Hamburg. Ein Jahr nach Kriegsbeginn ziehen Stadt, Hilfsorganisationen und Schutzsuchende Bilanz. Ihr Ausblick darauf, wie es weitergehen soll.
Heute jährt sich der Tag, an dem Russland die Ukraine überfallen hat. Den Vereinten Nationen zufolge haben rund 18 Millionen Menschen das Land verlassen, 31.000 halten sich laut Innenbehörde in Hamburg auf. Noch immer kommen im Schnitt 40 Ukrainerinnen und Ukrainer täglich hinzu.
Eine der Schutzsuchenden ist Oksana Krasitska. Nur drei Tage nach Ausbruch des Krieges hat sich die 31 Jahre alte Ukrainerin ganz allein auf den Weg nach Deutschland begeben. Dass es dazu kommen würde, sei nicht gänzlich überraschend gewesen, erinnert sie sich: „Wir haben schon ein paar Monate lang erwartet, dass etwas passieren könnte. Da lag eine Art Spannung in der Luft. Doch als der Krieg ausbrach, war ich innerlich trotzdem überhaupt nicht darauf vorbereitet.“
Kleiner Erfolg: Geflüchtete Ukrainerin findet Job in Hamburg
Nach Hamburg zog es die Ukrainerin berufsbedingt. Denn nur wenige Wochen nach ihrer Flucht konnte Krasitska bei ihrem Bewerbungsgespräch überzeugen und eine Stelle bei der Hilfsorganisation Plan International ergattern. Bereits zuvor hatte sie in internationalen Projekten an der Entwicklung und Umsetzung von Reformen sowie einer Demokratisierung ihres Heimatlandes mitgearbeitet.
Darüber, wie schnell sie sich hier ein neues Leben aufbauen konnte, ist die Ukrainerin froh: „Ich denke, ich bin hier angekommen – ich habe eine eigene Wohnung, einen Job. Ich bin unabhängig und kann meine eigenen Entscheidungen treffen.“ Doch weiß Krasitska, dass das nicht der Regelfall ist. Viele der ukrainischen Geflüchteten, die sie kennenlernt, haben bislang weder eine Arbeit noch eine eigene Bleibe. Etwa die Hälfte der 31.000 geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer sind in öffentlichen Einrichtungen untergebracht.
Das bringt die Stadt an ihr Limit. Sämtliche bestehenden Unterkünfte seien laut Sozialbehörde vollständig ausgelastet. Obwohl Hamburg im vergangenen Jahr ungefähr 15.900 neue Plätze geschaffen habe, benötige man in diesem Jahr mindestens weitere 10.000. Laut dem städtischen Unternehmen Fördern & Wohnen sollen 900 Plätze im zweiten Quartal in der ehemaligen Postbank-Zentrale in der City Nord zur Verfügung stehen. Zudem seien diverse kleinere Standorte beinahe bezugsfertig, etwa in Bergedorf, Rahlstedt und Billbrook.
Sozialbehörde will Laufzeitverlängerungen für Unterkünfte
Gemeinsam mit Fördern & Wohnen will die Sozialbehörde nun Laufzeitverlängerungen für einzelne Standorte erwirken, Gewerbeobjekte anmieten und umbauen, neue Unterkünfte errichten sowie Hotels und Pensionen zur Unterbringung nutzen. Ob in leer stehenden Büro- oder Schulgebäuden, Container-Modulbauten oder mobilen Tiny Houses: Es soll Platz für Geflüchtete geschaffen werden, wo es nur möglich ist.
„Viele Hamburger Hoteliers engagieren sich bereits. Gleichzeitig rufen wir die Branche erneut auf, nicht genutzte Hotelkontingente zur Verfügung zu stellen“, heißt es aus der Sozialbehörde. Man sei den „Hamburgerinnen und Hamburgern sehr dankbar, dass nach wie vor sehr viele Menschen insbesondere aus der Ukraine privat untergebracht werden können“.
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Dem schließt sich auch Alexander Blümel, Sprecher des ukrainischen Hilfsstabs, an, der verschiedene Vereine und Initiativen miteinander vereint. „Wir sind sehr dankbar für die Hilfe und die warme Aufnahme der Schutzsuchenden.“ Nun komme es aber darauf an, die Solidarität mit der Ukraine weiterhin aufrechtzuerhalten. „Am Anfang des Krieges waren überall ukrainische Flaggen als Zeichen der Solidarität in Hamburg zu sehen. Das hat merklich abgenommen.“ Es seien aber genau diese Gesten, die den Ukrainerinnen und Ukrainern die Kraft gebe, durchzuhalten.
