Hamburg. Dramatischer Anstieg zwischen 2020 und 2022. Insgesamt wurden Bußgelder in Höhe von 287.000 Euro verhängt.
Mal ein paar Unterrichtsstunden fehlen oder den Sommerurlaub um ein, zwei Tage in das Schuljahr hinein verlängern, weil die Flüge dann günstiger sind – das Schulschwänzen gilt manchen beinahe als eine Art Kavaliersdelikt. Dabei handelt es sich bei dem Schulabsentismus, wie das unentschuldigte Fehlen in der Schule unter Pädagogen heißt, um ein ernstes, wenn auch etwas verdrängtes Problem. „Jeder Schultag zählt“ heißt ein Projekt der Schulbehörde, in dessen Verlauf die vier teilnehmenden Schulen die Schulschwänzer-Quote deutlich senken konnten.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Bedeutung des Schulabsentismus in den vergangenen Jahren zugenommen hat. In seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktionsvorsitzenden Sabine Boeddinghaus teilt der Senat mit, dass die Zahl der von den Schulen an die Rechtsabteilung der Schulbehörde gemeldeten Schulpflichtverletzungen deutlich angestiegen ist. Waren es 2020 noch 1226 Meldungen, so stieg deren Zahl über 1464 (2021) auf 2067 im vergangenen Jahr. Das entspricht einem Anstieg um 68,6 Prozent von 2020 bis 2022.
Schule Hamburg: Wer mindestens drei Tage fehlt, gilt als „Schwänzer“
Wie lang die Schülerinnen und Schüler den Unterricht versäumten und wie viele Wiederholungsfälle es gab, ergibt sich aus den Zahlen nicht. Doch es handelt sich um „anhaltende“ Schulpflichtverletzungen, die in der Regel zu Sanktionen führen. Unter „anhaltend“ wird in der Behörden-Richtlinie zum Schulabsentismus unentschuldigtes Fehlen an mindestens drei Tagen oder 20 Unterrichtsstunden verstanden, auch unzusammenhängend über einen Zeitraum von einem Monat plus sechs Wochen erfolgloser Intervention.
- Ehemaliger Hamburger Uni-Präsident: Schulstart um 9 Uhr wäre ideal
- Schule Hamburg: Ein Coach, auf Augenhöhe mit den Schülern
- Als Schulschwänzen 10 Milliarden kostete- Bildung als Luxus
„Ein Bußgeldverfahren ist zwar die häufigste, aber nicht die einzig mögliche Maßnahme“, heißt es in der Senatsantwort, die dem Abendblatt vorliegt. Danach stieg die Zahl der verhängten Bußgelder von 816 Fällen (2020) über 1112 (2021) auf 1430 Fälle im vergangenen Jahr. Das bedeutet eine Steigerung um 75,2 Prozent. Im Dreijahreszeitraum führten 70,5 Prozent der Meldungen über Schulpflichtverletzungen zu einem Bußgeldverfahren.
2022 wurden Bußgelder in Höhe 287.650 Euro verhängt – nur 30 Prozent bezahlt
Allein für das Jahr 2022 summieren sich die verhängten Bußgelder auf 287.650 Euro, wobei der niedrigste Einzelbetrag 75 Euro und der höchste 400 Euro beträgt. Auf den ersten Blick ist die Zahlungsmoral der Erziehungsberechtigten erschütternd: Von den 287.500 Euro sind bislang nur 86.475 Euro an die Kasse.Hamburg überwiesen worden – 30 Prozent. Doch der Senat weist in seiner Antwort auf Folgendes hin: „Nicht alle Bußgeldverfahren werden durch Zahlung erledigt. Bei Bußgeldverfahren gegen Jugendliche kann die Bußgeldforderung bei Nichtzahlung auch in eine Arbeitsauflage oder Schulweisung umgewandelt werden oder in Arrest münden.“
Immerhin: Parallel zum Anstieg der Bußgeldverfahren hat auch die Zahl der verhängten Zwangsgelder zugenommen, mit denen die behördlichen Forderungen durchgesetzt werden sollen: von 23 Verfahren im Jahr 2020 über 87 (2021) auf 133 Verfahren 2022. Wenn alle Stricke reißen und keine mildere Maßnahme zum Erfolg geführt hat, dann kommt in seltenen Fällen auch die härteste Sanktion für fortgesetztes Schulschwänzen in Betracht: der Jugendarrest. Wurden im Schuljahr 2019/20 noch 29 Jugendarreste vollstreckt, sank deren Zahl 2020/21 auf 21 und stieg 2021/22 auf 27 an. Dieser Wert wurde im laufenden Schuljahr bereits Ende März erreicht, dreieinhalb Monate vor Ende des Schuljahres.
