinhäuser an diesem Sonntag (14 Uhr/Schellingstraße 41) exemplarisch das Schicksal der Schach spielenden Zwillinge Käthe und Wally Henschel vor, unterstützt von deren Großnichte, die von ihren Erinnerungen an die beiden erzählt.

HSV und FC St. Pauli haben ihre Geschichte professionell aufgearbeitet

Die schmerzhafte Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte sind bis heute wenige Hamburger Vereine professionell angegangen, darunter vorbildlich der Hamburger SV, der FC St. Pauli, der Eimsbütteler Turnverband (ETV) und der Hamburger Schachklub von 1830 (HSK). Einige andere, wie die HT 16 aus Hamm, der älteste Turnverein der Welt, haben einen Großteil ihrer Dokumente dem Hamburger Staatsarchiv übergeben.

Die Gleichschaltung des Sports hatte 1933 alle Vereine in Deutschland getroffen. Die Vorsitzenden, sie hatten der NSDAP anzugehören, hießen fortan Vereinsführer, langjährige jüdische Mitglieder mussten die Gemeinschaft umgehend verlassen, wurden zum Teil verschleppt und enteignet. Arbeitersportclubs wie Lorbeer 06 aus Rothenburgsort, für den Uwe Seelers Vater „Old“ Erwin stürmte, verboten die Nationalsozialisten wie auch konfessionelle Sportorganisationen.

Viele Hamburger Vereine handelten 1933 in vorauseilenden Gehorsam

Viele Vereine, schreibt Historikerin Steinhäuser, handelten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 in „vorauseilenden Gehorsam“. Sie nahmen keine Jüdinnen und Juden mehr auf, schlossen jüdische Mitglieder aktiv und rigoros aus – „obwohl der von Reichskanzler Adolf Hitler im April 1933 eingesetzte Reichssportkommissar und spätere Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten zunächst keine derartigen Anweisungen gab.“ Das änderte sich später. Festgelegt wurde anfangs nur, dass Jüdinnen und Juden keine leitenden Funktionen übernehmen durften, „zugleich überließ er aber ausdrücklich jedem Verband und jedem Verein selbst die Entscheidung über die Mitgliedschaft ,nichtarischer’ Sportlerinnen und Sportler.“

Der Segler Edgar Behr beispielsweise, deutscher Olympiateilnehmer 1932 in Los Angeles, dort Vierter in der Snowbird­regatta, musste erst 1938 den Norddeutschen Regattaverein verlassen, beim HSV erhielt der Jude Louis Cornfield noch 1935 eine Ehrennadel für 25 Jahre Mitgliedschaft. Der HSK wiederum legte im August 1933 seinen jüdischen Mitgliedern den „freiwilligen Austritt“ nah.

An der ehrlichen Aufarbeitung ihrer dunkelsten Kapitel waren nach dem Zweiten Weltkrieg – und dies bis heute – die wenigsten Vereine interessiert, weil es in vielen gesellschaftlichen Bereichen, auch im Sport, vor allem aber bis in die Spitzen von Politik und Wirtschaft, ungebrochene Traditionslinien und Kontinuitäten beim Personal gab. „Zugespitzt kann man behaupten: Ein Großteil derjenigen, die Deutschland zerstört haben, hat es auch wieder aufgebaut“, sagt der Hamburger Historiker Sven Fritz, der 2010 ein wissenschaftliches Gutachten zur Geschichte des ETV, gegründet 1889, vorgelegt hatte.

Die Zwillinge Käthe und Wally Henschel flohen 1939 zu ihrem Cousin in die USA

Vielen Sportlerinnen und Sportlern erging es wie Käthe und Wally Henschel, die 1893 in Hamburg geboren wurden. Wally Henschel, eine ausgebildete Opernsängerin, spielte 1930 während der Männer-Schach-Olympiade im Logenhaus an der Moorweidenstraße in Hamburg um die Frauen-Weltmeisterschaft, wurde überraschend Dritte und von der lokalen Presse enthusiastisch gefeiert. Als Einzige besiegte sie die tschechisch-britische Weltmeisterin Vera Menchik, Titelträgerin von 1927 bis zu ihrem Tod 1944.

Die Zwillinge mussten mit Beginn der NS-Diktatur „freiwillig“ den HSK verlassen, dem schon ihr Vater 1881 beigetreten war. 1938 entschlossen sie sich, in die USA zu fliehen, was ihnen nach Visaproblemen erst im Frühjahr 1939 gelang. Ihr Cousin aus New York bürgte für sie. Bei den US-Frauen-Meisterschaften wurde Käthe Henschel 1944 Dritte, ihre Schwester Vierte. Beide starben in Miami, Wally 1988, Käthe, die sich in den USA Kate nannte, 1991.

USA erteilten Einreisevisa nur bei verbürgter Übernahme aller Kosten

Juden konnten Deutschland bis 1939 unter Aufgabe ihres Vermögens noch relativ ungehindert verlassen, wenn sie ein Einreisevisum eines Gastlandes vorweisen konnten; die USA verlangten dafür allerdings eine vereidigte Versicherung eines Bürgen für die Übernahme aller Kosten. Die war ohne Verwandte kaum zu erhalten. Viele Botschaften wiesen die Bittsteller mit der bis heute gängigen Begründung ab: „Das Boot ist voll.“

Denk Mal Am Ort: 16 Veranstaltungen in Hamburg am Sonnabend (6. Mai) und Sonntag (7. Mai). Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen im Internet unter denkmalamort.de