Mit der Aufarbeitung der eigenen Verstrickung im Dritten Reich tun sich Sportfunktionäre schwer. So auch der Pferdesport. Jetzt wird klar: Viele führende Leistungsreiter waren SS-Mitglieder.
Hamburg. Hamburg rühmt sich zu Recht, Pferdesporthochburg zu sein. Großereignisse in Trab und Galopp, Vielseitigkeit, Spring- und Dressurreiten finden hier statt – und Tradition hat einen hohen Stellenwert. Gern wird erzählt, dass früher der Kaiser Stammgast beim Horner Derby war. Sobald im Mai das Deutsche Springderby vor der Tür steht, erinnern wir uns daran, dass der zu bewältigende Parcours in seiner Grundstruktur bereits im Jahre 1920 von Eduard F. Pulvermann ausgetüftelt wurde.
Weniger verbreitet ist, dass die Nationalsozialisten Pulvermann später als „Mischling erster Klasse“ verfolgten, weil jüdisches Blut durch die Adern seiner Großmutter floss. Sie steckten ihn 1943 ins KZ Neuengamme, wo sie ihn folterten, so dass er ein Jahr darauf im Alter von 61 Jahren starb. Heute erinnert an Pulvermann ein Stolperstein in der Eppendorfer Geffckenstraße vor dem Haus, in dem er einst wohnte.
Immerhin wird dieses Stück Geschichte zuweilen erwähnt, wie die hanseatische Reiterelite sich im sogenannten Dritten Reich verhielt indes nie. Kein seltenes Phänomen. Mit der Aufarbeitung eigener Verstrickung in den Nationalsozialismus taten sich Funktionäre vieler Sportarten schwer. Verdrängung schlug Vergangenheitsbewältigung. Kaum jemand mochte über die „schlimmen Jahre“ der Diktatur sprechen.
Viele wollten glaubhaft machen, Sportler hätten sich kollektiv in eine Art innere, politische Emigration begeben und nichts mitbekommen von Judenverfolgungen und anderen Verbrechen. Doch die Wahrheit kam nach und nach ans Licht. Heute gehört es in Vereinen wie Verbänden zu den Pflichtübungen, bei der Geschichtsschreibung nicht 1932 aufzuhören und 1946 wieder einzusteigen.
Zahlreiche Verflechtungen
Der Deutsche Fußball-Bund hatte in seiner Festschrift zum 100-jährigen Bestehen im Jahre 2000 die Zeit des Faschismus in beschwichtigender Weise abgehandelt und sah sich deshalb harscher Kritik ausgesetzt. Erst daraufhin öffnete der DFB Wissenschaftlern sein Archiv. Quasi im zweiten Anlauf gelang dann eine korrekte, selbstkritische Geschichtsschreibung.
So weit scheinen die Reiter noch nicht zu sein. Die Historikerin Nele Maya Fahnenbruck, selbst begeisterte Hobbyreiterin, beackerte jedenfalls weitgehend Neuland, als sie sich mit dieser Materie am Beispiel Hamburgs zu beschäftigen begann. Und sie wurde fündig, stieß auf zahlreiche Verflechtungen zwischen Faschisten und großbürgerlich bis nationalkonservativ ausgerichteten Reitvereinen. Ihre Erkenntnisse fasste Fahnenbruck in einer Dissertation zusammen, die sie wiederum in Buchform* veröffentlichte. Darin legt sie die Strukturen des hiesigen „Pferdesportnetzwerkes“ offen und kommt zu dem Ergebnis, „dass fast alle führenden Leistungsreiter in Hamburg Mitglieder der SS waren“.
Drei Beispiele:- SS-Standartenführer Kurt Becher gehörte dem Reitverein Rotherbaum und dem Hamburger Schleppjagdverein an, dessen Schatzmeister er nach dem Krieg wurde. Von 1934 bis 1937 führte Werner Lorenz den SS-Oberabschnitt Nordwest. Der Träger des „Deutschen Reitsportabzeichens“ gehörte laut Fahnenbruck zur hanseatischen Oberschicht mit „exzellenten Beziehungen“ zu einflussreichen Personen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.
