Hamburg. Carolin Bornemann vom DRK Hamburg-Harburg hilft, wenn das Schlimmste passiert. Wie etwa nach dem Tod der kleinen Emma.

Eben noch war alles ganz wundervoll. Emma (Name geändert) war ein fröhliches Kind, voller neuer Eindrücke, die sie im Familienurlaub in Hamburg gesammelt hatte: zusammen mit den Eltern, der Oma und der Tante an den Landungsbrücken Schiffe gucken und gemeinsam durch die City schlendern. Zufrieden und glücklich schlief das Kind später ein.

Zufrieden und glücklich war auch seine Familie — bis wenige Stunden später ihr Leben in einem Scherbenhaufen lag. Denn plötzlich atmete Emma nicht mehr. Still und kalt lag sie in ihrem Kinderbettchen.

Nach Tod der kleinen Emma – KIT-Ehrenamtler standen Familie bei

Wenn das Schicksal unverhofft und erbarmungslos zuschlägt, ist das immer ein Drama. Und wenn ein sehr junger Mensch überraschend umkommt, ist der Schmerz für seine Familie geradezu unerträglich. So war es bei Emmas Eltern, die fassungslos erleben mussten, dass ihre kleine Tochter starb. Doch es gab jemanden, die ihnen in diesen schwersten Stunden zur Seite stand und tat, was immer zu tun war, um das schlimmste Leid abzufedern.

Carolin Bornemann, ehrenamtliche Helferin beim Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes Hamburg-Harburg, war bei der Familie, kümmerte sich um all die Dinge, die notwendig sind. Bornemann gehört zum 55-köpfigen KIT-Team, das unentgeltlich arbeitet und rund um die Uhr einsatzbereit ist. Alarmiert wird das Team durch die Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste oder durch das Institut für Rechtsmedizin.

Leiter des KIT: „Wir haben ein intensives Jahr hinter uns“

Die Betreuung von Emmas Angehörigen war einer der 506 Einsätze des KIT aus dem vergangenen Jahr, bei dem insgesamt 1748 Personen unterstützt wurden. „Wir haben ein intensives Jahr hinter uns“, sagt Malte Stüben, Leiter des KIT. Nicht nur die Zahl der Einsätze und der betreuten Personen hatte 2022 in den 25 Jahren des KIT-Bestehens ein Rekordniveau. Auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die vom KIT unterstützt wurden, war mit 187 so hoch wie nie zuvor.

Die Helfer vom KIT leisten „psychosoziale Akuthilfe“. Sie sind zur Stelle, wenn andere Furchtbares durchleiden müssen. Wenn das Schicksal diesen Menschen einen geliebten Angehörigen entrissen hat, wenn das Leid so überwältigend ist, dass es nicht auszuhalten scheint. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer betreuen Angehörige unmittelbar nach einem Unglücksfall oder wenn jemand gewaltsam ums Leben gekommen ist.

Sie sind ebenso da für Zeugen eines Verbrechens oder schockierte Unfallbeteiligte. Dass im vergangenen Jahr auch besonders viele junge Menschen betreut werden mussten, ist für Stüben ein trauriger Rekord. „Sind Kinder beteiligt, werden die Einsätze deutlich belastender“, erklärt er. Wie einige andere Helfer hat auch er selbst Kinder.

Malte Stüven leitet das Kriseninterventionsteam vom DRK.
Malte Stüven leitet das Kriseninterventionsteam vom DRK. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Hamburger Kleinkind stirbt überraschend – Familie unter Schock

Auch Carolin Bornemann, die mit einer Kollegin die Familie der überraschend verstorbenen Emma betreute, ist Mutter. Die beiden Kinder der Hamburgerin sind im Kindergarten- beziehungsweise Grundschulalter – und damit in etwa so alt wie die kleine Emma war, als diese plötzlich leblos in ihrem Kinderbett in einem Hamburger Hotelzimmer lag. Der Vater hatte in der Nacht gemerkt, dass Emma nicht mehr atmete, dann unter telefonischer Anleitung der Feuerwehr mit einer Reanimation begonnen, bis der Rettungsdienst kam und übernahm. Emma wurde ins UKE gebracht, wo schließlich ihr Tod festgestellt wurde.

„Ich hatte an dem Tag Bereitschaft“, erzählt Carolin Bornemann. Sie übernahm unmittelbar die Betreuung von Emmas Angehörigen. „Der Vater war in sich gekehrt und weinte immer wieder. Und die Mutter hatte einen ganz starken Redebedarf“, erinnert sich die Helferin. „Die Mutter erzählte von dem Urlaubswochenende, vom tollen Vortag, an dem sie Hamburg erkundet hatten, von der fröhlichen, hopsenden, strahlenden Emma. Das Kind hatte zwar einen leichten Schnupfen, aber keine Erkrankung, die irgendjemanden alarmiert hätte. Umso schlimmer der Schock, als das 21 Monate alte Mädchen plötzlich starb. Es dauerte eine Weile, bis die Familie das überhaupt richtig realisiert hat.“

Manche Menschen schreien oder weinen – andere sind starr vor Schock

Dass Angehörige nach einem Todesfall auf unterschiedlichste Weise reagieren, erleben die Helfer häufig. Manche Menschen schreien, andere weinen, manche sind starr vor Schock, wieder andere erzählen quasi ohne Punkt und Komma, manche schlagen in ihrer Trauer mit dem Kopf gegen die Wand. „Es ist wichtig, den Betroffenen, deren Leben ja schlagartig aus den Fugen gerät, das Gefühl zu vermitteln, dass da jemand zuhört und die Situation mit aushält“, erzählt Malte Stüben. „Oder man schweigt gemeinsam. Manchen Eltern gehen blitzartig viele Sachen durch den Kopf, dann wieder herrscht Leere. Dann hilft es ihnen, die nächsten Stunden zu strukturieren, damit sie nicht das Gefühl haben, sie werden verrückt.“

