Hamburg. Überall in der Republik gehen Bauanträge zurück, die Firmen verschieben Projekte. Experten empfehlen, von Holland zu lernen.
„Wenn sich normale Menschen Mieten in den Städten nicht mehr leisten können, dann gerät der Zusammenhalt, das heißt auch die Demokratie in Gefahr.“ (Hans-Jochen Vogel)
In den Metropolen der Republik bahnt sich ein Desaster an – und schlimmer noch: Niemand weiß so recht, wie es zu verhindern ist. Der Wohnungsmangel, der gerade den Großstädten seit einem Jahrzehnt zunehmend zu schaffen macht, spitzt sich zu. Auf der einen Seite steigt die Nachfrage, auf der anderen wächst das Angebot viel zu langsam.
In Hamburg wurden im ersten Quartal gerade noch 1321 Wohnungen genehmigt, der niedrigste Wert seit Jahren und weit entfernt von der Zielzahl des Senats, die bei 10.000 im Jahr liegt. Die Bilanz im Bund fällt nicht besser aus. 400.000 Wohnungen, so versprach es die Ampel bei ihrem Start, sollten deutschlandweit gebaut werden. Im Jahr 2021 waren es nur 293.400 Wohnungen. Und glaubt man Axel Gedaschko, dem Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, werden es noch weniger.
Immobilien Hamburg: Am Markt braut sich der perfekte Sturm zusammen
2022 dürften es noch 280.000 Wohnungen gewesen sein. Und das Umfeld trübt sich weiter ein. „2023 rechne ich mit 250.000 bis 260.000 Fertigstellungen“, warnt der frühere Hamburger Wirtschaftssenator. „Wenn nichts Entscheidendes passiert, landen wir 2024 wahrscheinlich bei 215.000 bis 220.000.“
Dahinter stecken keine bösen Absichten der Wohnungsbauwirtschaft, sondern ein perfekter Sturm: Die Zinsen sind binnen weniger Monate rasant gestiegen. Ließ sich im Oktober 2020 ein Hypothekenzins von rund einem Prozent bei 15-jähriger Laufzeit verhandeln, sind es inzwischen rund vier Prozent. Zuletzt schien der Anstieg gestoppt, doch die Europäische Zentralbank dreht weiter an der Zinsschraube. Experten erwarten nach dem jüngsten Zinsschritt weitere Anpassungen nach oben – mindestens ein weiterer halber Prozentpunkt dürfte realistisch sein.
Der Traum vom Eigenheim ist kaum noch umzusetzen
In diesem Umfeld wird der Traum von den eigenen vier Wänden unerreichbar: Kreditvermittler berichten von einem Einbruch bei Ein- und Zweifamilienhäusern von rund 50 Prozent im vierten Quartal, bei Eigentumswohnungen sank das Kreditvolumen sogar um mehr als 60 Prozent. Auch die großen Investoren winken bei der Marktlage ab – zuletzt hatte Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia erklärt, Neubauten mit vertretbaren Mieten sind in der aktuellen Situation wirtschaftlich nicht mehr möglich. Für eine beispielhafte 60-Quadratmeter-Wohnung müssten statt wie bisher 240.000 Euro nun 300.000 Euro investiert werden. Deshalb hat sich das Unternehmen von Neubauvorhaben verabschiedet.
Was heute nicht begonnen wird, fehlt morgen. „Von der ersten Idee für ein Wohnprojekt bis zur Schlüsselübergabe dauert es in der Regel drei Jahre. Manchmal werden es auch sieben Jahre“, sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). „Den großen Einbruch werden wir also in zwei, drei Jahren erleben. Dann wird sich die aktuelle Bauzurückhaltung auswirken.“
Unter 5000 Euro pro Quadratmeter geht in Großstädten nichts mehr
Das Kieler Bauforschungsinstitut Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) fasst das Desaster in Zahlen: In deutschen Großstädten lässt sich unter 5000 Euro pro Quadratmeter nicht mehr bauen. Die Grundstückspreise liegen deutschlandweit pro Quadratmeter zwischen 357 und 3419 Euro (Median 908 Euro), hinzu kommen die Herstellungskosten, die zwischen 3001 und 7824 Euro schwanken, der Mittelwert liegt hier bei 4240 Euro. Im Klartext erfordert das Mietpreise im frei finanzierten Wohnungsbau von 17,50 bis 20 Euro. Kalt, wohlgemerkt. Für Durchschnittsverdiener kaum bezahlbar.