An Schulen in sozial schwieriger Lage ist das Problem am größten
Das Problem des Schulschwänzens weist eine soziale Schieflage auf: Mehr als die Hälfte der 2022 gemeldeten Schulpflichtverletzungen – 1056 Fälle oder 51,1 Prozent – entfielen auf Schulen mit dem Sozialindex 1 oder 2, die in sozial besonders belasteten Gebieten liegen. Dabei machen die Standorte dieser beiden Gruppen nur einen Anteil von 24,5 Prozent aller Schulen aus. Überproportional betroffen sind die Stadtteilschulen: 1211 der 2022 gemeldeten Schulpflichtverletzungen entfielen auf diese Schulform – das entspricht 58,6 Prozent aller Fälle.
„Auffällig ist, dass die behördlichen Maßnahmen in armen Stadtteilen wie Billstedt, Harburg, Neuallermöhe und Wilhelmsburg deutlich häufiger vorkommen“, sagt Sabine Boeddinghaus. Die schulpolitische Sprecherin der Linken-Bürgerschaftsfraktion wendet sich gegen harte Sanktionen. „Wir brauchen Pädagogik statt Rohrstock! Es ist nicht zumutbar, dass Schüler und Schülerinnen für Schuleschwänzen in den Knast gesteckt werden“, sagt Boeddinghaus. „Die Schulbehörde muss die Daumenschrauben beiseite legen und endlich Schritte für ein inklusives Schulsystem erarbeiten, das den Bedürfnissen der jungen Menschen gerecht wird“, sagt Linken-Fraktionschefin.
Schule Hamburg: Projekt „Jeder Schultag zählt“ senkt die Schulschwänzer-Quote
Die Schulbehörde sieht als eine Ursache für den deutlichen Anstieg der Schulpflichtverletzungen, dass die Schulen während der Corona-Pandemie weniger Fälle gemeldet hätten. Zudem hätten weniger oder gar keine Klassenreisen stattgefunden, und es sei insgesamt weniger gereist worden, so dass kaum unberechtigte Ferienverlängerungen stattgefunden hätten. Allerdings machen diese Verstöße nur einen geringen Teil der Schulpflichtverletzungen aus. „In die Zahlen für 2022 spielen auch die stark gestiegenen Schülerzahlen hinein“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht.
Das Projekt „Jeder Schultag zählt“ soll Schule machen. „Die zentralen Ergebnisse fließen in die Richtlinie und Handreichung… zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen ein, die derzeit überarbeitet werden“, heißt es in der Senatsantwort. Die vier Schulen hatten unter anderem die Anwesenheit aller Schülerinnen und Schüler konsequent dokumentiert, um bei Fehlzeiten zeitnah reagieren und die Eltern informieren zu können. Zum Teil wurde der Tagesrhythmus von 45- auf 60-Minuten-Unterrichtsstunden verändert, um Schülern den Zugang zu erleichtern. Die Schulgemeinschaften haben zudem Aufenthaltsräume und Pausenhöfe umgestaltet, um die Identifikation der Schüler mit der Schule zu steigern.