Reiter waren nicht unpolitisch
SS-Hauptsturmführer Fritz Haerlin zählte „nicht nur in Hamburg, sondern reichsweit zu den erfolgreichsten Dressurreitern“. Haerlin gehörte der SS-Turniergemeinschaft der Reichsführung SS an. Er leitete damals (und noch bis 1972) das luxuriöse „Hotel Vier Jahreszeiten“ an der Binnenalster. Die Liste der Namen ließe sich fortführen. Die Deutung, wonach Reiter an Politik desinteressiert gewesen seien und lediglich ungestört ihrem Freizeitvergnügen nachgehen wollten, lässt sich nicht halten.
Ohnehin stellt sich bei derartigen Diskussionen stets die Frage, ob eine „unpolitische“ Haltung nicht die jeweiligen Machtstrukturen festigt und im selben Moment eben doch politisch wird. Die These vom Sport im politikfreien Raum ist gestrig. Der Kampf der Systeme – kapitalistisch organisierte, westliche Staaten gegen realsozialistische Staaten des Warschauer Pakts – wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbissen über sportliche Wettkämpfe ausgetragen.
Eine verdienstvolle Forschungsarbeit also, die Fahnenbruck vorlegte? Bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, der FN in Warendorf, machte sie sich mit der Publikation „… reitet für Deutschland“ nicht gerade beliebt. Der Dachverband reagierte leicht verschnupft. Speziell die Darstellung des Freiherrn Carl-Friedrich von Langen behagte ihnen nicht. Der Adelige gilt als deutscher Reitsportheld. Schließlich holte er die ersten olympischen Goldmedaillen für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. 1928 gewann er in Einzel- und Mannschaftsdressur.
Dreifaches Sieg-Heil auf den Führer ausgebracht
Allein dreimal triumphierte er im Springderby von Klein Flottbek und pflegte auch sonst Kontakte in die Hansestadt. So dirigierte er 1934 beim Turnier in Groß-Borstel einen 300 Mann starken Reitersturm und brachte ein „dreifaches Sieg-Heil auf den Führer aus“, wie die Fachzeitschrift „St. Georg“ damals berichtete.
Dass sich von Langen bereits kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler der SA anschloss und flugs zum Obersturmbannführer aufstieg, hat nach Auffassung der FN nichts zu bedeuten. Generalsekretär Lauterbach argumentiert, es entlaste von Langen, dass er an Gräueltaten der Nazis schon deshalb nicht beteiligt gewesen sein konnte, weil er bereits im Sommer 1934 verstarb – übrigens an den Folgen eines Reitunfalls. Pressesprecherin Susanne Hennig wirft der Hamburger Historikerin vor, den Beweis schuldig zu bleiben, dass von Langen ein Verfechter der Nazi-Ideologie gewesen sei. Tatsächlich existieren weder entsprechende Ton- noch Schriftdokumente.
Doch muss die FN-Funktionärin einräumen, dass von Langen „die Eingliederung der ländlichen Reitervereine in die SA energisch unterstützt“ habe. Abgesehen davon mutet die Vorstellung, der Rittmeister sei in die paramilitärische „Sturmabteilung“ der NSDAP eingetreten, ohne deren politische Gesinnung zu teilen, ziemlich verwegen an.
Schlussendlich übersieht Hennig geflissentlich, dass sie für ihre Behauptung, von Langen sei „unpolitisch“ gewesen und von den Nazis lediglich „vereinnahmt“ worden, weit weniger Belege zu präsentieren vermag als Fahnenbruck für das Gegenteil. Einiges spricht dafür, dass die FN die unbequeme Debatte so schnell nicht loswird. Ursprünglich hatte es die Wissenschaftlerin bei der Dissertation belassen und sich danach mit anderen Themen befassen wollen. „Aber ich stelle fest“, sagt Fahnenbruck, „dass es enorm spannend ist, zu untersuchen, wie die Geschichte nach der Befreiung vom Faschismus weiter gegangen ist, wie es früheren Nazis auch im Reitsport gelang, sich erneut Macht und Einfluss anzueignen.“
*Nele Maya Fahnenbruck: „… reitet für Deutschland“, Dissertation für die Uni Hamburg, Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 2013, 400 Seiten, 29,90 Euro