„Als ich vor einigen Monaten davon sprach, dass in Städten wie Hamburg bei Neubauprojekten eine monatliche Netto-Kaltmiete zwischen 17 und 18 Euro pro Quadratmeter genommen werden müssen, um wenigstens eine ‚schwarze Null‘ zu schreiben, hat mich mancher etwas schief angeschaut“, sagt Breitner. „Inzwischen ist diese Miethöhe Realität.“ Solche Preise könne eine Genossenschaft ihren Mitgliedern nur in Ausnahmefällen anbieten, etwa in der HafenCity. „Aber regelhaft so hohe Mieten nehmen? Das geht nicht.“
Kosten am Bau explodieren
Dafür verantwortlich sind Kostensteigerungen am Bau, die sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt haben. Gerade in den vergangenen Monaten liefen sie davon. Und ein größerer Preisrückgang scheint unrealistisch. Experten wie Breitner erwarten keine Entspannung: „Ich wäre schon froh, wenn die Preise nicht weiter so rasant steigen würden. Angesichts der anhaltend hohen Inflation habe ich da jedoch kaum Hoffnung.“ Denn Stahl und Zement sind energieintensive Rohstoffe. Und billige Energie gibt es seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr.
Der Krieg hat eine Flüchtlingswelle ausgelöst – bislang haben rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine Schutz in Deutschland gesucht. Auch die Asylbewerberzahlen steigen weiter – im ersten Quartal waren es 87.000 Asylanträge, 80 Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Menschen aufgenommen, sagt ARGE-Geschäftsführer Dietmar Walberg. Das sei mehr als 2015. Und diese Menschen benötigen Wohnungen.
Zuwanderung erhöht die Nachfrage
Kumuliert man die Zuwanderung aus dem Ausland über das gesamte zurückliegende Jahrzehnt, kommt man auf 5,8 Millionen Menschen, die unter dem Strich zusätzlich ins Land gekommen sind. Zum Vergleich: Im Jahrzehnt zuvor lag der Wanderungsgewinn bei rund 1,6 Millionen Menschen. Es verwundert, dass dieser Aspekt – wie viele Menschen das Land noch unterbringen kann – in der derzeitigen Debatte gar keine Rolle spielt.
Die Nachfrage steigt, das Angebot wächst viel zu langsam. Die Gemengelage ist fatal. „Diese Mischung hat es noch nie gegeben“, sagt Walberg. Denn gebaut wird nur noch, was längst angefangen wurde. Das ifo-Institut konstatiert; „Infolge der rasant gestiegenen Baukosten und der höheren Finanzierungszinsen rentieren sich viele Wohnungsbauprojekte nicht mehr, werden verschoben oder ganz gestrichen. Das Neugeschäft bricht förmlich ein.“ Walberg sagt, von dem sogenannten Bauüberhang von 900.000 bereits genehmigten Wohnungen wurden rund 40 Prozent noch nicht einmal begonnen. Und keiner weiß, ob sich daran schnell etwas ändert.
Baubranche in Schockstarre
Die Branche steht unter Schockstarre – mit weiteren fatalen Folgen. Wegen der wegbrechenden Aufträge geraten nun viele Betriebe, die bis vor kurzer Zeit blendend verdient haben, unter Druck. Die ersten Firmen haben Kurzarbeit angemeldet. „Die Investitionen gehen zurück, es werden Firmen schließen müssen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass der Abbau sechsmal so schnell geht wie der Aufbau. Ich fürchte eine lawinenartige Entwicklung.“ Auch wenn der Markt sich wieder normalisiert, könnte es dann an Kapazitäten fehlen. Walbergs Resümee: „Das ganze System Wohnungsbau steht vor einer Krise.“
Da hilft es wenig, dass in der Hansestadt die Situation noch etwas besser ist als anderswo. „Im Vergleich zu den anderen größten Städten schlägt sich Hamburg ganz gut“, sagt Matthias Günther, Vorstand des Pestel-Instituts, einer Forschungseinrichtung, die die Zukunft in den Blick nimmt. „Trotzdem fehlen gegenwärtig nach unserer Einschätzung in Hamburg rund 25.000 Wohnungen.“
Flüchtlingskrise wirkt sich auch am Wohnungsmarkt aus
Auch an der Elbe wächst die Nachfrage, steigt der Druck vor allem durch Migration. Rund 40.000 Ukrainer haben seit Ausbruch des Krieges Zuflucht gesucht; und neue Flüchtlinge kommen hinzu. Die Bevölkerungsanteile verändern sich – seit 2016 verlassen mehr Deutsche die Stadt, als hinzuziehen. Und dieser Trend beschleunigt sich: Gab es 2015 noch einen Wanderungsgewinn von 426 Deutschen, lag dieses Minus 2020 bei 6000 Menschen.