UkrainerInnen sind Chance für die Hamburger Wirtschaft
Auch seien die Schutzsuchenden weiterhin auf Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche angewiesen. Hier sehe Blümel aber eine echte Chance für die Hamburger Wirtschaft: „Viele der ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer sind qualifizierte Fachkräfte, die Hamburg jetzt braucht.“
Darüber hinaus seien ein Großteil der Schutzsuchenden Kinder, die oftmals noch am Online-Unterricht ihrer ukrainischen Schule teilnehmen. Mit der bestehenden Schulpflicht werde auf der einen Seite Integration zwar beschleunigt, „viele der Schülerinnen und Schüler wollen aber gerne auch ihr ukrainisches Abitur machen“. Dies führe zu einer hohen Belastung. „Vielleicht könne die Schulbehörde den Kindern hier etwas mehr Flexibilität ermöglichen“, so Blümel.
Doch nicht nur die Ukrainerinnen und Ukrainer in Hamburg sind auf jenes Engagement angewiesen. Auch die im Kriegsgebiet Verbliebenen brauchen humanitärer Hilfe und Spenden. Einer der prominentesten Hamburger Vereine, der für Geld- und Sachspenden sowie ehrenamtliches Engagement für die Ukraine geworben hat, ist Hanseatic Help. Im vergangenen Jahr sei der Verein an 35 Hilfstransporten in das Land und angrenzende Regionen beteiligt gewesen, so Sprecher Michael Wopperer.
Hilfsbereitschaft der Hamburger für Ukrainer ist groß
Rund 1200 Paletten mit Hilfsgütern seien bei den Menschen in der Ukraine angelangt. Obwohl die Hilfsbereitschaft der Hamburger über den Sommer etwas nachgelassen habe, sei sie zuletzt wieder in Fahrt gekommen. Vermutlich „motiviert von anderen Aspekten – dem Hilfsbedarf im Winter, der prekären Lage für viele Menschen aufgrund der wirtschaftlichen Situation – kam dann im Herbst und Winter wieder sehr starke Unterstützung, die natürlich auch der Ukraine-Hilfe zugutegekommen ist“, berichtet Wopperer.
Benötigt würden derzeit vor allem Kleider- und andere Sachspenden. „Natürlich helfen auch immer Geldspenden, mit denen wir gezielt Hilfsgüter organisieren können, egal ob aktuell für die Erdbebenhilfe oder für die Menschen in der Ukraine“, so Wopperer. Selbst wer kein Geld oder Kleidung übrig hat, könne Hanseatic Help unterstützen – nämlich mit seiner Zeit. Der Verein freue sich über jede tatkräftig anpackende Hand.
Am Hamburger Hauptbahnhof erwarten Freiwillige die Geflüchteten
Die Hilfe kommt an. Das zumindest bestätigt Krasitska, die sich in den ersten Tagen nach ihrer Flucht aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen fühlte: „Im Hauptbahnhof waren überall Freiwillige und haben so sehr geholfen. Deshalb habe ich mich auch gar nicht alleine gefühlt.“
Bei ihrem neuen Job ist Krasitska dafür zuständig, dass die Spenden ordnungsgemäß abgerechnet werden. „Ich habe die Ukraine in einem schlechten Zustand zurückgelassen. Dass ich für mein Land arbeiten kann, erleichtert mich.“ Manchmal fühle sie sich deshalb fast schuldig, sagt Krasitska. Deshalb engagiert sich die Geflüchtete auch privat, unterstützt ihre in der Ukraine verbliebene Familie und diverse Organisationen vor Ort. „So bleibe ich mit meinem Land in Verbindung, das hilft mir für meinen inneren Frieden.“
Hoffnungen auf ein Ende des Krieges in der Ukraine
In Hamburg bleiben will Krasitska nicht. Ihre Heimat bleibt die Ukraine, wo ihre Familie wohnt. Sich auf Deutschland einzulassen falle ihr daher schwer: „Die Nachrichten über die Ukraine gehen mir immer noch sehr nah.“ Dennoch sei sie stolz, dass ihr Volk kämpft und sich verteidigt. „Wir sind als Nation jetzt noch viel vereinter als zuvor. Viel von unserer Kultur und Traditionen entsteht nun wieder.“
Was meint sie – ob sich die Ukraine heute in einem Jahr noch immer im Krieg befindet? „Ich kann nicht vorhersagen, ob der Krieg bald endet. Aber die letzten Entwicklungen lassen mich darauf hoffen, dass das Ende vielleicht näherkommt.“