Hamburg. Hamburger Historiker darf ihm überlassenen Briefwechsel zum Teil nicht veröffentlichen. Weitreichende Folgen für historische Forschung?
„Man wird eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war.“ Oscar Toepffer, der diesen Satz am 30. Mai 1940 als Teilnehmer des Frankreich-Feldzuges in einem Brief seiner Frau ins heimatliche Hamburg schrieb, war nicht nur überzeugter Anhänger des NS-Regimes. Der Jurist Toepffer (1896–1982) spielte als Berater des NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann und des von den Nazis eingesetzten Hamburger Bürgermeisters Vincent Krogmann, als Leiter des Rechtsamtes der Stadt und kurzzeitiger Schulsenator eine wichtige Rolle im politischen Räderwerk der NS-Zeit.
Es ist das Verdienst des Historikers und früheren GEW-Landesvorsitzenden Hans-Peter de Lorent, Toepffers Rolle während der NS-Zeit in seinem bereits 2017 erschienenen zweiten Band der dreibändigen „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz“ herausgearbeitet zu haben. Auf 30 Seiten hat de Lorent Toepffer als einen Mann porträtiert, der als Beamter Karriere während der NS-Zeit gemacht hat und als Soldat Adolf Hitler zumindest in der ersten Phase der nationalsozialistischen Eroberungskriege begeistert und überzeugt gefolgt ist, auch wenn er erst 1937 und auf Druck Mitglied der NSDAP wurde.
NS-Senator: Die beiden Töchter hatten die Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben
Die zentrale Quelle des Historikers ist der Briefwechsel zwischen Toepffer und seiner Frau Gretchen, den ihm deren beide mittlerweile verstorbene Töchter zur Auswertung überlassen hatten. Jetzt hat das Landgericht der Arbeit de Lorents einen kräftigen Schlag versetzt. Die noch nicht rechtskräftige Entscheidung verpflichtet den Autor sowie die Landeszentrale für politische Bildung und die Schulbehörde als Herausgeberinnen, nicht weniger als 39 Toepffer-Zitate aus dem Text in den gedruckten, aber noch nicht verkauften Exemplaren der „Täterprofile“ sowie aus dem PDF des Buchs, das im Internet abrufbar ist, zu streichen, unkenntlich zu machen oder zu löschen. Sogar ein Foto der Familie Toepffer aus den 40er-Jahren muss nach dem Spruch einer Zivilkammer des Landgerichts aus dem Porträt entfernt werden.
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Wie konnte es dazu kommen? Der juristische Streit entbrannte bereits vor fünf Jahren, als eine Enkelin Toepffers Klage gegen de Lorent und die Schulbehörde einreichte. Sie sieht das Urheberrecht verletzt, weil es nicht im Interesse ihrer Mutter gewesen sei, dass der Briefwechsel in der von de Lorent gewählten Form veröffentlicht werde. Im Übrigen hätte sie, die Enkelin, als Erbin einer Veröffentlichung zustimmen müssen. De Lorent weist darauf hin, dass die Initiative zur Beschäftigung mit dem Briefwechsel von den Toepffer-Töchtern ausging, die mit einer Veröffentlichung einverstanden gewesen seien. Einem weiteren inzwischen ebenfalls verstorbenen Toepffer-Enkel, der 2013 den Kontakt zur Familie hergestellt habe, habe er seinen Text zu lesen gegeben, mit dem er sehr einverstanden gewesen sei.
Die Enkelin klagt – das postmortale Urheberrecht ist sehr weit gefasst
Das Landgericht hat der klagenden Enkelin nun in zwei Punkten recht gegeben: De Lorent hätte die Zustimmung aller Erben Toepffers für die auszugsweise Veröffentlichung des zuvor nicht publizierten Briefwechsels einholen müssen. Und tatsächlich gilt nach Auffassung der Zivilkammer für etwa die Hälfte der Zitate aus den Briefen auch fast 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft und lange nach dem Tod der Eheleute Toepffer Urheberschutz. „Ein etwaiges Urheberrecht der in den Klageanträgen genannten Personen (Oscar und Gretchen Toepffer, die Red.) ist nach Abs. 1 UrhG auf die Erbinnen und Erben übergegangen“, heißt es in dem schriftlichen, 42 Seiten plus Anhang umfassenden Urteil, das dem Abendblatt vorliegt.
Der Schutz des postmortalen Urheberrechts ist laut Urteilsbegründung sehr weit gefasst. „Entscheidend ist, ob dem Werk eine individuelle geistige Tätigkeit zugrunde liegt. Auf den Grad der dabei aufgebrachten geistigen Tätigkeit, also den geistigen Wert der Arbeit, kommt es dabei nicht an“, schreibt das Gericht. Es gelte im Urheberrecht bei Schriftwerken „auch die sogenannte kleine Münze, bei der bereits eine geringe Gestaltungshöhe als ausreichend angesehen wird“. Auch Briefe und Tagebücher seien schutzfähig, „wenn die erforderliche individuelle Prägung vorliegt“. Die Prägung könne sich „aus Form und Inhalt des Briefs ergeben, wenn sich der Brief von gewöhnlichen Briefen durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen, kulturellen, politischen oder sonstigen Fragen abhebt“.
Das Gericht lehnt eine komplette Streichung des Porträts aus dem Buch ab
Anhand dieser Kriterien sind die Richter in de Lorents Toepffer-Porträt reichlich fündig geworden. Zur Schwärzung aufgegeben sind vor allem die Passagen aus dem Briefwechsel, in denen Toepffer seine individuelle politische Bewertung des Kriegsverlaufs äußert und seine Begeisterung zum Beispiel für Adolf Hitler ausdrückt. Dazu zählt auch der eingangs zitierte Satz. Mit den umfänglichen Streichungen gewinnt der Text auch inhaltlich einen anderen Charakter, weil zahlreiche Belege für Toepffers Einstellung zum NS-Staat entfernt werden sollen. Aus Sicht der historischen Forschung stellt sich die Frage, in welchem Umfang Quellen aus Privatbesitz überhaupt noch nutzbar sind.
Dem Antrag der Klägerin, das gesamte Porträt aus dem Band „Täterprofile“ zu entfernen, folgte das Gericht nicht. Auch darf der Name Oscar Toepffer im Zusammenhang mit NS-Tätern genannt werden. „Eine grob ehrverletzende Entstellung des Lebensbildes von Oscar Toepffer liegt nicht vor“, heißt es in dem Urteil. Seine Tätigkeiten seien „differenziert“ beschrieben. Der Text enthalte auch Passagen, in denen Toepffer sich kritisch mit dem Krieg auseinandersetze.
NS-Senator: Das Urteil hat vermutlich weitreichende Folgen für historische Forschung
„Die Enkelin wollte die Veröffentlichung historischer Fakten verhindern, dass Oscar Toepffer NS-Senator gewesen ist und dies in einem Band ,Täterprofile’ beschrieben werden darf. Damit hat sie sich nicht durchgesetzt“, sagt der Autor Hans-Peter de Lorent. Die beiden Töchter Toepffers hätten ihm von sich aus Unterlagen für seine Biografie zur Verfügung gestellt. „Es ist unverständlich, dass Enkel und Urenkel Jahre später durch Klagen in dieser Weise in historische Forschung und Darstellung eingreifen können.“
De Lorent: „Ich möchte die Streichung einiger Zitate nicht hinnehmen und überlege, in Berufung zu gehen.“ Auch in der Schulbehörde wird dieser Schritt zurzeit geprüft.