Überkompensiert werden diese Verluste durch Zuwanderung aus dem Ausland: 2015 und 2016 betrug der Wanderungsgewinn wegen der Flüchtlingskrise jeweils mehr als 20.000, danach sank er auf rund 10.000 im Jahr 2020. Nun steigt diese Zahl wieder deutlich.
Dramatischer Einbruch bei Eigenheimen
Dabei wirkt die demografische Alterung prinzipiell positiv: „Da sich gegenwärtig die Kinder der geburtenschwachen Jahrgänge in der Haushaltsbildungsphase befinden und in einer alternden Gesellschaft über mehr Sterbefälle auch mehr Wohnungen frei werden, hatten wir bereits in den Jahren 2020 und 2021 eine deutliche demografische Entlastung der Wohnungsmärkte gespürt“, sagt Matthias Günther, Sprecher des Pestel-Instituts. „Dies war dann 2022 wieder hinweggefegt. Wann die Zuwanderungen wieder spürbar sinken, wissen wir nicht, es ist aber zentral für den Rückgang des Wohnungsbedarfs.“
Also muss mehr gebaut werden, aber das funktioniert nicht: Zwar sind die Baugenehmigungen immer noch auf dem Niveau des Jahres 2019, sagt Günther. Aber nicht alles, was genehmigt wird, wird auch gebaut. „Der schärfste Einbruch ist bundesweit bei den Ein- und Zweifamilienhäusern zu erkennen, weil viele potenzielle Bauherren die Finanzierung nicht mehr bekommen“, so Günther.
Von 2024 an wird es richtig dramatisch
Er erwartet größere Probleme bei den Fertigstellungen erst ab 2024. „Dies hat dann aber weniger mit der Stadt Hamburg zu tun. Baupreise und Zinsen sorgen gegenwärtig dafür, dass die notwendigen Miet- und Kaufpreise im Neubau am Markt oft nicht mehr durchsetzbar sind und deshalb kein Neubau erfolgt. Da die Förderung des sozialen Wohnungsbaus seitens des Bundes unzureichend erhöht wurde, ist dadurch keine Entlastung zu erwarten.“
Branchenverbände rechnen vor, dass bis 2025 rund 50 Milliarden Euro notwendig sind, um 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr bundesweit zu bauen. Bislang plant die Ampel aber nur 14,5 Milliarden Euro zwischen 2022 und 2026 ein. Die Länder werden diesen Fehlbetrag kaum stemmen können. „Wir haben erst mal in der Nachkriegsgeschichte eine starke Migration bei rückläufigem Wohnungsbau. Und dies in einer Phase, wo die Babyboomer vor dem Wechsel ins Ruhestandsalter stehen“, fasst Günther das Problem zusammen.
Klimaschutz verteuert das Bauen
Deshalb richtet er seinen Blick auf andere Zusammenhänge: „Die Frage ist neben der Ausweitung des Wohnungsbaus auch, inwieweit wir den vorhandenen Wohnraum intensiver nutzen können. Bei insgesamt rund 47 m² Wohnfläche je Einwohner sollte da etwas möglich sein.“
Allerdings verhindert die Marktentwicklung auch hier Lösungen: Viele Senioren ziehen aus ihren Wohnungen nicht aus, weil sie dann für eine neue, kleinere Wohnung mehr Geld bezahlen müssten. Hier wirken sich die jüngsten Klimaschutzbeschlüsse negativ aus. „Die neuen Anforderungen und Sanierungspflichten bei Gebäuden beschäftigen die Kaufinteressenten zunehmend und verlängern die Vermittlung von Immobilien“, berichtet Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter beim Makler Von Poll.
