Hamburg. Hamburger Physiker sind besorgt wegen möglicher Störungen von Experimenten in Bahrenfeld. Die Stadt prüft nun eine Alternative.

Die Science City Bahrenfeld gilt als eines der wichtigsten städtebaulichen Projekte in Hamburg. Auf dem 125 Hektar großen Areal im Westen der Hansestadt sollen Wissenschaft, Wirtschaft und Wohnen verzahnt werden. Es entstehe ein „Magnet für Studierende, Wissenschaftler und Kreative aus der ganzen Welt“, schwärmt die koordinierende Science City Hamburg Bahrenfeld GmbH.

Dafür muss das Quartier allerdings gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Leisten könnte dies die neue S 32, eine acht Kilometer lange S-Bahn-Linie, die als Ausfädelung aus dem Bestandsnetz von der Holstenstraße bis zum Osdorfer Born führen soll. Ausgerechnet ein geplanter Trassenabschnitt im Bereich der Luruper Chaussee, in dessen Nähe Gebäude der Universität Hamburg und des Deutschen Elektronen-Synchrotrons liegen, erweist sich als problematisch – für die Wissenschaft vor Ort.

S-Bahn Hamburg: Trasse für neue S 32 gefährdet Uni-Forschung

Das zeigt ein 438-seitiges Gutachten zu möglichen Erschütterungen durch die S 32, das im Auftrag der Stadt von der Baudynamik Heiland & Mistler GmbH in Bochum erstellt worden ist. Die Prognosen der Sachverständigen haben potenziell betroffene Hamburger Forschende in Sorge versetzt. Durch einen Betrieb der in Tunnellage geplanten S 32 entlang der Luruper Chaussee würden sich die „Standortbedingungen“ auf dem Forschungscampus Bahrenfeld tagsüber bis zu einer Entfernung von 200 Metern und nachts bis zu einer Entfernung von 350 Metern „verschlechtern“, so die Gutachter.

Für mindestens zwei innerhalb eines 100-Meter-Korridors zur Luruper Chaussee liegende Einrichtungen der Universität Hamburg – das Zentrum für Optische Quantentechnologien (ZOQ) und das Institut für Laserphysik (IL) – bedeuteten die prognostizierten Störungen durch die S-Bahn gar, „dass diese Art der Forschung hier zukünftig nicht mehr durchgeführt werden kann“, heißt es in dem Gutachten. Aus dem Kreis der potenziell betroffenen Forschenden, die in zwei Physik-Exzellenzclustern der Uni arbeiten, heißt es, dieses Szenario wäre eine „Katastrophe“.

Die Empfehlung der Gutachter fällt eindeutig aus: „Aus sachverständiger Sicht muss von der Realisierung der Trasse im Bereich der Luruper Chaussee dringend abgeraten werden. Es wird vorgeschlagen, die Trasse nach Osten zu verschieben.“ Erforderlich sei eine Gleisverschiebung von mindestens 250 Metern. „Das bedeutet, dass der Mindestabstand zum nächstgelegenen relevanten Forschungsgebäude mindestens 300 Meter beträgt.“

S-Bahnen verursachen Erschütterungen im Erdreich und Magnetfelder

Die neue S 32 könnte sich auf zwei Wegen störend auf Forschung in Bahrenfeld auswirken. Erstens durch mechanische Erschütterungen im Erdreich, die entstehen, wenn eine S-Bahn auf Schienen vorbeifährt, wenn sie abbremst oder beschleunigt. Solche Vibrationen können dazu führen, dass Gebäude minimal „wackeln“ – nicht spürbar für Menschen, aber stark genug, um Laserexperimente in Bahrenfeld, die teilweise auf ein tausendstel Millimeter genau ausgerichtet sind, durch­einanderzubringen.

Schon heute führen einige Forschende einen Teil ihrer Untersuchungen ab und zu nachts zwischen 3 und 5 Uhr durch, weil dann der Straßenverkehr auf der Luruper Chaussee fast zum Erliegen kommt. Dieser allein wirkt sich schon störend aus. Kämen weitere Erschütterungen durch eine S-Bahn hinzu, wäre ein Teil der Experimente nicht mehr machbar, heißt es.