Bei Emmas Eltern ging es zunächst darum, dass sie auf keinen Fall in dem Hotelzimmer bleiben wollten, in dem ihre Tochter verstorben war. „Wir haben ihnen ein anderes Zimmer organisiert, alle Sachen zusammengepackt“, erzählt Carolin Bornemann. Weil die Familie in einem anderen Bundesland wohnt, hätte es nicht geholfen, eine Beratungsstelle in Hamburg zu vermitteln. „Also haben wir in der Heimatstadt der Familie den Verein ,Verwaiste Eltern‘ ausfindig gemacht, eine Informationsstelle für Psychotherapie herausgefunden, also Hilfe für die nächste Zeit sichergestellt.“

„Wir fühlen mit, wir zeigen Mitmenschlichkeit“

Wie sie selber mit dem Schicksal der anderen umgeht? „Es beschäftigt mich intensiv“, schildert die Hamburgerin, die wie ihre KIT-Kollegen zweimal im Monat für eine 24-Stunden-Dienstbereitschaft eingeteilt wird. „Aber ich bin als professionelle KIT-Helferin vor Ort. Ich darf das nicht so stark an mich heranlassen, dass ich nicht mehr in der Lage wäre, Unterstützung leisten zu können.“ Stüben ergänzt: „Wir fühlen mit, wir zeigen Mitmenschlichkeit.“

Der Hamburger, ein gelernter Diplom-Sozialpädagoge, ist seit 21 Jahren beim KIT. Er weiß: „Kinder und Jugendliche sind aufgrund der geringen Lebenserfahrung den Ereignissen am schutzlosesten ausgeliefert.“ So erging es beispielsweise einer 15-Jährigen. Als ihr Vater nach einem Herzstillstand leblos auf dem Sofa lag, versuchte sie, nach telefonischer Anleitung durch die Feuerwehr, den Mann zu reanimieren. Schließlich wurde er von Rettungskräften ins Krankenhaus gebracht, dort zunächst von Maschinen am Leben erhalten. Schließlich wurden die Maschinen abgestellt.

KIT kümmert sich auch um Jugendliche

„Meine Kollegin und ich haben die Familie auf die Intensivstation und am Sterbebett des Vaters begleitet, als sie Abschied genommen haben“, erzählt Stüben. „Wir haben Mutter und Tochter im Arm gehalten.“ Das besonders Tragische an dem Fall war: Die 15-jährige Tochter hatte schon am Nachmittag gemerkt, dass es dem Vater sehr schlecht ging, und den Notarzt alarmieren wollen. Doch der Vater hatte gesagt, sie solle das lassen, er brauche nur etwas Ruhe. „Eine fatale Fehleinschätzung des Vaters“, erklärt Stüben. „Die Tochter machte sich nun Vorwürfe, dass sie verantwortlich für den Tod des Vaters sei, weil sie nicht den Notruf getätigt hatte. Es war wichtig, ihr zu zeigen, dass sie keine Schuld hatte. Es trifft nie ein Kind die Schuld, wenn ein Elternteil sich irrt.“

Das KIT kümmerte sich um die Ehefrau und die Tochter des Verstorbenen, „die sonst vollkommen überfordert gewesen wären. Und die Tochter wäre mit ihren Schuldgefühlen allein gewesen.“ Für die weitere Zeit organisierten Stüben und seine Kollegin eine Trauerbegleiterin für die Angehörigen und vermittelten den Kontakt zum „Hamburger Zentrum für Kinder und Jugendliche in Trauer“. „Die Familien benötigen meist mehr als unsere Akuthilfe“, so der KIT-Leiter. „Wir vermitteln zum Beispiel den Kontakt zu Beratungszentren oder Therapeuten und gehen nie aus einem Einsatz, ohne etwas angebahnt zu haben.“

Tragische Unglücksfälle: Hamburgerin interveniert bei Krisen

Das gilt generell für alle Einsätze, ob nun Kinder oder Jugendliche, ob Erwachsene oder auch alte Menschen von einem Unglücksfall betroffen sind. „Jedes Mal, wenn jemand stirbt, ist das auf seine eigene Weise tragisch“, sagt Stüben. Auch beispielsweise bei Senioren könne es eine besondere Dramatik geben. „Wenn ein Paar 60 Jahre zusammengelebt hat und plötzlich einer stirbt, ist das für den Hinterbliebenen ganz besonders schlimm.“

Carolin Bornemann kennt aus ihrer Tätigkeit beim KIT auch Fälle von älteren Menschen, bei denen der eine pflegebedürftig ist – und der Pflegende verstirbt. „Es ist schwierig, weil der Hinterbliebene niemanden mehr hat. Wir suchen dann nach Lösungen, wie der Trauernde unterstützt werden kann. Wir bleiben, bis er passende Ansprechpartner hat.“ „Für uns ist das Gefühl wichtig“, so Stüben, „dass wir im Sinne der Betroffenen das Beste versucht und die ersten Weichen gestellt haben.“

Wer das KIT mit einer Spende unterstützen will: Spendenkonto DRK Harburg. IBAN: DE09 2005 0550 1262 1133 33, BIC: HASPDEHHXXX, Stichwort: KIT.