- Klimafreundlicher Neubau: Fördertopf des Bundes fast leer
- Sanierungszwang: Strafen können bis zu 50.000 Euro hoch sein
- Verbände schlagen Alarm: Wohnungsneubau vor dem Kollaps
Ältere Bestandsbauten mit geringer Energieeffizienz hätten es zunehmend schwer. „Wir beobachten eine rückläufige Nachfrage in diesem Segment, auch weil die Kosten für Sanierungen wegen gestiegener Handwerkerpreise und Lieferkettenproblematiken schwer kalkulierbar sind.“ Gerade bei sanierungsbedürftigen Häusern mit großen Grundstücken in B- und C-Lagen fielen die Preise teils zwischen 10 Prozent und 30 Prozent.
Experten nehmen die Politik in die Pflicht, der darbenden Branche nicht noch weitere Mühlsteine umzuhängen. So hat das Hickhack um die KfW-55-Förderung die Branche erschüttert. „Die Organisation der Energiewende muss endlich in kompetente Hände gelegt werden. Erst das Chaos bei der KfW-Förderung, dann die handwerklichen Fehler bei der Organisation der Energiewende – so stümperhaft kann die wichtigste Zukunftsfrage nicht angegangen werden“, zürnt Breitner, früher SPD-Minister. „Avanti Dilettanti! Ideologie, Verunsicherung, Unzuverlässigkeit und Misstrauen sind keine Grundlage für Investitionen.“
Ärger über den Kompromiss mit den Volksinitiativen
Hinzu kommt: In der Hansestadt ärgern sich viele Projektentwickler und Genossenschaften über den Kompromiss mit den Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“, der Investitionen erschwere. Auch die Bürokratie bremst. „Bei den Baukosten haben auch immer weiter verschärfte Anforderungen an den Steigerungen mitgewirkt“, sagt Günther.
„Fehlendes Personal in den Kommunen und teils ambitionierte Anforderung über die B-Pläne tragen teils auch zu nicht notwendigen Kosten bei. Das Bauen im Bestand könnte weiterhelfen, wenn ernsthaft ein Abbau der Hemmnisse angegangen würde. Nur von den Möglichkeiten des Bauens im Bestand zu schwärmen, reicht nicht aus.“
Bis zu 2,5 Millionen neue Wohnungen durch Aufstockungen?
Zwar gibt es Schätzungen, wonach durch Aufstockungen in Deutschland bis zu 2,5 Millionen Wohnungen zusätzlich gebaut werden könnten. Doch der Teufel steckt im Detail. Beim Wohnungsbautag Ende April verwies Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), auf Normen, die von Bundesland zu Bundesland variieren: Es gibt 16 Landesbauordnungen mit unterschiedlichen Anforderungen.
In Hessen etwa müssen Geländer zehn Zentimeter höher sein als im Nachbarland. „Warum ein Baden-Württemberger schneller von der Treppe fällt als ein Hesse, erschließt sich mir nicht“, wundert sich Salewski. Städte und Gemeinden haben nach einer Untersuchung der ARGE jeden Quadratmeter neu gebauter Wohnfläche durch Auflagen vor Ort um 170 Euro verteuert. Der Bund hat durch technische und energetische Auflagen einen Kostenanstieg von 400 Euro pro Quadratmeter verursacht. Walberg sagt: „Wir müssen ohne Tabus über Standardsenkungen sprechen.“
Experten empfehlen, von Holland zu lernen
Auch Axel Gedaschko empfahl im Abendblatt-Podcast das Absenken von Standards: „Warum sind bei uns beispielsweise Geschossdecken so dick? Die Holländer bauen mit der halben Stärke Decken und Wände. Und trotzdem brechen dort die Häuser nicht zusammen.“ Die Niederländer hätten zudem ihr Baurecht entrümpelt, um Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Andreas Breitner bemängelt, dass die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei den Bezirken noch nicht angekommen sind. „Da wird nach wie vor gefordert, was wünschenswert ist und was man in Zeiten, in denen Geld noch „nichts kostete“, umsetzen konnte. Aber jetzt ist das nicht mehr bezahlbar.“
Immobilien Hamburg: 43 Prozent der Unternehmen wollen nicht mehr neu bauen
Das Problem in Deutschland: Die Standardanforderungen sind inzwischen so hoch, als würden Luxuswohnungen errichtet. Wenn Märkte und Politik so weitermachen, sind andere Wohnungen bald auch nicht mehr möglich. In einer Umfrage sagten zuletzt 43 Prozent der Unternehmen, sie wollten nicht mehr neu bauen.
Wohin das führt, hat Hans-Jochen Vogel beschrieben. Siehe oben.