Buxtehude. Unser Redakteur hat einen lungenkranken Sohn. So wirkt sich der Medikamentenmangel auf den Familienalltag aus.

„Versuchen Sie es mal in Buchholz“, sagt die Buxtehuder Apothekerin am Telefon. Aber weder im 30 Kilometer entfernten Buchholz noch im Nebenort Neu Wulmstorf – und auch nicht in Ueckermünde (Mecklenburg-Vorpommern) an der polnischen Grenze ist das verschriebene Antibiotikum für meinen lungenkranken Sohn zu bekommen.

Zu wenig Medikamente für Kinder: Familie hilft bei der Jagd

Aus Gesprächen weiß ich, dass wir nicht die einzigen Eltern sind, die Familienmitglieder oder Freunde von außerhalb für die Jagd auf Kindermedikamente einspannen. Weil das Problem kein lokales ist und sich auszubreiten scheint, dürfte solche Versuche häufiger werden und gleichzeitig immer seltener von Erfolg gekrönt sein.

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„Pech gehabt“, habe ich beim ersten Mal gedacht, als ich vor einigen Monaten trotz Rezeptes mit leeren Händen aus einer Apotheke kam. Und das Medikament einfach aus einer der anderen acht Apotheken in Buxtehude besorgt.

Mittlerweile ist diese Situation eher die Regel als die Ausnahme. „Was – im Nebenort gibt es noch Salbutamol-Flaschen und Cortison-Spray? Sofort hin da, bevor alle weg sind.“ Solche Gedanken sind immer wieder Alltag für mich und meine Frau als Eltern eines dauerkranken Babys. Wie ich im Fall eines Antibiotikums (Cefixim) erleben musste, sind einzelne Arzneimittel gar nicht mehr aufzutreiben.

Mit dem Ende der Vorräte kommt die Angst

Mein Sohn ist knapp ein Jahr alt und braucht diese Medikamente. Seit er unter schwierigen Bedingungen mit einem undichten Lungenfell auf die Welt kam, macht ihm die Atmung schwer zu schaffen. Jede Erkältung wirft ihn aus der Bahn. Schwerere Erreger erst recht. Nach Corona, RSV und Metapneumovirus und fünf Notfall-Klinikbesuchen allein seit Herbst schlug ihm kürzlich ein neuer Infekt auf die Lunge.

Bisher hatten wir Glück. In schlimmen Krankheitsphasen waren unsere Vorräte mit Inhalationstropfen voll. Oder Freunde konnten uns mit Resten aushelfen. Und auch ein weniger zielgerichtetes Breitbandantibiotikum hat bei meinem Sohn angeschlagen. Das ist nicht immer der Fall.

Bei jeder Flasche und jeder Medikamentenverpackung, die sich dem Ende zuneigt, macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Finden wir noch einmal eine Apotheke, die das Mittel auftreiben kann? Gibt es eine Alternative? Oder müssen wir direkt ins Krankenhaus düsen?

Kinderärztin: „So etwas habe ich noch nicht erlebt“

Fragen, auf die unsere Kinderärztin und ihr Team den ganzen Tag Antworten finden müssen. Dr. Sabine Linne ist seit fast 30 Jahren mit ihrer Praxis in der Buxtehuder Innenstadt ansässig. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt sie mir. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir in Deutschland einmal in so eine Mangelsituation kommen würden“.

Ihr und den Patienten macht gerade zu schaffen, dass zunehmend Antibiotika fehlen. „Das ist eine fürchterliche Situation – und sie spitzt sich zu“, so die Medizinerin. Nachdem im Herbst und Winter insbesondere Fiebersäfte und Schmerzmittel für Kinder fehlten, sind jetzt die Wirkstoffe gegen ernstzunehmende Erkrankungen wie Scharlach oder Streptokokken knapp. Bakterielle Infekte, die sich ohne gezielte wirkende Antibiotika wie Penizillin wesentlich schlechter behandeln lassen, und die sich gerade ausbreiten.

Suchen, Rechnen, Rationieren: Betroffene müssen improvisieren

„Da habe selbst ich als alter Hase manchmal mit der Angst zu kämpfen“, sagt Sabine Linne. Eine „leitliniengerechter Therapie“ sei in vielen Fällen nicht mehr möglich. Was ihr, den Apothekern, uns und allen anderen betroffenen Eltern bleibt, ist zu improvisieren. Sabine Linne nennt es „Erfindergeist“, der sie durch den Alltag bringe. So sucht sie fortwährend nach Alternativmitteln, rechnet Dosen von Erwachsenenarznei für Kinder um, rationiert Medikamente für schwere Fälle. Und immer wieder hält sie Rücksprache mit Eltern und Apothekern.

Dinge, die zuvor nicht notwendig waren und die die ohnehin knapp bemessene Zeit der Kinderärzte frisst. Denn zusätzlich zu den Engpässen habe sich die Zahl der Patientenbesuche seit Wegfall der Maskenpflicht in ihrer Praxis verdoppelt.

Maßnahmen und Gesetze haben keinen keinen spürbaren Effekt

Der Medikamentenmangel insbesondere bei der Kinderarznei ist seit Monaten bekannt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Maßnahmen ergriffen und Gesetze erlassen. Für Buxtehude und Umgebung kann ich als betroffenes Elternteil aber sagen: Sie haben keinen spürbaren Effekt.

Die jüngsten Aussagen der Apothekerkammer Hamburg, des Apothekerverbands Schleswig-Holstein und vieler anderer Stellen legen nahe, dass sich Versorgungslage eher verschlechtert.

Apotheker fühlt sich von Politik und Krankenkassen im Stich gelassen

„Das Thema wird von der Politik ignoriert“, findet Alexander Stüwe, Apotheker in Buxtehude. Rund 500 Medikamente zeige sein Bestellsystem derzeit als „nicht lieferbar“ an. Im Normalfall sind es um die 20. Stüwe, der die Brückenapotheke in der Buxtehuder Innenstadt betreibt, sagt: „Manchmal kommt stückweise doch noch Ware rein, warum und wann, kann ich nicht nachvollziehen.“

In seinem Labor kann er auf eigene Faust Medikamente herstellen oder Tabletten zu Saft umarbeiten. Das tue er in einigen Fällen, doch solche Maßnahmen kosteten mehrere Stunden Arbeit. Die Krankenkassen zahlten dafür nichts, die Politik registriere solche Vorgänge gar nicht erst. Er ist selbst Vater und spricht mir aus der Seele, wenn er sagt: „Wenn man ein krankes Kind auf dem Arm hält, will man nicht von Pontius zu Pilatus rennen müssen, um an das Medikament zu kommen.“

Politik und Wirtschaft müssen mehr tun!

Ob die Krise auf die Sparpolitik der Politik und Krankenkassen, gestörte Lieferketten, eine große Krankheitswelle, auf alles zusammen oder andere Gründe zurückgeht, ist mir als Vater egal. Ich erwarte, dass Politik, Wirtschaft, und Gesundheitswesen gemeinsam alle Hebel in Bewegung setzen, um das Überleben unserer Kinder zu sichern. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass das geschieht.

Und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich Eltern und Kinder fühlen, denen beispielsweise die Krebs- oder Epilepsiemedikamente ausgehen.