Ein zweiter potenzieller Störfaktor sind Magnetfelder. Diese gehen von Fahrdrähten von elektrisch betriebenen S-Bahnen aus. Schon jetzt müssen sich Forschende in Bahrenfeld mit dem Erdmagnetfeld auseinandersetzen. Damit es sich nicht störend auf die Experimente auswirkt, produziert eine große Spule ein schwaches Gegenfeld. Das ist möglich, weil das Erdmagnetfeld konstant ist.

Experten führten Messungen zu Erschütterungen und Magnetfeldern durch

Träten jedoch zusätzliche Magnetfelder auf, die fluktuierten, also stärker ausfielen, wenn eine S-Bahn vorbeiführe und schwächer, wenn sie sich entfernte, ließe sich dies nicht mehr kompensieren, heißt es von Forschenden. Dann sei ein weiterer Teil der Experimente nicht mehr durchführbar.

Als Grenze für die Stärke der Magnetfelder, die nicht überschritten werden sollte, haben die Forschenden einen Wert von 200 Nanoteslar (nT) vor ihren Gebäuden festgelegt. Die Sachverständigen der Baudynamik Heiland & Mistler GmbH schreiben dazu in ihrem Gutachten, die „Gebäude der ersten Bebauungsreihe neben der Luruper Chaussee (bis 100 Meter Abstand zum Gleis)“ wären durch den geplanten Trassenverlauf „erheblich“ von Magnetfeldern betroffen; der Grenzwert von 200 nT könnte dort „zum Teil erheblich überschritten“ werden.

Für das Gutachten hatten die Sachverständigen Messungen zu Erschütterungen und Magnetfeldern an einer S-Bahn-Trasse in Hamburg durchgeführt, die Erkenntnisse daraus auf den Campus Bahrenfeld übertragen. Hinzu kamen Messungen und Simulationen auf dem Campus.

Uni Hamburg: Anbindung durch S-Bahn besonders wichtig

Die Universität Hamburg äußerte sich auf Anfrage nur knapp. Die Anbindung der Science City an das S-Bahn-Netz sei für die Hochschule „von besonderer Bedeutung“, sagte Alexander Lemonakis, Sprecher des Präsidenten. „Wir gehen davon aus, dass die Belange der Wissenschaft durch entsprechende Bauweise und Streckenführung Berücksichtigung finden.“

Von Einschränkungen bei Experimenten könnten auch Forschende des Deutschen Elektronen-Syncrotrons (Desy) in Bahrenfeld betroffen sein. Desy sei deshalb bereits seit 2017 mit der Stadt im Austausch und habe das Gutachten zu 25 Prozent mitfinanziert. Dieses habe „mindestens eine technisch machbare Variante aufgezeigt, die auch von Desy unterstützt wird“, sagte Sprecher Thomas Zoufal. „Desy unterstützt grundsätzlich den Bau der S-Bahn-Linie und ist zuversichtlich, dass eine gute Alternative gefunden werden kann, mit der der Forschungs­betrieb langfristig gesichert und der Hamburger Westen angebunden werden kann.“

S-Bahn Hamburg: Trasse wird voraussichtlich angepasst

Die Verkehrsbehörde teilt auf Abendblatt-Anfrage mit, die Konsequenzen des Gutachtens auf die Trassenführung und -planung würden geprüft. „Dies befindet sich gerade in der Finalisierung“, sagte Behördensprecher Dennis Heinert. Die Trasse der S 32 werde voraussichtlich um ein Stück in Richtung Nordosten versetzt.

„Durch die Anpassungen in der Trassenführung soll sichergestellt werden, dass der S-Bahn-Verkehr die Messungen am Forschungscampus Bahrenfeld und den Wissenschaftsstandort Hamburg nicht gefährdet“, sagte Heinert. „Da die Planungen dazu noch nicht abgeschlossen sind, stehen auch die Auswirkungen auf die Baukosten noch nicht fest.“ In der ersten Hälfte dieses Jahres solle die angepasste Trassenführung im Verkehrsausschuss der Bürgerschaft vorgestellt werden.